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Politik

Steinmeier bittet zum Gespräch

Kay-Alexander Scholz
21. November 2017

Angela Merkel hat erstmal keine eigene Mehrheit für eine Regierung. Nun ist sie auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angewiesen. Der nutzt seinen Ruf als guter Diplomat und führt Gespräche mit allen Parteien.

Deutschland Frank-Walter Steinmeier & Angela Merkel | Ende der Sondierungsgespräche
Bild: Reuters/G. Bergmann

Eine deutsche Redensart besagt: Man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Gut möglich, dass die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel dieser Tage öfter Mal daran denkt. Sie war es schließlich, die zunächst nicht viel von einer Kandidatur Frank-Walter Steinmeiers für das Amt des Bundespräsidenten hielt. Dass er dann im Frühjahr 2017 doch zum deutschen Staatsoberhaupt gewählt wurde, hat er ursächlich anderen als Merkel zu verdanken. Diese hatte eigentlich ein schwarz-grünes Signal setzen wollen und auf die ehemalige Bürgerrechtlerin Marianne Birthler gesetzt, die aber nicht wollte. 

Der Bundespräsident hat in Deutschland wenig direkt politische Macht. Das haben die Väter des Grundgesetzes als Lehre aus der Weimarer Republik so eingerichtet. Niemals wieder sollte ein Präsident so einfach wie damals am Parlament vorbeiregieren können. Im Ergebnis darf der Präsident - verkürzt gesagt - Gesetze unterschreiben, hoffentlich kluge Rede halten und Staatsbesuche abhalten.

Allerdings gibt es noch eine schlummernde Macht: Laut Artikel 63 des Grundgesetzes schlägt er nämlich dem Bundestag einen Kanzler oder eine Kanzlerin vor. Bislang war das eher eine formelle Angelegenheit und ging meistens ein wenig unter. Im politisch heißen Herbst des Jahres 2017 ist das nun anders.

Steinmeiers Sondierungen

Eine Neuwahl als Schnellschuss hat Steinmeier erstmal abgelehnt. Von seinem Recht nach Artikel 63 will er erstmal keinen Gebrauch machen. Mit Merkel hat er schon am Tag nach dem Platzen der Jamaika-Verhandlungen gesprochen.

Steinmeier nutzt seinen Ruf als guter Diplomat und führt Gespräche mit den Parteivorsitzenden, ob sich nicht doch noch eine Koalition finden mag. Am Tag zwei nach dem Platzen der Jamaika-Verhandlungen wurden die Parteivorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir und Simone Peter, sowie FDP-Chef Christian Lindner ins Schloss Bellevue, dem Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten bestellt. Beide Treffen dauerten rund eine Stunde. Ergebnisse wurden nicht benannt. Weitere Treffen sind anberaumt: am Mittwoch mit dem CSU-Chef Horst Seehofer, am Donnerstag mit dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz.

Die FDP vor dem Schloss Bellevue auf dem Weg zu Frank-Walter SteinmeierBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Von Amts wegen soll der Bundespräsident parteiübergreifend agieren. Doch Steinmeier ist nun Mal auch Vollblut-SPD-Politiker seit mehr als 40 Jahren - obwohl seine Mitgliedschaft jetzt ruht. Wird er das Gewicht seines Wortes dafür einsetzen, dass es doch noch zu einer Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD kommt? Vorhersagen sind im politischen Berlin derzeit schwierig und mit Vorsicht zu genießen. So eine Situation wie jetzt gab es schließlich noch nie in der bald 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik. Was, wenn all die mahnenden Worte nicht fruchten sollten?

Merkel muss von Steinmeier vorgeschlagen werden

Steinmeier könnte laut Verfassung dem Bundestag jederzeit eine Kanzler-Wahl verordnen. Dabei sind maximal drei Wahlgänge vorgesehen. In den ersten beiden Runden wären absolute Mehrheiten - mehr als die Hälfte der Abgeordneten - nötig.

Welcher Kandidat in der ersten Runde zur Wahl stünde, schlägt der Bundespräsident vor. Misslingt die Wahl in der ersten Runde, hätte der Bundestag innerhalb von zwei Wochen das Recht, einen eigenen oder auch mehrere Kandidaten zu benennen. Kommt wieder keine absolute Mehrheit zustande, muss zum dritten Mal gewählt werden. Gedenk des Falls, Merkel würde im dritten Wahlgang wieder die absolute Mehrheit verfehlen, läge es in der Hand von Steinmeier zu entschieden. Entweder könnte er sie trotzdem zur Kanzlerin ernennen, auch wenn sie nur eine relative Mehrheit bei den Abgeordneten hat. So hätte Deutschland eine Kanzlerin - aber noch keine Regierung. Merkels Aufgabe bestünde dann darin, sich ein Kabinett zu basteln. Neuwahlen aber wären vom Tisch. Die kosten viel und wären mit Risiken für die Abgeordneten verbunden, dass sie ihren gerade frisch besetzten Abgeordnetenstuhl wieder räumen müssten.

Steinmeier könnte aber auch den Bundestag auflösen und Neuwahlen anordnen. Wie sich danach die politische Landschaft sortiert, ist offen. Ein solches Szenario ist noch nie dagewesen.

Ein Mann fürs Stabile

Es liegt jetzt also in der Hand des Bundespräsidenten, wie es weitergeht in Deutschland. Was passt zu ihm? Steinmeier gilt nicht nur als ein großer Diplomat, sondern als jemand, der einen möglichst breiten Konsens anstrebt. Kontinuität und das Bewahren von Erreichtem seien ihm wichtig, sagen Biografen über ihn. Brüche und Revolutionen dagegen sind seine Sache nicht. Als Außenminister in der Krim-Krise hat er gezeigt, wie hartnäckig er sein kann, wenn es darum geht, im Gespräch bleiben zu wollen. Beim Erreichen des Atom-Deals mit dem Iran hat er bewiesen, dass er selbst in verfahrenen Situationen einen Ausweg findet.

Die Grünen Simone Peter und Cem Özdemir beim deutschen StaatsoberhauptBild: picture-alliance/dpa/J. Denzel/Bundesregierung

Eine politisch stabile Konstellation aus CDU/CSU und SPD - Große Koalition genannt - war deshalb auf Steinmeier wie maßgeschneidert. Er könnte in einem solchen Bündnis noch immer die stabilste Regierung sehen. Zudem ist die Erwartung - aus Deutschland selbst und dem Ausland - groß, dass die Regierung in Berlin stabil ist.

Neuwahlen würden, so meinen derzeit nicht wenige, wohl am ehesten für die AfD gut ausgehen, weil die Rechtspopulisten noch mehr Stimmen bekommen könnten. Steinmeier wird das zu verhindern versuchen. Denn er sieht in der AfD eine echte Bedrohung für das Bisherige. Die "politische Statik" der Bundesrepublik habe sich geändert, sagte Steinmeier kurz nach der Bundestagswahl Ende September, mit der die AfD in den Bundestag einzog. Es dürfe nicht so einfach zur politischen Tagesordnung übergegangen werden, mahnte er damals. Auch ein anderer Satz Steinmeier bekommt gerade eine ganz neue und eigene Aktualität. In seiner Antrittsrede hatte er gesagt: Die Deutschen müssten wieder lernen, für die Demokratie zu streiten.

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