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Steinmeier drängt zur Einigung

Dagmar Engel, z.Zt. Kabul 6. September 2014

Bei einem Besuch in Kabul mahnte Frank-Walter Steinmeier die beiden Präsidentschaftsbewerber Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah, den ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes zu ermöglichen.

Außenminister Steinmeier in Afghanistan 06.09.2014
Bild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

Als die Transall mit dem deutschen Außenminister an Bord am Samstagnachmittag vom Flughafen Kabul abhebt, hat Afghanistan immer noch keinen neuen Präsidenten. Aber die beiden Präsidentschaftskandidaten haben jeweils eine Dreiviertelstunde klare Worte gehört, heißt es aus Delegationskreisen. Der deutsche Chefdiplomat formuliert natürlich vorsichtiger: Er habe sich bemüht, deutlich zu machen, "dass es sich dabei nicht um eine Rangelei in der afghanischen Innenpolitik handelt." Auch in Deutschland werde gerungen, aber hier gehe es um die Stabilität des Landes: "Afghanistan darf nicht erneut in eine Fundamentalauseinandersetzung zwischen verschiedenen politischen Lagern oder Ethnien abrutschen".

Beide Präsidentenlager misstrauen sich zutiefst

Die afghanische Hauptstadt ist zur Zeit Zentrum aller internationalen Wahlbeobachter. Weltweit Einzigartiges, noch nie Dagewesenes wurde hier in den letzten Wochen geleistet: Schon 32.000 Wahlurnen aus dem ganzen Land in eine Halle in Kabul zu schaffen, war eine Meisterleistung. Jede dieser Wahlurnen nach einer 16-Punkte-Liste auf Manipulationen hin zu checken, schien zu Beginn unmöglich. Die beiden Präsidentenlager misstrauen sich zutiefst, die Überprüfung der Stimmzettel musste von neutralen Wahlbeobachtern kontrolliert werden.

Woher nehmen?

Zunächst haben Mitarbeiter aus verschiedenen Botschaften einen Crashkurs in Sachen Wahlbeobachtung hingelegt, dazu Personal der UN vor Ort, vom deutschen Technischen Hilfswerk, THW, von anderen Organisationen, nur um kein Vakuum entstehen zu lassen. Dann kamen die Freiwilligen, junge Menschen - auch aus Deutschland. "Es war unbeschreiblich, es war großartig", erzählt einer von ihnen voller Begeisterung. "Hier konnten wir wirklich etwas leisten, hier haben wir Afghanistan wirklich geholfen, etwas Sinnvolles getan", stimmt ein Kollege ein. "Außerdem habe ich so viele interessante, junge gebildete Afghanen kennengelernt, auch das hat meinen Eindruck von diesem Land noch einmal verändert."

Deutschland hat nach den USA die meisten Wahlbeobachter gestellt. Dafür spricht ihnen der Bundesaußenminister im Garten der deutschen Botschaft in Kabul seinen Dank aus: Man könne ihre Arbeit gar nicht hoch genug schätzen: "60 Männer und Frauen aus Deutschland haben sich auf den Weg hierher gemacht, um zu helfen!" Sie seien wesentlich daran beteiligt, dass das Ergebnis am Ende von allen Parteien und den Kandidaten akzeptiert werden könne.

Keine politische Einigung in Sicht

Die jungen Wahlbeobachter schweigen eisern, wenn es um die Tendenz ihrer Analysen geht, wie das Ergebnis nun ausfallen wird. Offenbar ist die Erhebung der Daten zu den Wahlen nahezu abgeschlossen. Was fehlt, ist die politische Einigung der beiden Kandidaten der Stichwahl: Einer Einheitsregierung haben sie zwar im Grundsatz zugestimmt, aber es hakt in der konkreten Umsetzung: Wie wird welche Rolle ausgefüllt, welche Kompetenzen sollen aus der riesigen Machtfülle des Präsidenten ausgegliedert werden? Darf der künftige CEO, so der Arbeitstitel für den Posten des Wahlverlierers, präsidiale Aufgaben und Insignien übernehmen? Viel Spielraum lässt die afghanische Verfassung nicht.

"In wenigen Tagen" heißt die Antwort auf die Frage, wann es einen neuen Präsidenten gebe. So heißt sie schon seit vielen Tagen. Die Zeit drängt, nicht nur die Afghanen verlieren die Geduld. Auch die internationale Gemeinschaft macht Druck: Zum Ende des Jahres sollen die meisten Soldaten aus dem Land abziehen, bleiben sollen keine kämpfenden Truppen, sondern Ausbilder, Beobachter, aus Deutschland allein 900. Zwingende Voraussetzung dafür: ein Sicherheitsabkommen, das den Rahmen für die internationalen Einheiten regelt. Das kann nur der Präsident unterzeichnen - und nicht einfach ein Kandidat für das Amt. Kein Abkommen, keine Truppen: Der Komplettabzug aber erfordert andere Planungen als ein Teilabzug, und diese Planungen müssen beginnen.

Kann der scheidende Präsident Karsai zwischen den Lagern vermitteln?Bild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

Daran aber hängt noch mehr: Solange die Lage unsicher ist, leidet auch die Wirtschaft des Landes. Verzeichnete Afghanistan 2012 noch ein Wachstum von mehr als 14 Prozent, so sind es inzwischen nur noch drei Prozent. Es gibt immer weniger Arbeit, gleichzeitig wächst die Bevölkerung rasant, zwei Drittel der Afghanen sind jünger als 25. Unzufriedenheit gerade unter den jungen Menschen macht sich breit: ein Nährboden für Radikalismus und erschreckend gute Voraussetzungen für die Rückkehr der Taliban. Das Vertrauen der Afghanen in den Wahlprozess und die politische Klasse im Land ist beschädigt. Aber auch die vielen Staaten, die in die Zukunft Afghanistans investiert haben, machen sich Sorgen um ihren Einsatz. Auch Frank-Walter Steinmeier bekennt sich dazu: "Wir werden uns weiter beteiligen am zivilen Aufbau dieses Landes", aber dafür brauche es klare und verlässliche Strukturen. "Darum sind der Wahlüberprüfungsprozess, die Etablierung eines neuen Präsidenten und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit so wichtig."

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