Ein Jahr nach der Stilllegung ist "Prosper-Haniel" eingemottet. Für die RAG beginnt der Nachbergbau mit der Bewältigung der Ewigkeitslasten. In einer modernen Leitwarte laufen die Daten aus der "Unterwelt" zusammen.
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Mit der Stilllegung von "Prosper-Haniel" in Bottrop, dem letzten aktiven Bergwerk, endete vor einem Jahr das Kapitel des Steinkohlenbergbaus in Deutschland. Seit der Kohleausstiegsbeschluss im Jahr 2007 aus rein ökonomischen Gründen fiel, konnte sich die Ruhrkohle AG (RAG) auf das Ende vorbereiten. Sozialverträglich, so dass kein Bergmann entlassen werden musste.
Nachdem auf "Prosper-Haniel" unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit endgültig Schicht im Schacht war, begann umgehend das große Aufräumen. Nun, ein Jahr später, sind die "Raubarbeiten" nahezu abgeschlossen. In der Sprache der Bergleute versteht man unter "Raubarbeiten" die bittere Aufgaben, ein komplettes Bergwerk frei zu räumen. Sowohl über Tage als auch unter Tage. Und auf "Prosper-Haniel" ging es bis zu 1.200 Metern hinab, wo bis zum 21. Dezember 2018 mächtige Hobelmaschinen und Walzenschrämmlader die Kohle aus dem Flöz brachen.
Die blanke Kohle
"Wir mussten alles aus der Grube holen, was aus Umweltschutzgründen rausgeholt werden musste", bilanziert RAG-Sprecher Christof Beike. Zum Beispiel Maschinen mit Betriebsstoffen. "Aber natürlich auch Dinge, die wir vermarkten können", ergänzt Beike. Dazu zählen u.a. Transportgeräte und Transformatoren. Raus mussten außerdem zahllose Kilometer elektrische Leitungen, Förderbänder, Rollen und Rohre.
Arbeiten, die nur noch ein paar Dutzend Kumpel erledigen. In den Zeiten als Kohle noch als "schwarzes Gold" galt, fuhren auf "Prosper-Haniel" bis zu 4.500 Bergleute unter Tage. Bis zur Stilllegung im vergangenen Jahr schrumpfte die Zahl auf knapp 1.000. Die wenigen, die für die "Raubarbeiten" bleiben konnten, haben inzwischen auch Übertage das Gelände frei geräumt.
Verschwunden ist auch die Anlage zur Kohleaufbereitung. In dieser Anlage, so Christof Beike, wurde die Kohle von mit abgebautem Gestein getrennt, "so dass man wirklich von der blanken Steinkohle redet. Diese Anlagen sind verkauft worden zum Teil nach China, zum Teil auch in die Türkei." In Länder, in denen weiterhin in großem Stil Steinkohle gefördert wird.
Fast 100.000 Tonnen Füll-Material
"Prosper-Haniel" ist mehr oder weniger abgewickelt. Nach den Worten von Christof Beike befindet man sich in der Stillsetzungsphase. "Das heißt, wir warten jetzt darauf, dass wir die Schächte verfüllen können und damit die Verbindung von oben nach unten schließen."
Zum Einsatz kommt ein Gemisch aus Beton, Sand und Zement. Und zwar in riesigen Mengen. Zur Verfüllung von Schacht neun etwa wurden 55.000 Tonnen Sand angekarrt, weitere 33.000 Tonnen für Schacht zehn. Bevor endgültig der Deckel auf den Pütt kommt, also die Verfüllung abgeschlossen wird, verlegen die verbliebenen Bergleute in einigen Schächten noch großformatige Hüllrohre für die Tauchpumpen.
Die Ewigkeitsaufgaben
Denn nach der Schließung eines Bergwerks geht es für die RAG um die Bewältigung der mit dem untertägigen Bergbau verbundenen Ewigkeitsaufgaben. "Da reden wir einerseits von der Grubenwasserhaltung", erläutert Christof Beilke. "Wir müssen das Grubenwasser von Untertage nach Übertage pumpen und außerdem dasGrundwasser reinigen." Nicht nur im Umfeld von "Prosper-Haniel", sondern rund um schon zuvor stillgelegte Zechen im gesamten Ruhrgebiet.
Pro Jahr geht es dabei um circa 70 Millionen Kubikmeter Grubenwasser. In Zukunft setzt man dabei ausschließlich auf Tauchpumpen, die durch Hüllrohre geführt in die Tiefe abgelassen werden, "um da von einer definierten Höhe aus zu pumpen. Nämlich bei etwa 600 Metern." Damit ist der Sicherheitsabstand zu den Trinkwasserbereichen gewährleistet. Ewigkeitsaufgaben, die pro Jahr zwischen 250 und 300 Millionen Euro kosten.
Dann ist nur noch "Nachbergbau"
Ab 2022 beginnt für die RAG die Nachbergbauphase, für die man schon heute gerüstet ist. Und zwar auf dem Gelände der früheren Zeche "Pluto" in Herne. Hier befindet sich die weltweit modernste Grubenwasser-Leitwarte, in der alle Anlagen im Ruhrgebiet, im Saarland und im ehemaligen Fördergebiet Ibbenbüren überwacht werden. Gelbe, rote und grüne Lämpchen signalisieren die aktuellen Grubenwasserstände. In der Leitwarte, die rund um die Uhr besetzt ist, laufen alle Daten zusammen. Dazu gehören auch die Überwachung der Luftzüge und die Zusammensetzung der Luft unter Tage.
Von "Pluto" aus können bei kritischen Messwerten umgehend entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Schließlich stehe man mit den Kollegen vor Ort, die unter Tage auch Gase messen, in ständigem Kontakt, betont Dirk Thomke, der selbst lange Jahre unter Tage gearbeitet hat: "Die Leute, die an den Standorten, wo das Wasser von Untertage noch gepumpt wird, noch täglich einfahren, die haben auch ihre Messgeräte mit. So wie im aktiven Bergwerk auch. Die warten die Pumpen und teilweise wird die Wasserwegigkeit erstellt für die Ewigkeit. Das heißt: es werden Rohrleitungen verlegt, um wirklich zu gewährleisten, dass das Wasser hinterher da ankommt, wo wir das hinhaben wollen."
Mit der Stilllegung und Abwicklung von "Prosper-Haniel" endet das Industriekapitel des Steinkohlenbergbaus in Deutschland. Was bleibt, das sind im Rahmen des notwendigen Nachbergbaus die Ewigkeitsaufgaben.
Das Ende des Steinkohlenbergbaus
Nach mehr als 150 Jahren wird die industrielle Förderung von Steinkohle in Deutschland eingestellt. An diesem Freitag wurde auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop zum letzten Mal "schwarzes Gold" gefördert.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Die letzte Schicht
Das wird ein wehmütiges Weihnachtsfest für die Menschen in Bottrop und vor allem für die letzten Steinkohlekumpel und ihre Familien: Drei Tage vor Heiligabend wird der Steinkohlebergbau auf der Zeche Prosper-Haniel, der letzten Zeche Deutschlands, eingestellt. Im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird die letzte Lore mit "schwarzem Gold" ans Tageslicht gebracht.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Seidel
Der Tetraeder
Nicht weit entfernt von Prosper-Haniel steht der Tetraeder, wie ihn jeder im Ruhrgebiet nennt. Die "dreieckige Pyramide" steht auf einer Abraumhalde und bietet einen weiten Ausblick über das nordwestliche Ruhrgebiet. Abraum ist übrigens das mit der Kohle geförderte Material, das nicht gebraucht wird - taubes Gestein sagt der Bergmann dazu.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Ziese
Schwarzes Gold
Die Kohle wurde zunächst ebenfalls "über Tage" gelagert - wie hier vor dem Föderturm von Prosper-Haniel. In der Regel wurde sie mit der Eisenbahn zum nächstgelegenen Hafen gebracht. Von Binnenkähnen auf Seeschiffe umgeladen, wurde ein großer Teil davon nach Übersee verschifft. Deutsche Steinkohle war, so lange sie nicht zu teuer war, wegen ihrer Qualität weltweit gefragt.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch
Stolz und Zusammenhalt
Die Arbeit im Pütt (der Kohlegrube) war nicht nur gut bezahlt, die Bergleute genossen auch hohes Ansehen. Ihre schmutzige, anstrengende und gefährliche Arbeit schweißte die Bergleute zusammen. Bis in die heutigen Tage nennen alle Kumpel, auch diese hier von der Bottroper Zeche Prosper-Haniel, den Zusammenhalt und die Kameradschaft als einen Grund für ihren Berufsstolz.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Heyder
Arbeiten und Wohnen
Die Zechenbetreiber errichteten in unmittelbarer Nähe der Gruben Siedlungshäuser für die Bergleute. Im Garten hielten diese oft Hühner und Schweine, und für einen Brieftaubenschlag fand sich auch ein Plätzchen. Inzwischen sind die Siedlungshäuser sehr beliebt. Werden beide Haushälften zu einer Wohnung zusammengelegt, bieten sie viel Platz und ein Garten in der Stadt ist ja auch nicht zu verachten.
Bild: picture-alliance/dpa/Schulte
Integration vor der Kohle
In den Zechen arbeiteten nicht nur Deutsche: Es ist sehr wahrscheinlich, dass einige dieser Bergleute (das Bild stammt aus den 1880er Jahren) aus Polen stammen. Es gab viel zu tun und Arbeiter waren gesucht. Die polnischen Bergleute und ihre Nachkommen gehören seit rund 150 Jahren zum Leben im Revier. Alltäglich gewordene Namen wie Kuzorra und Libuda, Niepieklo, Koslowski und Urban zeugen davon.
Bild: picture-alliance/IMAGNO/Austri
Und nach der Schicht: Ins Stadion!
Das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde über Tage vor allem beim Fußball gefördert. Hier wird der Schalker Willi Koslowski am Torschuss gehindert. Das Spiel fand in der Gelsenkirchener Glückaufkampfbahn statt. Die Stadien sind heute größer, die Spieler verdienen mehr - aber die Identifikation mit den Kickern ist ungebrochen. Fußball und Kohle gehören im Ruhrgebiet auch heute noch eng zusammen.
Bild: picture-alliance/dpa
Kumpel aus Anatolien
Nach dem letzten Krieg waren zu den Kollegen aus Schlesien und Masuren viele sogenannte Gastarbeiter aus Südeuropa und aus der Türkei gekommen. Diese hier sind gerade angekommen und wissen noch nicht, was sie erwartet. Die meisten waren gekommen und sind geblieben. Das merkt man im Alltag: Vornamen wie Mehmet und Mustafa hört man im Ruhrpott an jeder Ecke.
Bild: picture-alliance/dpa
Erste Zeichen
Die 1950er und 60er Jahre waren die Hochzeit des Ruhrbergbaus. Und doch konnte, wer wollte, schon die ersten Anzeichen für das bald einsetzende Zechensterben erkennen. Der Kohle, die zunächst nahe der Erdoberfläche gelegen hatte, musste man immer tiefer nachgraben - bis zu 1500 Meter tief. Das war teuer, sehr teuer. Zu teuer bald, deutsche Kohle war international immer weniger konkurrenzfähig.
Bild: picture-alliance/KPA
Namen und Vereine verschwinden
Viele Jahre lang hatten die Kohlebarone den Fußball großzügig unterstützt. Mit dem Zechensterben hörte das auf. Vereine wie Hamborn 07, SV Sodingen, Sportfreunde Katernberg oder wie hier Schwarz-Weiß Essen und Westfalia Herne verschwanden in der Bedeutungslosigkeit. Wie auch traditionsreiche Zechennamen: Präsident und Unser Fritz, Ewald, Hugo und später auch Auguste Victoria und Prosper-Haniel.
Bild: Imago/Horstmüller
Hi-Tech "vor Ort"
"Vor Ort" oder "bei der Nacht" (so nennt der Bergmann seinen Arbeitsplatz, an den nie ein Sonnenstrahl dringt) wurde es jetzt richtig laut: Zum Schmutz und der Hitze kam nun immer mehr Maschinenlärm. Die Zechenbesitzer versuchten, mit möglichst konsequenter Maschinisierung die Förderkosten gering zu halten. Letztlich vergebens, deutsche Steinkohle blieb im internationalen Vergleich zu teuer.
Bild: Deutsches Bergbau-Museum Bochum
Die Verbundenheit mit den Bergleuten
Als es dem Bergbau gut ging und auch Fußballer mit der Kohle Kohle machten, war die Verbindung von Arbeit und Sport im Ruhrgebiet eng. Das ist bis heute so geblieben. Wenn wie hier 2015 im Schalker Stadion vor dem Spiel ein Bergmannschor singt, dann sind etliche der 60.000 Zuschauer nicht nur gerührt, sondern oft auch selbst vom Niedergang des Bergbaus betroffen.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Trauer auch in anderen Revieren
Kohle wurde nicht nur an der Ruhr gefördert. Und auch in anderen Kohlerevieren, wie vor der Mine Duhamel an der Saar 2008, demonstrierten Bergleute für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Dieser Bergmann trägt eine Fahne mit der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Auch nicht-religiöse Knappen beten oft zur Barbara, dass sie "bei der Nacht" ein Auge auf sie habe.
Bild: AP
Umweltverschmutzung
Das Ruhrgebiet war jahrzehntelang berüchtigt für seine schlechte Luft. Besonders die Kokereien, im Bild die von Schweigern in Oberhausen, sorgten dafür, dass die frisch gewaschene Wäsche zwar trocken, aber noch auf der Leine wieder sehr dreckig wurde. Diese Folgen der Kohlewirtschaft vermisst im Revier niemand.
Bild: Getty Images/L. Schulze
Offenes Abwasserrohr
Eine andere Folge des Bergbaus wird auch ganz bestimmt niemand vermissen: Wegen der vielen Stollen und Schächte konnte man in Teilen des Ruhrgebietes keine Kanalisation installieren. Also nahm man die eigentlich recht idyllische Emscher und machte aus dem kleinen Fluss ein gigantisches, viele Kilometer langes, offenes Abflussrohr, das Tag und Nacht ganz erbärmlich stank.
Bild: Emschergenossenschaft
Bergschäden
Auch wenn der Kohlebergbau nun eingestellt wird - er wird im Leben der Menschen an Ruhr und Emscher weiter eine nicht zu übersehende Rolle spielen. Denn immer wieder tut sich die Erde auf und Häuser, Straßen oder Bahnlinien werden durch die berüchtigten Bergschäden schwer beschädigt. Sie entstehen, wenn Hohlräume unter der Erde einstürzen. Denn wo früher Kohle war, ist jetzt oft nur noch - Luft.
Bild: Imago/J. Tack
Aufgaben, die nie erledigt sein werden
In den letzten 150 Jahren ist das Ruhrgebiet um bis zu 25 (!) Meter abgesackt. Würde man die Gruben nun sich selbst überlassen, stiege das Grundwasser wieder an und verwandelte das Revier, in dem immerhin mehr als fünf Millionen Menschen leben, in einen riesigen See. Also muss das Wasser abgepumpt werden. Und zwar ständig. Deswegen spricht man an der Ruhr von "Ewigkeitslasten".
Bild: Imago/blickwinkel
Was bleibt vom Steinkohlebergbau?
Wir werden sehen, wie lange Bergmannskapellen und -chöre überleben. Die Fördertürme jedenfalls sind meistenteils abgerissen, die Abraumhalden begrünt. Viele Industriedenkmäler, und davon gibt es an der Ruhr nun wahrlich genug, wurden zu Freizeitparks umgestaltet. Beispielhaft dafür ist die Zeche Zollverein in Essen, die inzwischen sogar zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.