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Stasi: Wie die DDR ihre Bürger überwachte

30. Juli 2025

Ein Agentenleben à la James Bond? Der Alltag der meisten Mitarbeitenden des Ministeriums für Staatssicherheit sah anders aus. Die Hauptamtlichen waren oft Schreibtischtäter, die Unmengen von Informationen auswerteten.

Zwei Männer liegen in einem Holzkasten, einem Beobachtungsstützpunkt der Stasi in der DDR, und schauen in Kameras
Dieser transportable Beobachtungsstützpunkt wird von zwei Stasi-Mitarbeitern getestetBild: BArch, MfS, HA II, Nr. 40000, S. 20, Bild 2

"Genossen, wir müssen alles wissen!" So lautete die klare Ansage, die Erich Mielke, von 1957 bis 1989 Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, kurz: Stasi, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorgab - und so wurden die DDR-Bürger systematisch überwacht. 

Die Stasi-Spitzel konnten überall lauern - im Kreis der Arbeitskollegen, im Freundeskreis. Ihre Aufgabe: "Volksschädlinge" ausfindig zu machen. Das waren aus Sicht des DDR-Regimes die Menschen, die das System kritisierten und sich mit dem "Klassenfeind" verbündeten, also den "imperialistischen" oder "faschistischen" Kapitalisten im Westen. Um die eigenen Bürgerinnen und Bürger vor der vermeintlichen Bedrohung aus dem Westen zu schützen, wurde 1961 die Berliner Mauer als "antifaschistischer Schutzwall" errichtet. 

Die Mauer sollte die DDR-Bürgerinnen und Bürger vor dem dekadenten Westen schützenBild: AP Photo/picture alliance

Stasi-Methoden: Überwachung und Einschüchterung 

Doch der "Feind" war auch im Inneren immer noch allgegenwärtig. Hatte jemand einen Witz über den Staatsratsvorsitzenden gemacht oder unerwünschte Musik gehört? Bekam jemand verdächtige Briefe mit Marken aus dem westlichen Ausland oder hatte jemand gar um eine Besuchserlaubnis in die Bundesrepublik nachgesucht? Alles war verdächtig, alles hatte die 1950 gegründete Stasi im Blick. Sie sah sich als "Schild und Schwert" der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die alle "Feinde" unschädlich machen und so die Herrschaft der Staatspartei in der DDR sicherstellen sollte.

Stasi-Zentrale in Berlin: So arbeitete der DDR-Geheimdienst

05:32

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Die Stasi-Mitarbeitenden öffneten die Post, hörten Telefonate ab und verschafften sich unerlaubt Zutritt zu Wohnungen. Sie schüchterten die Menschen ein, verbreiteten Gerüchte, dass jemand alkoholabhängig sei oder homosexuell - oder, besonders perfide, dass er Kontakte zur Stasi pflege. Nicht wenige DDR-Bürger landeten hinter Gittern, weil sie das DDR-Regime kritisierten.

Gründe, bei der Stasi zu arbeiten

Der Volksmund selbst nannte die Stasi "Die Firma" oder "Horch und Guck".  Rund 90.000 hauptamtliche und (je nach Quelle) zwischen 100.000 und 200.000 "inoffizielle" Mitarbeitende - also Spitzel, die freiwillig oder weil man sie unter Druck setzte das "Fehlverhalten" von Freunden und Familienangehörigen verrieten - waren Ende 1989 bei der Stasi beschäftigt. Was hat sie dazu bewegt, das Unrechtsregime zu unterstützen?

"Das kann das Gefühl der Macht gewesen sein, die man über Mitmenschen ausgeübt hat. Das kann aber auch eine familiäre Tradition sein, dass man dort anfing, wo die Eltern und vielleicht sogar schon Großeltern im Einsatz waren", sagt der Historiker Philipp Springer der DW. "Und dann gab es natürlich auch Versprechungen des Ministeriums, dass es eben eine interessante Tätigkeit sein kann, dass man vielleicht sogar auch auf Auslandseinsatz kann. Und letztlich war es natürlich ein sicherer Job - auch für Leute, die vielleicht sonst nicht so eine Karriere gemacht hätten."

Philipp Springer hat jahrelang im Stasi-Unterlagen-Archiv geforscht Bild: Thomas Bruns

Banaler Alltag im Ministerium 

Das Buch gibt einen Einblick in den scheinbar banalen Alltag der Stasi-Mitarbeitenden

Für sein Buch "Die Hauptamtlichen" hat Springer im Stasi-Unterlagen-Archiv seltene Fotografien ausgegraben, die Mitarbeitende bei der Arbeit zeigen. Normalerweise standen sie als Überwacher nicht vor, sondern hinter der Kamera. Doch die landläufige Vorstellung von einem aufregenden Agenten-Dasein wird hier nicht erfüllt.

"Ein James-Bond-Leben hat es vielleicht ansatzweise gegeben, wenn man im Auslandseinsatz war und da eben verdeckt sozusagen spioniert hat", sagt Springer. "Wenn man in der DDR in Bereichen eingesetzt war, die nicht so nah an der eigentlichen Spionagetätigkeit waren, dann war das bei weitem nicht so spannend, wie man sich das möglicherweise ausmalen mag."

Und so wirken die Aufnahmen im Buch eher banal und handwerklich dilettantisch. Man sieht einen Mann am Kopierer, einen anderen am Schreibsitz oder eine Frau, die in der Küche arbeitet. Manchmal auch nur eine Hand, die zum Karteikasten greift oder Füße, die vor einem Heizungsschacht stehen. "Das sind natürlich Bereiche, die auf den ersten Blick erstmal ganz normal erscheinen und eben überhaupt nicht spannend, sondern so interessant und langweilig, wie wenn man irgendwo in einem Betrieb arbeiten würde", so Springer.

Major Klaus Wöllner testet eine russische Kamera. Mit 185 Kilogramm wurde sie als zu schwer befunden, zumal man für den Auf- und Abbau des Geräts sechs Personen brauchteBild: BArch, MfS, HA II, Nr. 41910, S. 163, Bild 4

"Aber letztlich trugen alle diese hauptamtlichen Mitarbeitenden ja auch dazu bei, den Apparat am Laufen zu halten. Alle waren eben Teil dieses Systems und wurden ja auch politisch und ideologisch dahingehend geschult, dass ihre Aufgabe ungemein wichtig ist, um den Sozialismus in der DDR zu erhalten und sie gegenüber den angeblichen Feinden aus dem Westen zu verteidigen."

Kleine Rädchen im Getriebe der "Firma"

Nicht alle Abgebildeten konnten namentlich identifiziert werden; wenn doch, hat Philipp Springer ihre Biographie mitgeliefert. Da ist Oberleutnant Elfi-Elke Mertens, deren Vater schon bei der Stasi arbeitete, und auch ihr Ehemann ist hier angestellt. Sie wurde von ihren Vorgesetzten für ihre "hervorragende Einsatzbereitschaft" und ihren "Fleiß" gelobt, sie sei "gewissenhaft und "sehr willig". So willig, dass sie versprach, auf eine Verwandte einzuwirken, die in den Westen reisen wollte. "Mein Mann und ich werden mit ihr noch einmal sprechen, sollte [sie] nicht bereit sein, auf die Reise zu verzichten, werden wir unsere Verbindungen zu ihr lösen", versprach Mertens ihren Vorgesetzten.

Unteroffizier Sylke Kindler testet ihre Spionage-EinkaufstascheBild: BArch, MfS, BV Dresden, Abt. VIII, Nr. 13331, S. 8, Bild 2

Auch Unteroffizier Sylke Kindler ist zu sehen. Sie hat den Vorschlag eingereicht, eine Fotokamera am Boden des Einkaufskorbs zu befestigen, um so durch ein Loch unbemerkt die Umgebung zu fotografieren. Oder der ehrgeizige Generalmajor Horst Böhm, der dem Regime so ergeben war, dass er nach dem Untergang der DDR Selbstmord verübte.

Es sei erlaubt, Fotos und Namen von hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitenden zu veröffentlichen, sagt Springer - auch von noch lebenden, die vielleicht um ihren Ruf fürchten. "Man denkt dann immer: 'Naja, das ist so eine riesige Maschine und alle sind kleine Rädchen'," sagt er. "Aber letztlich sind das alles Menschen, die sich dafür oder dagegen entscheiden, bei so etwas mitzumachen und ihre gesamte Lebenszeit reinstecken in eine Arbeit für einen solchen Unrechtsapparat. Und sie müssen sich natürlich auch damit auseinandersetzen, dass Akten über sie erhalten sind." 

Aus vergangenem Unrecht lernen

Das endgültige Aus für den DDR-Geheimdienst kam im Januar 1990. Mehr als 111 Kilometer Akten, 41 Millionen Karteikarten und über 1,7 Millionen Fotos blieben erhalten - außerdem annähernd 15.000 Säcke mit vernichtetem Aktenmaterial. Viele DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürger beantragten Aktensicht: Sie wollten wissen, welche Rolle ihre Freunde oder ihre Familie gespielt hatten. Waren sie Opfer oder Täter? Noch heute, so Springer, gebe es viele Anfragen von Privatleuten.

Unzählige Akten zeugen vom Überwachungsstaat Bild: Rainer Jensen/dpa/picture alliance

"Aber auch auf der politischen oder nationalen Ebene sollte das meiner Ansicht nach schon eine große Rolle spielen, weil eben hier von einem ganzen Apparat Unrecht begangen worden ist. Es ist wichtig, die Erinnerung daran aufrecht zu erhalten. Und ich finde, auch junge Menschen sollten sich damit beschäftigen, damit sie verstehen, dass sie eine Verantwortung haben zur Sicherung letztlich unseres demokratischen Systems."

Buchtipp: Phillipp Springer: Die Hauptamtlichen. Fotografische Einblicke und biografische Skizzen aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Gebr. Mann Verlag, 2025 

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