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Steckt Chinas Neue Seidenstraße in der Klemme?

28. April 2021

Australien stoppt gemeinsame Projekte mit China. Welche Signalwirkung hat der Schritt der Regierung in Canberra für das Prestigeprojekt von Chinas Staatschef Xi Jinping?

ÖBB Erster direkter Güterzug von China nach Wien
Bild: ÖBB

Auch wenn es nur kleinere Projekte von Chinas Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative - BRI) im Bundesstaat Victoria sind, die jetzt von der australischen Zentralregierung gestoppt wurden - Chinas kommunistische Staats- und Parteiführung tobt und droht mit Konsequenzen.

Die geplante Zusammenarbeit, vor allem bei Infrastruktur-Projekten, war zwar kaum über Absichtserklärungen hinausgekommen. Doch die Stoßrichtung, "die Beteiligung chinesischer Infrastrukturunternehmen an Victorias Infrastrukturprogramm zu erhöhen", hatte der australischen Zentralregierung ausgereicht, um den Flirt von Daniel Andrews, dem Premierminister von Victoria, mit der kommunistischen Führung in Peking durch ein Bundesgesetz zu beenden.

Während die chinesische Botschaft die Entscheidung als "unvernünftig und provokativ" bezeichnete, sagte die australische Außenministerin Marise Paine, die Vereinbarungen seien mit der australischen Außenpolitik unvereinbar. Die bisherigen Vereinbarungen im Rahmen der BRI sind ohnehin aus australischer Sicht nicht rechtlich bindend.

Und so wird nichts aus den Plänen Pekings, Filialen chinesischer Infrastrukturfirmen in Victoria zu eröffnen und sich um Aufträge bei großen Projekten in dem Bundesstaat zu bewerben. Genauso wenig werden in Zukunft regelmäßig Delegationen von Infrastrukturunternehmen aus Victoria nach China reisen, um im Austausch mit chinesischen Partnern Kooperationsmöglichkeiten "besser zu verstehen" - was auch immer damit gemeint sein mag. Auch aus der von Peking erhofften Zusammenarbeit in den Bereichen Industrieproduktion, Biotechnologie und Landwirtschaft wird nichts.

Weckruf für den Rest der Welt?

Für Peking sei die Abfuhr aus Canberra vom Umfang her nicht dramatisch, meint Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Zunächst ist das eine bilaterale Angelegenheit zwischen Australien und der Volksrepublik China. Die australisch-chinesischen Beziehungen sind ja seit zwei, drei Jahren ohnehin schlecht und sie werden im Monatstakt schlechter", stellt der Wissenschaftler im Interview mit der DW fest. "Aber es ist ein außerordentlich schwerer Gesichtsverlust für China", unterstreicht Dieter, der sich intensiv mit der chinesischen Außenpolitik unter Xi Jinping beschäftigt. "Die Welt hat dies zur Kenntnis genommen, und es zeigt, dass sich in westlichen Ländern zunehmender Widerstand gegen die Belt and Road Initiative formiert."

China stehe zwar nicht gerade mit dem Rücken zur Wand, sagt Dieter, doch die Prestige-Initiative von Staats- und Parteichef Xi Jinping müsse in Zukunft mit noch mehr Gegenwind in einer ganzen Reihe von Ländern rechnen.

Dämpfer für die Neue Seidenstraße

Durch die Corona-Folgen hat Chinas Projekt der Neuen Seidenstraße mächtig an Schwung verloren. Besonders arme Partnerländer in Asien und Afrika stecken in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

"Die Pandemie kommt für China ausgesprochen ungelegen. Viele Länder haben große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das beginnt beim Haupt-Partnerland Pakistan, das zum wiederholten Male in schwieriges Fahrwasser geraten ist", unterstreicht Dieter. Anderen, noch ärmeren BRI-Partnerländern gehe es genauso. China müsse sich jetzt überlegen, wie es als Geberland mit der neuen Situation umgehen wird. "China müsste entweder die Laufzeiten von Krediten verlängern oder Projekte auch generell zunächst einmal auf die lange Bank schieben", glaubt der Experte.

Undurchsichtige Vertragsdetails

Doch das laufe dem ursprünglichen Markenzeichen der BRI zuwider, dass "man nicht lange gefackelt hat, sondern dass man Ankündigungen relativ schnell umgesetzt hat. Und hier zeigt sich, dass auch Peking das Rad nicht neu erfinden kann und dass auch Peking keine Allwetter-Kooperation, wie das Xi Jinping einmal über die Kooperation mit Pakistan sagte, erfunden hat, sondern auch eher eine Schönwetter-Kooperation pflegt", gibt der SWP-Forscher zu bedenken.

Weil nur wenig Informationen über das Kleingedruckte in den Kreditverträgen der BRI-Partnerländer mit den chinesischen Finanziers bekannt sind, ist völlig unklar, welche Auswirkungen die Wirtschaftskrise in den armen Ländern Asiens und Afrikas haben wird. Erst unlängst hatte eine Gruppe um Forscher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und der Georgetown Universität in den USA 100 Kreditverträge der BRI ausgewertet und in einer Studie mit dem Titel How China Lends veröffentlicht. Die Kernaussagen der Untersuchung bestätigen, was Kritiker der BRI-Kreditverträge seit langem monieren:

"Erstens enthalten die chinesischen Verträge ungewöhnliche Vertraulichkeitsklauseln, die es den Kreditnehmern untersagen, die Bedingungen oder sogar die Existenz der Schulden offenzulegen", fassen die Studienautoren zusammen. 

Außerdem sicherten sich die chinesischen Kreditgeber einen Vorteil gegenüber anderen Gläubigern, indem sie ausschließen, dass BRI-Schulden bei einem Schuldenerlass mit einbezogen werden dürfen, so genannte 'No Paris Club'-Klauseln. Im Pariser Club treffen staatliche Gläubiger mit in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Schuldnerländern zusammen.   

"Drittens erlauben Annullierungs-, Beschleunigungs- und Stabilisierungsklauseln in den chinesischen Verträgen den Kreditgebern potenziell, die Innen- und Außenpolitik der Schuldner zu beeinflussen", lautet das Fazit der How China Lends-Studie.

SWP-Experte Heribert Dieter: Der Gegenwind für Peking wird stärker

Montenegro als warnendes Beispiel

Heribert Dieter nennt diese Vertragsklauseln "skandalös", denn es handele sich nicht, wie von Peking behauptet, um private Kreditverträge, die man nicht offenlegen müsse. "Selbst wenn es auf der chinesischen Seite dem Namen nach private Akteure sind, so sind das vom Staat getragene Akteure."

Aber noch entscheidender sei für die Nehmerländer die Frage: "Sind das Staatsschulden, sind das Zahlungsverpflichtungen, die Länder wie Kenia oder Pakistan eingegangen sind? Und es ist nachgerade abenteuerlich, dass man künftigen Generationen Schulden aufbürdet, ohne dass diese Generationen überhaupt die Möglichkeit haben, Einblick zu nehmen in die Vertragsdetails", kritisiert Dieter.

Er rechnet allerdings nicht damit, dass China zu mehr Transparenz bereit ist. Es sei leider ein "schlechtes Markenzeichen", das in der Belt and Road Initiative undurchsichtige Verträge der Standard sind. "Wir haben in vielen Fällen auch schon sehen können, dass es Verträge sind, die durch den Einsatz von Korruption entstanden sind. Das vielleicht aktuellste Beispiel ist Montenegro, wo man eine absurd teure Autobahn gebaut hat und es vermutlich zur Korruption der Vorgängerregierungen Montenegros gekommen ist."

Durch Wüsten, über Berge und das Meer: Geplante BRI-Trassenführung im GebirgeBild: Arte France/Megane

Angst vor einer Kettenreaktion

Peking habe großen Respekt davor, dass noch mehr Länder wie Australien handeln und die Zusammenarbeit mit Chinas BRI beenden. "Es würde das chinesische Narrativ empfindlich treffen, wenn man feststellen müsste, dass nicht nur das vergleichsweise kleine, von der Bevölkerungszahl kleine Australien, sondern auch größere Akteure sich von der Belt and Road Initiative und damit von der Perspektive einer engeren Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China verabschieden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Australien da nur ein Vorreiter ist, die ist relativ groß", bekräftigt SWP-Forscher Dieter.

Australien könnte dabei eine Frühwarner-Rolle wie der Kanarienvogel im Kohlebergwerk spielen und hätte damit eine Art Signal-Funktion für den Rest der Welt. In den letzten Wochen und Monaten sei im indo-pazifischen Raum die Bereitschaft zur Schaffung von Bündnissen gegen China jedenfalls deutlich gewachsen, so Dieter. "Das vielleicht prominenteste Beispiel ist das Militärbündnis zwischen Australien, Indien, Japan und den USA. Und es steht zu vermuten, dass auch mit Blick auf die Seidenstraßen-Initiative der Gegenwind für China zunehmen wird. Und das ist ausgesprochen unangenehm für Peking."

Nur Berlin steht auf der Bremse

Auch in Brüssel mehren sich die Anzeichen, dass die EU die Gangart gegenüber China verschärft. Selbst früher eher Peking-freundliche Mitgliedsländer wie Italien setzten zunehmend auf einen engeren Schulterschluss zwischen Europa und den USA, stellt der Direktor der China-Denkfabrik MERICS in Berlin, Mikko Huotari, fest. "Hier droht schon die Gefahr, dass die Bundesregierung auf den letzten Metern der Kanzlerschaft Merkel einem Kurs in der China-Politik verhaftet bleibt, der neue geostrategische Grundkonstellationen nicht anerkennt und verkennt, dass sich der Wind auch in vielen anderen Mitgliedstaaten Europas gedreht hat."

Diese Einschätzungen teilt auch SWP-Experte Heribert Dieter: "Das größte Hindernis für die Entwicklung einer gemeinsamen China-Politik der westlichen Industrieländer ist gegenwärtig die Bundesregierung." In nahezu allen Hauptstädten in Europa, in Washington und Tokio habe die Kritik an China sehr stark zugenommen, unterstreicht Dieter. "Nur Berlin bremst. Berlin hat auch mit dem Investitionsschutzabkommen, das Bundeskanzlerin Merkel Ende 2020 noch durchsetzen konnte, ein falsches Signal gesetzt. Ein Signal, das auf Intensivierung der Zusammenarbeit und nicht auf eine allmähliche Reduzierung der Zusammenarbeit mit China gesetzt hat."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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