Stefan Moses porträtiert die deutsche Seele
30. Januar 2019Für Christoph Stölzl, den Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin, war Stefan Moses einer der ganz Großen, der "Grand Old Man der deutschen Fotografie". Deshalb bat er den Fotografen kurz nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989, für die Eröffnungs-Ausstellung des neuen Museums 1991 die Menschen in Ostdeutschland zu porträtieren. Ein Auftrag, den Moses nur zu gern annahm. Monatelang war er in den "Neuen Bundesländern" unterwegs, um auch "das andere Deutschland" kennen zu lernen. "Die Ostdeutschen" wurde einer seiner wichtigsten Bilderzyklen.
Jetzt zeigt das DHM in der Ausstellung "Das exotische Land. Fotoreportagen von Stefan Moses" die frühen Reportagen des Fotografen, der als einer der wichtigsten Porträtisten der deutschen Gesellschaft gilt.
Feines Gespür für soziale Eigenheiten
Stefan Moses, am 29. August 1928 im schlesischen Liegnitz (heute das polnische Legnica) geboren, hatte am eigenen Leib erfahren, was es heißt, ausgegrenzt zu werden. Nach der Rassenlehre der Nazis war der junge Stefan mit zwei jüdischen Großeltern ein "Mischling ersten Grades". 1943 bekam er deshalb Schulverbot und begann als Hilfsarbeiter eine Lehre bei der Breslauer Kinderfotografin Grete Bodlée. 1944 wurde Moses in einem Zwangsarbeiterlager interniert. Nur durch Flucht gelang es ihm zu überleben.
Erst nach Kriegsende konnte er seine Ausbildung fortsetzen. In Weimar wurde Stefan Moses dann Theater- und Bühnenfotograf. Sein erstes prominentes Porträt machte er 1949 von dem Schriftsteller Thomas Mann, der in Weimar anlässlich Goethes 200. Geburtstag zu Gast war. 1950 siedelte Moses nach München um, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2018 lebte. Als Bildjournalist verdiente Moses dort sein Geld und lernte das Reporterhandwerk kennen.
Meister der feinen Nuancen
Der junge Fotograf hatte nicht nur einen unbestechlichen Blick auf die Wesenszüge der Deutschen, sondern auch auf bemerkenswerte gesellschaftliche Phänomene. Wie ein Chronist der Zeitläufe hielt er in den 1950er/60er Jahren in seinen Foto-Serien die snobistischen Neureichen des westdeutschen Wirtschaftswunders genauso wie die versteckte Armut in den Großstädten fest. Heute sind seine Arbeiten zeitgeschichtliche Dokumente.
Oder er fing in einfühlsamen Porträts die innere Zurückgezogenheit ehemaliger deutscher Emigranten ein, die zwischen 1933 und 1945 Nazideutschland verlassen hatten. Sein Schwarz-Weiß-Porträt von Bundeskanzler Willy Brandt - allein im winterlichen Wald, mit melancholischem Blick - ist eine Ikone der Fotografie.
Frühe Konzeptkunst mit der Kamera
Moses hat durch die Veröffentlichungen seiner Fotos in auflagenstarken Magazinen wie dem "Stern" auch die Wahrnehmung der gesamtdeutschen Alltagsgesellschaft verändert. Er legte den Fokus auf Unbeachtetes, auf die Poesie von Gesichtern und die innere Haltung der Fotografierten, die ganze Lebensgeschichten erzählte.
Seine dokumentarischen Reihen stellten sich damit in die Tradition der berühmten "Menschen des 20. Jahrhunderts" von August Sander. Moses tat es ihm gleich, und war doch unverwechselbar in seinem sehr eigenen Stil. Moses hat früh schon konzeptuell gearbeitet, lange bevor der Begriff "Konzeptkunst" in Mode kam.
Fotografien und serielle Bilderzyklen von Moses werden weltweit in Galerien und großen Museen gezeigt. Er war nicht nur ein "Meister der Dunkelkammer", wie ihn die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" einmal nannte, sondern konnte auch handwerklich und künstlerisch perfekt mit den Stilmitteln der Fotografie umgehen. Und trotzdem wirken seine Arbeiten extrem schlicht und scheinbar zufällig fotografiert.
Entdeckungsreise durch ostdeutsches Vaterland
Die gut dotierte Auftragsarbeit des Deutschen Historischen Museums ermöglichte es Stefan Moses nach dem Mauerfall, ausgiebig in Ostdeutschland mit der Kamera unterwegs zu sein - in aller Ruhe, wie es in diesen revolutionären Wende- und Umbruchjahren sonst nur schwerlich möglich war. Heraus kam die Reihe "Ostdeutsche Porträts", die zu seinen wichtigsten Arbeiten zählt.
Monatelang reiste er dafür 1989/90 durch die ehemalige DDR, fuhr über Land, inspizierte die Städte, sprach mit Menschen, die der Mauerfall aus ihren gewohnten Lebenszusammenhängen gerissen hatte. Bewusst unprätentiös stellte er Fabrikarbeiter, Fischverkäuferinnen, Monteure, Polizisten, aber auch Künstler, Pfarrer und Schriftsteller einfach vor ein zerknittertes graues Filztuch. Alles andere überließ er seinen Protagonisten. Der Moment entschied über die Aufnahme.
Zurückhaltung und Respekt gehörten bei Stefan Moses zum Handwerk. Für ihn stand der Mensch im Mittelpunkt, nicht die Effekthascherei der Kunstfotografie oder der Fotoreporter. Er arbeitete gern im Stillen - als Meister der fein abgestuften Grautöne. Seine nuancenreichen Porträts, nur äußerst selten in Farbe fotografiert, sind legendär. Moses hat damit Fotografie-Geschichte geschrieben.
Das Wesentliche fotografieren
Als Fotograf drängte sich Stefan Moses nie mit seiner Kamera auf, inszenierte keine spektakulären Posen, sondern versuchte, das Wesentliche seines Gegenübers einzufangen. International bekannt wurde er mit seinen Porträtreihen "Die großen Zeitzeugen" oder "Die großen Alten". "Fotografieren ist Erinnerungsarbeit", sagte Moses einmal über seine Arbeit. "Meine ist, Menschen festzuhalten, bevor sie verloren gehen."
Zu den von ihm Abgelichteten gehörten bekannte Persönlichkeiten wie Theodor W. Adorno, Ingeborg Bachmann, Hilde Domin, Tilla Durieux, Thomas Mann, Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser und Botho Strauß. "Einfühlsamer ist die Suche nach Identität nie gezeigt worden", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" 2013 über seine Porträts.
Die Ausstellung "Das exotische Land. Fotoreportagen von Stefan Moses" ist im Deutschen Historischen Museum in Berlin vom 1. Februar bis zum 12. Mai 2019 zu sehen.