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Musik

Klassik-Szene im Wandel

Gaby Reucher
30. März 2023

Sie sind jung, aufgeschlossen und talentiert. Mit ihnen wollen Festivals ihr Publikum für klassische Musik begeistern. Doch wie kann das gelingen?

Mann im blauen Hemd hält seine Geige am Kinn.
Neuer Shootingstar beim Rheingau Musik Festival: Guido Sant'Anna aus BrasilienBild: Caue Diniz

Der brasilianische Geiger Guido Sant'Anna wird am 24. Juni 2023  das Rheingau Musik Festival eröffnen. Er ist noch relativ unbekannt. Als erster Südamerikaner gewann er 2018 die renommierte Yehudi Menuhin International Violin Competition. Eine Neuentdeckung für das hessische Festival, das neben bekannten Musikgrößen schon seit Jahren auf talentierte junge Shootingstars setzt.

Das Publikum anders mitnehmen

Tony YunBild: Jennifer Taylor

Zu diesen gehört auch der kanadische Pianist Tony Yun, Gewinner der "China International Music Competition" 2019 und Student an der Juilliard School in New York. Programmplaner Timo Buckow ist begeistert: "Er strahlt von innen, ein natürlicher, authentischer und sympathischer junger Mann - und dann spielt er Brahms dritte Klaviersonate so unfassbar gut, wie ich sie selten gehört habe." Tony Yun sucht nach dem Konzert bewusst die Nähe zum Publikum. "Da steht er dann noch draußen im Dialog mit den Besuchern und lässt sich Fragen stellen."

So etwas habe es bei Musikern und Dirigenten der "alten Garde" kaum gegeben, meint Timo Buckow. Die Klassik-Szene bauche den Wandel. "Wir sehen, dass das Publikum einfach anderes mitgenommen werden muss. Junge Künstler haben das Talent, diese Distanz zwischen Bühne und Publikum zu brechen."

Timo Buckow setzt auf junge NachwuchstalenteBild: Woody T. Herner/Woodworks

Dass die Klassik-Szene im Wandel ist, freut auch Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats. Er verbindet damit einen weiteren Aspekt: "Allein, wenn man den Hype um Dirigentinnen sieht - das ist ein Glück. Das Dirigententum war ja seit Jahrhunderten eine reine Männerdomäne und das bricht langsam auf." Ebenso sei es mit der Geschlechterverteilung in Orchestern, die zum Teil noch immer stark männerdominiert seien.

Moderierte Konzerte liegen im Trend

Um das Publikum direkt zu erreichen, setzten Festivals auf moderierte Konzerte. Das Bachfest in Leipzig stand in diesem Jahr unter dem Motto "Bach for future". In einigen Konzerten wurde Bachs Musik in einem neuen Kontext präsentiert, etwa im Hörsaal des Anatomischen Instituts der Leipziger Universität.

"Aus Kantatensätzen von Johann Sebastian Bach zum Thema Tod haben die junge Sopranistin Julia Sophie Wagner und der Dirigent Jakob Lehmann eine Art Requiem mit neuen Texten zusammengestellt", erläutert Festivalintendant Michael Maul der DW. "Dazu hat der Institutsleiter Ingo Bechmann, selbst ein großer Bachfan, dem Publikum einen Gipsabdruck von Bachs Schädel präsentiert und erläutert."

Sarah Willis mit ihrem Horn Quartett von den Berliner PhilharmonikernBild: Markus Weidmann

Musiker und Musikerinnen wie die argentinische Cellistin Sol Gabetta, der irisch-deutsche Geiger Daniel Hope, der Schlagzeuger Max Grubinger oder die die amerikanisch-britische Hornistin Sarah Willis haben bereits Moderationserfahrung aus TV- und Radiosendungen. Als Fokuskünstler beim Rheingau Musik Festival werden sie ihre Instrumente nicht nur spielen: "Ich darf mein Konzert auch moderieren und diese Nähe zwischen Publikum und Künstlern schaffen", freut sich Sarah Willis von den Berliner Philharmonikern in einer Videobotschaft. "Und dabei mein Instrument, das Horn featuren."

Christian Höppner will junge Menschen von der Schule an für klassische Musik interessierenBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Junge Stars locken junge Besucher?

Der Deutsche Musikrat (DMR) verfolgt schon allein von Amtswegen das Anliegen, den Zugang zu klassischen Konzerten zu erleichtern. Der DMR ist der größte nationale Dachverband und setzt sich für die Stärkung, Bewahrung und Weiterentwicklung des Musiklebens in Deutschland ein. Gerade der jungen Generation will man klassische Musik näherbringen.

Für Generalsekretär Christian Höppner sind es dabei nicht unbedingt die jungen Stars, die junge Zuhörer in die Konzertsäle locken. Auch weniger kommunikative Musiker und Musikerinnen könnten junge Leute allein mit ihrer Musik begeistern und unvergessliche Konzert-Momente schaffen.

Johann Sebastian Bach: Das Bachfest will den erhabenen Komponisten auch in jungen Formaten präsentieren Bild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Für Höppner liegen die Ansätze vielmehr in der frühen Musikerziehung: "Je weniger der musikalischen Vielfalt man Schülern in jungen Jahren vermittelt, desto schwieriger wird es nachher sein, junge Menschen oder auch heranwachsende Erwachsene für die gesamte Bandbreite der Musik zu interessieren." Höppner bemängelt, dass an Schulen Fachlehrer fehlen und gerade beim Musikunterricht erheblich gekürzt wird. "Die Situation in Deutschland ist dramatisch", betont er im Gespräch mit der DW.

Wieder mehr junge Leute an Klassik interessiert

Statistiken belegen, dass nach der Corona-Pandemie wieder mehr Menschen klassische Musikfestivals besuchen wollen. Das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) hat eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2022 ausgewertet. Demnach hat jeder zehnte der Befragten (11,2 Prozent) Interesse an klassischen Musikfestivals. Auch bei jungen Leuten zwischen 14 und 19 Jahren ist das Interesse mit 2,7 Prozent leicht angestiegen. Der Wert von vor der Corona-Pandemie (3,7 Prozent) ist allerdings noch nicht wieder erreicht.

Vor der großen Marktbühne beim Bachfest Leipzig ist jeder kostenfrei willkommenBild: Sylvio Dittrich/imago images

Von Konzert- und Festivalveranstaltern wünscht sich Christian Höppner Angebote und Präsentationsformen für alle Bevölkerungsschichten, was viele Veranstalter bereits beherzigen. "Selbst in Bayreuth gibt es jetzt junge Formate und ermäßigte Preise, aber auch die Schwelle der 'hohen Weihe' von manchen Konzertorten muss man durchbrechen und den Leuten vermitteln, dass es ein ganz normaler Ort ist, wo sich Menschen treffen und Freude haben an Kultur."

Frische Ideen und neue Konzepte für alle

Mit diesem Wunsch ist der Musikrat ganz bei Steven Walter, Intendant des Beethovenfestes in Bonn. Der hatte sein Antrittsfestival 2022 unter das Motto "Alle Menschen" gestellt. Die Diversität der Künstler und ihrer Musikstanden im Mittelpunkt des Festivals. Ehrfurcht vor den Aufführenden oder Konzertorten brauchte niemand zu haben.

"Alarm-Will-sound" mischten das Publikum beim Beethovenfest 2022 aufBild: Michal-Ramus/Beethovenfest Bonn

Auch Walter konzipiert mit jungen Künstlern und frischen Ideen ein vielfältiges Programm, um die Zuhörerinnen und Zuhörer zu begeistern. Für 2023 haben er und sein Team sich vorgenommen, noch diverser zu kommunizieren und die verschiedenen Gesellschaftsgruppen gezielter anzusprechen. "Ich glaube, fehlende Diversität in der Kommunikation ist einer der Hauptgründe, warum es nicht so gelingt, klassische Musik allgemein anschlussfähig zu machen."

Dabei geht es Steven Walter nicht nur um die Kommunikation zwischen Musikern und Publikum, sondern auch um die eigene Kommunikation. "Wir wollen 2023 versuchen, mit einfacher Sprache und verschiedenen Medien ein breiteres Publikum zu erreichen - damit wir es schaffen, unser Festival in die Mitte der Gesellschaft zu holen." 

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