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Steinbrücks Talk in Berlin

Kay-Alexander Scholz4. April 2013

Bleibt Angela Merkel Bundeskanzlerin? Das hängt auch davon ab, ob der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Punkte für die Sozialdemokraten sammeln kann. Das versuchte er auf einem Townhall-Meeting in Berlin.

[38562813] Steinbrück unterwegs in Berlin SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück diskutiert am 03.04.2013 mit rund 600 Berlinern in einer Talk-Runde "Klartext" im Tempodrom in Berlin. Im Rahmen seiner Berlin-Länderreise besucht Steinbrück verschiedene Unternehmen. Foto: Hannibal/dpa
Peer Steinbrück SPD Kanzlerkandidat Talkrunde Klartext in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Willkommen im Tempodrom, sagt der Moderator zu den einigen hundert Gästen und in die Fernsehkameras. Doch das stimmt nur halb. Denn das Townhall-Meeting des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück in der Hauptstadt findet nicht dort statt, wo sonst Glamourstars wie Patricia Kaas oder Diana Ross auftreten. Nein, die SPD hat sich eine Ecke zwischen Garderobe und Treppe ausgesucht. Und hier, neben einem Stehtisch in der Mitte, soll Steinbrück "Klartext" reden. So ist seine Tour durch mehrere Bundesländer überschrieben.

SPD muss aufholen

Die Medienaufmerksamkeit für Steinbrücks Berlin-Termin ist hoch, denn es ist Halbzeit für den Kandidaten mit Blick auf die Bundestagswahl im September. Doch bisher konnten die SPD und ihr Kandidat nur wenig Punkte bei den Wählern machen. Die Partei stagniert in Meinungsumfragen bei unter 30 Prozent. Merkels Vorsprung beim direkten Vergleich der Kandidaten ist kaum geschmolzen. Die SPD braucht also einen neuen Anlauf.

Steinbrück redet weiter "Klartext"

01:28

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Gastgeber des Townhall-Meetings ist der Berliner SPD-Vorsitzende Jan Stöß, begleitet von vielen SPD-Mitgliedern und Funktionären der Hauptstadt. Doch Steinbrück und er würdigen sich kaum eines Blickes. Denn Stöß hat vor einigen Tagen Anstößiges gesagt und damit Schlagzeilen gemacht. Er brachte eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen ins Gespräch, toleriert von der Linkspartei. Doch so etwas will mitten im Wahlkampf auf Bundesebene niemand laut sagen. Ein Bündnis mit den ganz Linken gilt als wenig salonfähig. Auch Steinbrück unterstreicht noch einmal, dass er nur als Kanzler einer Regierung von SPD und Grünen zur Verfügung stünde.

Beliebte Themen

Dann redet Steinbrück eine Viertelstunde, um der Veranstaltung Schwung zu geben. Zunächst schmeichelt er den Berlinern, lobt die Dynamik der von einem SPD-Bürgermeister regierten Stadt und das Gründerfieber der vielen Start-Ups. Vom Pannenflughafen, bisher ein Milliardengrab ohne Öffnungstermin, will Steinbrück nicht reden. "Wir lassen uns diese Debatte nicht aufquatschen, sondern konzentrieren uns auf die Dinge, die gelungen sind", sagt er und viele klatschen. Allerdings verschweigt Steinbrück, dass der Flughafen viele Steuergelder aufsaugt, die Berlin dringend für Schulen und Straßen bräuchte.

Danach geht es um Europa. Man dürfe Europa nicht auf das ökonomische Gebilde reduzieren, sagt Steinbrück. Man habe versäumt, Europa neu zu erzählen, als Ort der Menschenrechte und gelungenes Friedensprojekt. Das klingt teilweise wortgenau wie das, was Bundespräsident Joachim Gauck vor einigen Wochen in seiner Europa-Rede sagte.

Abgrenzung nach oben und unten

Schnell beginnen die Fragerunden, der Kern der Veranstaltung. In seinen Antworten bekommt Steinbrück Gelegenheit, das Wahlprogramm der SPD zu erläutern. Die Partei wolle Steuererhöhungen, das macht Steinbrück deutlich und bittet um Unterstützung dafür. Vor allem der Spitzensteuersatz bei der Lohnsteuer soll erhöht werden. Das Geld wolle er in Bildung und Infrastruktur investieren und für bezahlbare Mieten in den Großstädten sorgen. Anders als in Medienberichten behauptet werde, sei ein Normalverdiener von den höheren Steuern aber gar nicht betroffen, rechnet Steinbrück vor. Denn der Durchschnittsverdienst liege bei 29.000 Euro. Zahlen müssten erst Singles mit einem Jahreseinkommen von 72.000 Euro. Dann wiederholt er seine Worte noch einmal: "Als Single und 72.000 Euro!" Es klingt wie: Mit diesen Menschen müsse man nun wirklich kein Mitleid haben.Sein Herumhacken auf den Reichen kommt an diesem Abend gut an, weil er das populäre Thema soziale Gerechtigkeit berührt. Dass Steinbrück im Wahlkampf bisher so wenig Kapital aus diesem dankbaren Thema ziehen konnte, liegt wohl auch an einem Glaubwürdigkeitsproblem. Steinbrück selbst will in der obersten Liga mitspielen: Er verlangte bis zu 20.000 Euro Redehonorar auch von öffentlich finanzierten Stadtwerken oder lästerte über zu billigen Wein. Flaschen unter fünf Euro würde er nicht anrühren.

Später wirkt Peer Steinbrück müde, seine Schultern hängen noch mehr als sonstBild: picture-alliance/dpa

Auf die Frage einer Endvierzigerin, was die SPD tun könne, damit sie als Langzeitarbeitslose in ihrem Alter wieder einen Job findet, antwortet Steinbrück kalt. "Die Statistik weist etwas Anderes aus, Ältere finden wieder besser einen Job." Ansonsten müsse sie nach Umschulungen oder anderen Maßnahmen suchen. Eine andere Antwort habe er nicht. Viele im Publikum, zumindest den Gesichtern nach zu urteilen, hätten sich hier wohl eine weniger formale Antwort gewünscht.

Manchmal auch genervt

Steinbrücks Sprache ist vom Hamburger Dialekt gefärbt. Der wird in Deutschland mit der Ernsthaftigkeit, Gediegenheit und Haltung hanseatischer Kaufleute assoziiert. Steinbrück nutzt das auch in Berlin aus, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. Gekoppelt mit humorigen Einlagen und seiner Schlagfertigkeit sorgt das für Sympathien im Publikum.

Doch manchmal kippt seine Sprache ins Belehrende, dann hebt er auch gern den Zeigefinger. Zwischendurch klingt er genervt, verliert ein wenig den Überblick über die vielen Fragen und rattert seine Antworten ohne Punkt und Komma herunter. Später wirkt der 66-Jährige in seinem mausgrauen Anzug müde, seine Schultern hängen noch mehr als sonst. Ab und an schnappt er regelrecht nach Luft und lässt dabei den Mund offen stehen.

Der belehrende Peer SteinbrückBild: picture-alliance/dpa

Zu viel Klartext?

Vor Kurzem hat die SPD die Wahlkampfleitung in neue Hände übertragen, weil Steinbrück verbal in einige Fettnäpfchen getreten ist. Doch auch in Berlin sagt Steinbrück Dinge, die vielleicht ein wenig zu viel Klartext für einen Wahlkampf sind. Ein Beispiel: Nach der Einladung eines jungen Berliners, seine multikulturelle Wohngemeinschaft für eines der Wohnzimmergespräche zu nutzen, fragt Steinbrück noch einmal nach, wie hoch das Durchschnittsalter seiner Mitbewohner sei. Denn bisher wäre er immer bei Leuten gewesen, die so alt wie er waren. Nur das würde wenig bringen, da doch nur junge Menschen für die erhofften Einträge und Posts bei Twitter und Facebook sorgen könnten.

Ein Schüler erzählt mit besorgter Stimme, dass an seiner Schule islamische Eltern dafür sorgen wollten, einen getrennten Sportunterricht für ihre Kinder einzurichten. "Wenn es geht, würde ich es machen", sagt Steinbrück. Denn man müsse auf die religiösen Einwände Rücksicht nehmen. Da gab es laute Nein-Rufe im Publikum, der fragende Schüler guckte etwas verdutzt.

Einige Gäste greifen schon vor Schluss der Veranstaltung zu ihren Jacken und gehen in Richtung Ausgang. Sie hören aber noch mit einem Ohr zu, als Steinbrück gleiche Löhne für Männer und Frauen, einen Masterplan für die Energiewende und Maßnahmen gegen die Deindustrialisierung verspricht. Draußen wartet das noch immer kalte und graue Berlin auf sie. Und Steinbrück hat einen anstrengenden Auftritt seines Wahlkampfes hinter sich gebracht.

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