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Steht die "Zu Verschenken"-Kultur in Berlin vor dem Aus?

Josh Axelrod
7. Oktober 2025

Beliebte Praxis in Berlin: Viele Leute stellen noch brauchbare Dinge vor das Haus und die kann jeder bei Bedarf mitnehmen. Jetzt drohen hohe Bußgelder, weil zu viel illegaler Müll entsorgt werden muss. Bringt das was?

Hemd und Pullover auf einem Kleiderbügel, der an einem Baum vor einem Mietshaus aufgehängt ist.
Wer will, nimmt es mit. Berliner sind erfinderisch, und geben gebrauchte Kleider, Bücher oder Möbel gerne an andere weiterBild: Josh Axelrod /DW

Zwischen alten Sofas und kaputten Kühlschränken, Kisten mit Babykleidung und Kassetten kann man in den Straßen Berlins versteckte Schätze finden. So entdeckte der Berliner Musiker Eno Thiemann in einer unscheinbaren Kiste einen neuen Lieblingsautor. 

Er fand die Bücher von Haruki Murakami , die jemand mit dem Schild "Zu Verschenken" vors Haus gestellt hatte. Das Verschenken noch brauchbarerer Gegenstände ist in Berlin schon lange verbreitet. Sie werden auf Fensterbänken und vor Häusern abgelegt, damit andere sie mitnehmen können. Und das tun viele, oft innerhalb weniger Minuten.

"Als ich 2013 zurückkam habe ich mich gefreut, dass es hier diese Art von Kultur gibt", sagt Thiemann. Er hatte dreißig Jahre vorher die Stadt verlassen, bevor sich diese Praxis durchgesetzt hatte. "Die meisten Menschen werfen ihren Müll nicht einfach weg – es ist eine nette Geste und es bereichert die Nachbarschaft."

Kleine Taschen und Kisten mit CDs, Spielen, Büchern und Kleidung, die jeder mitnehmen kann, gibt es an vielen Ecken in Berlin.Bild: Josh Axelrod/DW

Doch der Berliner Senat plant jetzt höhere Geldstrafen für Leute, die Gegenstände auf die Straße stellen. Damit könnte diese informelle Kreislaufwirtschaft bald der Vergangenheit angehören.

Die Umweltbehörden der Stadt sagen, dass die Idee, Dinge für andere zum Mitnehmen zurückzulassen, zwar "gut und wünschenswert" sei, aber "zu Exzessen geführt hat, die nicht mit der ursprünglichen Absicht vereinbar sind". Und es ist nicht billig, das aufzuräumen, was niemand will. Allein im letzten Jahr kostete es die Stadt etwa 10,3 Millionen Euro, Müll, einschliesslich Elektroschrott und Bauabfälle, zu entsorgen, die unerlaubt auf der Straße entsorgt wurden.

"Es muss klar sein, dass das Zurücklassen von Gegenständen auf der Straße den Besitzer nicht von seiner Verantwortung dafür befreit, nach dem Motto: Ich habe es weggegeben und jetzt bin ich es los", so eine Sprecherin der Umweltbehörde gegenüber der DW.

Berlin erhöht Bußgelder für illegalen Müll 

Im vergangenen Jahr hatten die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) 54.000 Kubikmeter illegalen Müll im Stadtgebiet entsorgt, acht Prozent mehr als im Vorjahr. Als Hauptverursacher des Problems sehen die BSR unseriöse Entrümpelungsfirmen und Bauunternehmen, die "Entsorgungskosten einsparen", sagt ein Sprecher der BSR. 

Was stehenbleibt, muss die Stadtreinigung später teuer entsorgen. Bild: Josh Axelrod/DW

Das macht hohe Geldstrafen notwendig, weil "unverbesserliche Müllsünder oft nur über ihren Geldbeutel zu erreichen sind". Die Bußgelder, die in den kommenden Wochen in Kraft treten sollen, hängen davon ab, was genau weggeworfen wird. Wer etwa im zentralen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Kleidung oder Geschirr vor das Haus stellt, muss künftig mit Bußgeldern zwischen 150 und 300 Euro rechnen – bisher waren es zwischen 25 und 75 Euro.

Wer Geräte wie Kühlschränke oder Waschmaschinen nicht ordnungsgemäß entsorgt, kann künftig mit einer Strafe zwischen 1.000 und 15.000 Euro belegt werden. Bisher lag die Höchststrafe dafür bei 5.000 Euro.

Wie realistisch sind die Strafen?

Die Bußgelder sollen entweder von Mitarbeitern in Zivil vor Ort verhängt werden, oder aufgrund von Zeugenaussagen, die online gemeldet werden können. Die Berliner sind allerdings nicht davon überzeugt, dass die Strafen tatsächlich durchgesetzt werden können.

"Sie gehen raus, finden eine Matratze und was dann?", fragt Marianne Kuhlmann, Mitbegründerin von Circularity, einer Berliner Organisation, die Unternehmen hilft, ihren Abfall zu reduzieren. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Person in dem Moment erwischen, wo sie die Matratze dort abstellt, ist extrem gering."

"Es wird schwierig die Personen hinterher zu finden, wenn sie nicht ihre Visitenkarte in den Kartons hinterlassen", sagt Thiemann.

Kreislaufwirtschaft mit offiziellen Anlaufstellen  

Die BSR argumentiert, dass die Berliner andere Möglichkeiten nutzen können, um Gegenstände loszuwerden, die sie nicht länger haben wollen.

"Niemand in unserer Stadt ist gezwungen, seinen Müll einfach auf der Straße zu lassen", sagt BSR-Sprecher Sebastian Harnisch gegenüber der DW. "Privatpersonen haben viele attraktiver Entsorgungsmöglichkeiten, um Sperrmüll, Elektroschrott und anderen Müll gratis oder zu geringen Kosten zu entsorgen."

Alte Möbel, die auf die Strasse gestellt werden, finden oft ganz schnell einen neuen Besitzer.Bild: Josh Axelrod/DW

Dazu gehören laut BSR sogenannte Nachbarschaftstauschbörsen, die insgesamt 14 Recyclingzentren der Stadt oder der Secondhand-Laden "NochMall", der sogar einen allerdings kostenpflichtigen Abholservice anbietet.

Eine "kurzsichtige" Politik?

Kritiker finden jedoch, dass das nicht den Kern des Problems trifft. Sie sagen, dass offizielle Abgabestellen für Leute ohne Auto weniger attraktiv seien.

Doris Knickmeyer, von der Berliner Non-Profit-Organisation "Zero Waste e,V."  befürchtet, dass das harte Durchgreifen der Stadt unerwünschte Folgen haben könnte.

"Menschen, die Angst haben, mit einer Geldstrafe belegt zu werden, werfen jetzt möglicherweise noch brauchbare Dinge in den Müll, weil das einfacher und bequemer ist, als durch die halbe Stadt zu fahren, um sie bei NochMall zu spenden."

Sie weist auch darauf hin, dass kein Unterschied gemacht wird zwischen denen, die schäbige Möbel, die keiner mehr haben will, einfach auf die Strasse abstellen, und Leuten, die etwa eine Kiste mit leicht gebrauchten Kleidungsstücken herausstellen, die möglicherweise noch am selben Tag abgeholt werden.

Unschöner Müll: Nicht für alles, was am Strassenrand steht, findet auch neue Besitzer Bild: Josh Axelrod/DW

"Es ist problematisch, Menschen, die Verantwortung für die Umwelt übernehmen, gleichzusetzten mit Umweltverschmutzern, die sich ihrer Verantwortung entziehen", sagt Knickmeyer.

Wie gut ist Berlin beim Recycling von Abfall?

Im Jahr 2021 hat Berlin seine Strategie "Zero Waste 2030" vorgestellt und versprochen, dass "Rohstoffe kontinuierlich wiederverwendet und recycelt werden sollten, um so lange wie möglich neue Produkte herzustellen".

Bis 2030 will die Stadt 64 Prozent der Bauabfälle recyceln und die Menge an Restmüll um 20 Prozent reduzieren.

Damit und mit der Einrichtung einer Zero-Waste-Agentur innerhalb der Berliner Stadtreininung BSR ist die Hauptstadt zwar auf dem richtigen Weg. Doch laut einem Bericht der OECD, einer Vereinigung von 38 Industrieländern zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, ist Berlins "Abhängigkeit von der Müllverbrennung nach wie vor hoch", und die "Recyclingquoten liegen unter dem nationalen Durchschnitt".

Um das Klima zu schützen, haben Städte wie Madrid, Brüssel, Kopenhagen und Ljubljana bereits damit begonnen, ihre Abhängigkeit von der Müllverbrennung zu verringern und Pläne zum Bau neuer Anlagen abzulehnen.

Knickmeyer schlägt vor, dass Berlin seine "Zu Verschenken"-Kultur beibehält, mit speziell vorgesehenen Plätzen in jeder Straße oder jedem Stadtteil, an denen Dinge verschenkt werden können.

"Man muss ein Gleichgewicht finden, es den Leuten leicht machen und eine Kultur des Teilens in der Gemeinschaft fördern, aber auch verstehen, dass es die Stadt vor  echte Probleme stellt, wenn die Reinigung der Straßen jährlich Millionen kostet", sagt Kuhlmann.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert von Gero Rueter.

Redaktion: Tamsin Walker

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