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PolitikEuropa

Steht die Visegrad-Gruppe vor einem Comeback?

27. Oktober 2022

Differenzen über die Russlandpolitik haben die vier Staaten der Visegrad-Gruppe entzweit. Doch nun will die Slowakei das mitteleuropäische Bündnis wieder beleben - trotz aller Spannungen zwischen den Mitgliedern.

Slowakei l Treffen der Präsidenten der Visegrad-Gruppe in Bratislava
Treffen der Präsidenten der Visegrad-Gruppe in Bratislava am 11.10.2022Bild: Vaclav Salek/CTK/dpa/picture-alliance

Kehrt die Visegrad-Gruppe (V4) auf die Bühne der internationalen Politik zurück? Dieser lose Zusammenschluss von vier mitteleuropäischen Staaten hatte sich seit seiner Gründung im Jahr 1991 regelmäßig getroffen. Nach einer mehrmonatigen Unterbrechung fand Ende September 2022 nun wieder ein Treffen der Verteidigungsminister der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polens und Ungarns statt. Anfang Oktober kamen sogar die V4-Präsidenten zu einem Gipfeltreffen in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zusammen. 

Trotzdem bleibt fraglich, ob die vier Visegrad-Staaten in der Lage sein werden, ihre enge Zusammenarbeit aus den Anfangsjahren wiederzubeleben. Im Jahr 2016 hatte sie vor allem die gemeinsame Ablehnung einer europäischen Migrations- und Asylpolitik zusammengeschweißt. Danach jedoch drohte die Visegrad-Gruppe durch wachsende Divergenzen ihrer Regierungen in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten.

Die russische Aggression hat Visegrad lahmgelegt

Die bisher größte Krise in der Gruppe der Vier löste Ungarn im März 2022 aus, als es sich weigerte, die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression eindeutig zu unterstützen. Die Regierung in Budapest setzte ihre Kontakte nach Moskau fort und verbot den Transport westlicher Waffen zur Unterstützung der Ukraine über ungarisches Territorium. "Dies ist nicht unser Krieg", erklärte Ministerpräsident Viktor Orban im Juli in einer programmatischen Rede bei einem Kongress ungarischer Minderheitenvertreter im rumänischen Kurort Baile Tusnad. Die Ukraine könne den Krieg mit Russland niemals gewinnen, sagte er, die EU-Sanktionen gegen Moskau seien "ein Schuss ins eigene Knie".

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sorgt für Streit in der Visegrad-GruppeBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Ganz anders verhielten sich die drei anderen V4-Länder: Sie leisteten der Ukraine sehr umfangreiche militärische und humanitäre Hilfe. Polen und die Tschechische Republik waren die ersten NATO-Länder, die der Regierung in Kiew Panzer und schweres militärisches Gerät zur Verfügung stellten, die Slowakei lieferte sogar das Flugabwehrsystem S300. Bezogen auf die Bevölkerungszahl nahmen Polen und Tschechien die meisten ukrainischen Kriegsflüchtlinge auf - Ungarn dagegen kaum welche. Nach dem klaren Sieg von Orbans Fidesz-Partei bei den Parlamentswahlen im April 2022 sagten viele politische Beobachter das Ende von V4 voraus. "Das Ergebnis der ungarischen Wahlen bedeutet das faktische Ende der Visegrad-Gruppe oder ihre längerfristige Stilllegung", meinte etwa der Politologe Josef Mlejnek von der Karls-Universität in Prag im Tschechischen Rundfunk.

Neustart in Bratislava

Die Slowakei, die bis Juli 2023 den Visegrad-Vorsitz innehat, ist jedoch entschlossen, die V4 zu reaktivieren. "Visegrad ist und bleibt. Wir wollen es nicht auflösen", sagt der slowakische Außenminister Rastislav Kacer der DW und fügt hinzu: "Wir sagen, lasst uns an den Themen arbeiten, bei denen wir uns auf eine gemeinsame Linie einigen können. Wir sollten die V4 nicht für Themen nutzen, bei denen wir uns nicht einig sind." Es sei sinnlos, vor EU-Gipfeln wie in den vergangenen Jahren an Positionen zu feilen, bei denen es unter den Visegrad-Ländern keinen Konsens gäbe. Kacer kündigte an, dass die Slowakei in den kommenden Wochen sowohl einen Gipfel der V4-Regierungschefs als auch ein Treffen der Außenminister einberufen werde.

Treffen der Präsidenten der Visegrad-Gruppe in Bratislava am 11.10.2022 (v.l.n.r.): Zuzana Caputova (Slowakei), Andrzej Duda (Polen), Katalin Novak (Ungarn), Milos Zeman (Tschechien)Bild: Vaclav Salek/CTK/dpa/picture-alliance

Das Gipfeltreffen der Visegrad-Präsidenten am 11. Oktober 2022 in Bratislava sei eine gute Gelegenheit gewesen, "noch einmal zusammenzufassen, was uns verbindet und wo wir unterschiedliche Ansichten haben", sagte die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova. "Wir haben eine reiche Zusammenarbeit im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich. Wo wir uns nicht einig sind, bin ich froh, dass wir einen offenen Dialog führen, der aufrichtig ist und in dem wir uns verständigen können." 

Ihre ungarische Amtskollegin Katalin Novak ergänzte: "Wir sind uns über das Wesentliche einig. Wir verurteilen den Angriff auf einen souveränen Staat, wir verurteilen die Annexion und wir verurteilen die Angriffe auf Zivilisten. Dies sind inakzeptable Schritte, ebenso wie die Androhung eines nuklearen Konflikts." Obwohl Ungarn Vorbehalte gegen die antirussischen Wirtschaftssanktionen habe, unterstütze es letztlich alle EU-Sanktionspakete gegen die Russische Föderation. "Und wir werden dies auch weiterhin tun", fügte Novak hinzu.

Große Widersprüche bleiben bestehen

Die meisten Beobachter und Diplomaten in den Visegrad-Ländern sind sich jedoch einig, dass die V4 heute nur wenige gemeinsame Interessen haben und eine Rückkehr zu der engen Zusammenarbeit früherer Jahre unwahrscheinlich ist. "Bei der Verabschiedung des ersten EU-Energiepakets hatten Polen und die Slowakei Vorbehalte, bei der des zweiten Pakets Polen und Ungarn", sagte ein hochrangiger mitteleuropäischer Diplomat in Brüssel der DW.

Vit Dostal, Geschäftsführer der tschechischen Vereinigung für Internationale AngelegenheitenBild: AMO

Vit Dostal von der tschechischen Vereinigung für internationale Angelegenheiten sieht den Gipfel der V4-Präsidenten nicht als Durchbruch für die Wiederbelebung der Visegrad-Gruppe. "Es ist kein Wendepunkt", betont er im Gespräch mit der DW. Das Treffen der Präsidenten sei nicht wirklich relevant, entscheidend dürfte dagegen das in den kommenden Wochen geplante Treffen der Ministerpräsidenten werden. Bis dahin sei es verfrüht, von einem Neustart zu sprechen, so Dostal.

Visegrad entgiften

Für Streit in der Visegrad-Gruppe sorgt immer wieder die Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Ungarn und Polen. Weder die Tschechische Republik noch die Slowakei wollen sich in dieser Frage auf die Seite Warschaus und Budapests stellen und gemeinsam mit ihnen eine Plattform des Widerstands gegen Brüssel bilden. "Wir wollen Visegrad entgiften", so der slowakische Außenminister Kacer zur DW. Das Bündnis solle nicht zu einem Instrument werden, das Europa spalte, sondern zur europäischen Einigung beitragen. "Wir wollen nach Lösungen suchen, die Europa stärker machen."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag
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