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Steinberg: "Al-Kaida im Irak wird immer stärker"

Najima El Moussaoui4. Januar 2014

Der Nahost-Experte Guido Steinberg meint, dass die Gewaltausbrüche im Irak zum Dauerzustand werden. Verantwortlich seien die erstarkenden Al-Kaida nahen Gruppierungen. Der Syrienkrieg heize den Konflikt noch weiter ein.

Guido Steinberg, SWP (Foto: DW)
Bild: DW/S. Amri

DW: Welche Gruppierungen sind Ihrer Meinung nach für die gegenwärtigen Gefechte im Irak verantwortlich?

Guido Steinberg: Anlass der jetzt eskalierenden Unruhe in Ramadi und Falludscha war, dass die Regierung versucht hat, den sunnitischen Abgeordneten Ahmed al Alwani zu verhaften. Daraufhin hat es Proteste und Zusammenstöße gegeben. Und dann hat Al-Kaida von dieser Unruhe profitiert, indem sie selbst Einheiten in diese Städte geschickt hat. In dem Moment haben aber auch viele Sunniten begonnen, sich gegen Al-Kaida zu wehren. Die Lage ist deutlich komplexer als eine einfache Frontstellung Schiiten gegen Sunniten.

Das heißt, der Irak hat es innenpolitisch nicht vorwiegend mit einem Konfessionskonflikt zu tun?

Der konfessionelle Aspekt sollte da nicht überbetont werden. Der Konflikt im Irak ist zunächst einmal ein politischer Konflikt zwischen Ministerpräsident Nuri al-Maliki und der Opposition - den Sunniten und den Säkularisten im Westen des Iraks. Dazu kommt jetzt das Erstarken von Al-Kaida. Diese Organisation ist aber nicht deckungsgleich mit der sunnitischen Opposition.

"Al-Kaida profitiert vom Rückzugsgebiet in Syrien"

Wie kommt es, dass die sunnitische Extremistengruppe "Islamischer Staat im Irak und der Levante" (ISIL) - ein irakischer Ableger von Al-Kaida - es geschafft hat, binnen weniger Tage die Stadt Falludscha und Teile von Ramadi einzunehmen?

Die Al-Kaida im Irak profitiert enorm davon, dass sie ein Rückzugsgebiet in Syrien hat. Die Meldungen, dass die Gruppe Falludscha und Teile der Stadt Ramadi eingenommen hat, ist ein Hinweis darauf, dass die Organisation sowohl im Irak als auch in Syrien stärker wird. Ihr ist es somit gelungen, die Regierungstruppen im Häuserkampf herauszufordern.

Im Gebiet um Ramadi wurden nach Angaben eines Milizenchefs 62 islamistische Aufständische getötet.Bild: picture-alliance/dpa

Demnach befeuern sich der Konflikt im Irak und der Syrienkrieg gegenseitig. Zumal irakische Soldaten aufseiten der syrischen Regierung kämpfen und irakische Extremisten auf der Seite der Opposition. Welche Konsequenzen hat das?

Wenn sich diese Situation nicht ändert, entsteht im Irak und in Syrien ein Raum, in dem verschiedene dschihadistische Gruppen unkontrolliert agieren. Weder der irakische noch der syrische Staat können in diesem Raum effektiv und langfristig Kontrolle ausüben. Schon heute sind der Nordwesten des Iraks sowie der Nordosten Syriens und Teile der großen Städte Syriens ein nahezu zusammenhängendes Operationsgebiet der irakischen Al-Kaida.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Lage im Irak langfristig bessert?

Im Moment ist der Trend ein anderer. Wir erleben eine langsame, aber doch sichere Destabilisierung des Iraks. Das Gewaltniveau entspricht dem von 2008, als viele Beobachter von einem Bürgerkrieg gesprochen haben.

Andererseits gibt es eine Zentralregierung, die über enorm viel Geld aus den Ölexporten verfügt. Damit kann die Regierung al-Maliki die Sicherheitskräfte des Landes bezahlen. Damit sehe ich keine realistische Chance für substaatliche Gruppierungen, diesen Staat zu erschüttern.

Was halten Sie demnach für das realistischste Zukunftsszenario?

Ich glaube, am wahrscheinlichsten ist es, dass der momentane Zustand - Gewaltausbrüche bei gleichzeitiger Stabilität der Regierung - noch sehr, sehr lange Zeit im Irak bestehen bleibt. Mindestens genauso lange, wie der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien andauert.

"Al-Maliki, eine der stärksten Persönlichkeiten im Land"

Bisher konnte sich Ministerpräsident Nuri al-Maliki trotz der Gewaltausbrüche über zwei Regierungsperioden halten. Wie schätzen Sie seinen derzeitigen politischen Einfluss ein?

Maliki ist im Moment und bis zu den Wahlen die stärkste Persönlichkeit im Land. Er ist deswegen so stark, weil er über die irakischen Sicherheitskräfte verfügt: Armee, Polizei und Geheimdienste unterstehen ihm. Laut Schätzungen sind dies insgesamt bis zu 900.000 Mann.

Nuri al-Maliki verfügt über etwa 900.000 Sicherheitskräfte im IrakBild: Getty Images

Gefährden die sunnitischen Extremisten seine mögliche Wiederwahl als Ministerpräsident bei den Parlamentswahlen im April dieses Jahres?

Ich gehe davon aus, dass er wieder Ministerpräsident werden will. Ob er die Wahl gewinnt, hängt davon ab, ob er seine ehemaligen kurdischen und schiitischen Verbündeten auf seine Seite bringen kann. Er ist sicherlich innenpolitisch durch das Erstarken von Al-Kaida etwas geschwächt. Das liegt daran, dass er in den sunnitisch besiedelten Gebieten (etwa in den Städten Ramadi und Falludscha; Anm. d. Red.) nicht für Ruhe und Ordnung sorgen kann.

Einfluss der USA schwindet

Welche Rolle spielen die USA noch im Irak?

Der Einfluss der USA ist noch vorhanden. Er ist jedoch seit dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 sehr viel geringer geworden. Die USA beliefern die irakischen Sicherheitskräfte mit Waffen und - wahrscheinlich noch wichtiger - mit Informationen, um Al-Kaida zu bekämpfen. Aber auf die grundsätzlichen politischen Probleme des Landes, den Konflikt al-Malikis mit den Minderheiten im Land, haben die USA offenbar keinen Einfluss mehr.

Welchen Einfluss haben denn die beiden größten Regionalmächte, der Iran und Saudi-Arabien, auf den Irak?

Der Iran ist der wichtigste außenpolitische Verbündete der Regierung Maliki. Die Iraner haben faktisch den Platz der US-Amerikaner im Irak eingenommen. Sie sind sicherlich keine Besatzungsmacht, aber sie sind gewissermaßen der Patron eines starken Klienten.

Saudi-Arabien spielt im Gegensatz dazu im Irak kaum eine Rolle. Dazu sind sie zu schwach. Sie wollen auch keine militanten Gruppierungen - etwa die irakische Al-Kaida - unterstützen. Das führt dazu, dass sie im Land nur recht schwach vertreten sind. Es ist nicht abzusehen, dass sie im Irak in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen werden.

Dr. Guido Steinberg ist Nahost-Experte und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Das Gespräch führte Najima El Moussaoui.

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