1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Steht die Türkei vor dem NATO-Rauswurf?

Daniel Derya Bellut
29. Oktober 2019

Laut einer Umfrage ist die Mehrzahl der Deutschen für einen Ausschluss der Türkei aus der NATO - viele Politiker unterstützen diese Idee. Doch das ist eher unrealistisch. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Türkei Ankara NATO-Generalsekretär Stoltenberg und Außenminister Cavusoglu
Bild: AFP/Turkish Foreign Ministry/C. Ozdel

Die türkische Militäroperation im Norden Syriens hat die Beziehungen mit der NATO weiter belastet. Und so werden auch Rufe nach einem Ausschluss der Türkei lauter: Neben Politikern der Linken stellte auch der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die türkische NATO-Mitgliedschaft infrage. Breite Teile der deutschen Bevölkerung teilen diesen Ansatz: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 58 Prozent für einen Ausschluss der Türkei aus der NATO aus, nur 18 Prozent waren dagegen.

Worum geht es bei dem Streit?

Für die türkische Regierung war die Militäroperation in Nordsyrien bereits ein großer Erfolg: Denn die Bildung eines kurdischen Staates hat man damit empfindlich gestört. Außerdem wird die von Ankara als terroristisch eingestufte Kurdenmiliz YPG in Zusammenarbeit mit der russischen Militärpolizei von der syrisch-türkischen Grenze verdrängt.

Die Operation ist im sicherheitspolitischen Interesse Ankaras. Gleichzeitig steht der Einsatz in einem klaren Interessenskonflikt mit den meisten NATO-Ländern: Der Militäreinsatz habe dem sogenannten Islamischen Staat (IS) gestärkt und die Flucht von IS-Kämpfern erleichtert, lautet die oft geäußerte Kritik des Westens.

Der Einsatz hat auch den größten NATO-Konkurrenten - nämlich Russland - gestärkt. Die sogenannte Operation "Friedensquelle" half Moskau dabei, ihre Vormachtstellung in Syrien zu festigen und Syrien als "Vasallenstaat" des Kremls zu etablieren.

Während die meisten NATO-Länder die türkische Operation stark kritisieren, - der deutsche Außenminister Heiko Maas bezeichnet sie als "völkerrechtswidrig" - betrachtet die türkische Regierung den Einsatz als Terrorbekämpfung. Man erwarte keine Beschuldigungen, sondern ein "Bekenntnis zur Solidarität" von den NATO-Partnern, entgegnet der türkische Außenminister den Kritikern.

Was ist die Vorgeschichte?

Die Spannungen zwischen Ankara und der NATO haben sich in den letzten Monaten stetig hochgeschaukelt. Besonders der Streit um das russische Raketensystem S-400 zeigte, wie wenig Vertrauen es zurzeit zwischen der türkischen Regierung und den NATO-Partnern gibt. Denn die Türkei entschied sich dagegen, ihren Luftraum mit einem amerikanischen Raketenabwehrsystem zu schützen. Stattdessen erwarb die Türkei das Waffensystem S-400 vom NATO-Gegner Russland.

Posieren mit seinem iranischen und russischen Amtskollegen - die Türkei wendet sich auch östlichen Mächten zuBild: Imago Images/Depo Photos

Für den Westen gibt es dabei Sicherheitsbedenken. Es wird befürchtet, dass der Kreml durch die Radartechnik des S-400 auf geheime NATO-Informationen zugreifen kann. Die US-Amerikaner waren so verärgert über Ankaras Alleingang, dass sie dem NATO-Partner sogar ein Ultimatum stellten und mit Wirtschaftssanktionen drohten. Auch am Tag, an dem die türkische Militäroffensive begann, drohte der amerikanische Präsident höchstpersönlich seinem Amtskollegen Erdogan damit, die "türkische Wirtschaft zu zerstören."

Zudem geht unter NATO-Partnern die Sorge um, dass die militärische und außenpolitische Kooperation mit Moskau die Abkehr Ankaras von ihren westlichen Bündnispartnern vorantreiben könnte. Experten gehen davon aus, dass der russische Präsident mit seiner Türkei-Politik versucht, die NATO zu spalten.

Kommt es bald zum NATO-Ausschluss der Türkei?

Ein Ausschluss der Türkei ist rein rechtlich unwahrscheinlich und schon fast unmöglich. Der NATO-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land aus dem transatlantischen Bündnis ausgeschlossen wird. Ein Mitgliedsland kann aber nach Artikel 13 im NATO-Vertrag den Austritt selber erklären. 

Die Türkei ist ein wichtiger Partner für Deutschland und den Westen. Bild: Imago Images/photothek

Der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel bezeichnete im Tagesspiegel einen Türkei-Ausschluss als "skurril". Ein Ausschluss führe dazu, dass ein "neues großes Sicherheitsrisiko an der EU-Ostgrenze entstehe."

Auch beim NATO-Treffen vergangenen Woche standen die Zeichen nicht auf Isolation. Ganz im Gegenteil: Die strategische Bedeutung der Türkei wurde immerzu betont. Nicht verwunderlich, denn die Türkei ist für das Bündnis schwer verzichtbar - mit ihrer geografischen Lage zwischen Ost und West ist sie ein Brückenland. Ohne die Türkei wäre die NATO geopolitisch weniger handlungsfähig - zum Beispiel mit Hinblick auf die Terrorbekämpfung oder die Steuerung von Flüchtlingsbewegungen. Zudem verfügt die Türkei über die zweitgrößte Armee eines NATO-Staates - ein Ausschluss würde die militärischen Kapazitäten des Verteidigungsbündnisses empfindlich treffen.

Wird die Türkei aus der NATO austreten?

Auch diese Variante ist eher unwahrscheinlich. Denn zwischen dem Verteidigungsbündnis und der Türkei besteht eine gegenseitige Abhängigkeit. Die NATO eröffnet Ankara eine Gesprächsplattform mit den mächtigsten Ländern der Welt. Zudem ist die Türkei außenpolitisch sehr isoliert. Nichts zeigt das besser als die Militäroperation in Nordsyrien. Da positionierte sich die ganze Weltgemeinschaft - sogar arabische und muslimische Staaten - gegen den Einsatz. Der militärische Schutz durch das stärkste Militärbündnis der Welt ist besonders für ein isoliertes Land wie die Türkei ein unverzichtbarer Sicherheitsfaktor.