Was wusste Obama wirklich?
28. Oktober 2013Das Weiße Haus schweigt. Die NSA wehrt ab: Anders, als die "Bild am Sonntag" es berichtet, habe der Geheimdienst-Chef Keith Alexander den Präsidenten nicht persönlich über die Lauschaktionen gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel informiert. Alexander habe weder 2010 mit Obama über die angebliche Geheimdienst-Operation gesprochen, "noch hat er jemals angebliche Operationen, die Bundeskanzlerin Merkel betreffen, erörtert", hieß es am Sonntag in einer gemailten Erklärung von NSA-Sprecherin Vanee Vines. "Berichte, die anderes behaupten, sind nicht wahr."
Nach Informationen der "New York Times" begann der Lauschangriff bereits vor zehn Jahren - in zeitlicher Nähe zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Damals war Merkel CDU-Vorsitzende. "Das, was nun ans Tageslicht kommt, ist für mich keine Überraschung", sagte der DW einer, der es wissen muss: Thomas Drake. Er war 18 Jahre lang loyaler Mitarbeiter der NSA. Frustriert darüber, dass seine Behörde US-Bürger ausspionierte, wurde er lange vor Edward Snowden zum Whistleblower.
Per "Trailblazer"-Enthüllungen zur Persona Non Grata
2010 machte Drake zusammen mit anderen Informationen über ein Spionageprogramm namens "Trailblazer" publik - und wurde zum Staatsfeind. "Ich habe darauf gehofft und gewartet, dass der nächste Knall kommt, nachdem, was ich aus dem Inneren des Apparates wusste", so Drake. Seine Erinnerung würden gut zu den Zeitangaben passen, die in den Medien kursieren. "Kurz nach den Anschlägen des 11. September war es: Weil so viele der Attentäter in Deutschland waren, in Deutschland lebten, oder durch Deutschland gereist waren, erklärten die NSA und die US-Regierung Deutschland zum Ziel Nummer eins in Europa."
Doch das, was jetzt ans Licht komme, sei einfach ungeheuerlich. "Das ist ein unglaublicher Verstoß gegen die Regeln der internationalen Diplomatie", sagt der ehemalige NSA-Offizier. "Das trifft Kanzlerin Merkel sehr persönlich. Das ist ihr persönliches Handy. Warum ist das nötig?", fragt er.
"Sie ist eine unserer Hauptverbündeten im Kampf gegen die wirklichen Bedrohungen." Der Mann, der früher in Spionageflugzeugen für die NSA aus der Luft die DDR überwachte, fühlt sich nun an den Stasi-Staat oder gar an Nazi-Deutschland erinnert. "Deshalb ist es für Angela Merkel so extrem persönlich, wenn ihr Handy belauscht wird", so Drake.
Auch der Washington Post-Journalist und Aufdecker des Watergate-Skandals Bob Woodward kritisierte die Praktiken des US-Geheimdienstes. "Sie müssen diese ganze geheime Welt überdenken", forderte Woodward am Sonntag in einer Talkshow im Fernsehsender CBS. Das Land komme an einen Punkt, an dem eine "geheime Regierung" zum Problem werde. "Wir haben eine unglaublich mächtige Regierung, die auf Autopilot gestellt hat", so Woodward.
Zweifel an Obamas Unkenntnis der Lage
Zusammen mit seinem Kollegen Carl Bernstein hatte Woodward den Skandal um den Lauschangriff auf die demokratische Parteizentrale durch das Wahlkampfteam von Präsident Richard Nixon publik gemacht. Infolge dessen musste Nixon 1974 als erster US-Präsident der Geschichte vom Amt zurücktreten. Kritiker des US-Geheimdienstes wie Hollywood-Regisseur Oliver Stone verglichen den aktuellen NSA-Skandal bereits mit der Watergate-Affäre. Nixons Verbrechen seien dem Internetzeitalter Jahrzehnte vorausgegangen, so Stone in einem Protestvideo, das er zusammen mit zahlreichen Bürgerrechtlern und Schauspielern ins Netz stellte.
Das Weiße Haus fügte seiner alten Stellungnahme zum transatlantischen Handy-Skandal nichts hinzu. "Die Vereinigten Staaten überwachen die Kommunikation der Kanzlerin nicht und werden sie nicht überwachen", hatte Regierungssprecher Jay Carney vergangene Woche aus einem Telefonat Obamas mit Merkel zitiert.
Das könnte eine glatte Lüge gewesen sein, mutmaßten daraufhin Insider. So sagte der ehemalige Vorsitzende des Geheimdienstkomitees im US-Abgeordnetenhaus, Pete Hoekstra, der DW, es würde ihn nicht überraschen, wenn Präsident Obama von der Lauschaktion gegen die deutsche Kanzlerin gewusst haben sollte: "Der Präsident setzt die Regeln fest, unter denen die Geheimdienste arbeiten. Die NSA und andere US-Organisationen können und dürfen nicht außerhalb der Grenzen agieren, die der Präsident ihnen setzt", so der Republikaner.