1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Steinmeier: Jahrzehnte für Integration

23. Juli 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Integration von Flüchtlingen als "Riesenaufgabe" bezeichnet und mehr Realismus in der Debatte angemahnt.

Deutschland | Sommerinterview mit Steinmeier
Bild: picture alliance/dpa/ZDF/K. Socher

Über die Integration von Flüchtlingen in die deutsche Gesellschaft muss es ein ehrliches "Gespräch in der Gesellschaft" geben - dafür wirbt Frank-Walter Steinmeier im Sommerinterview mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). "Wir müssen vor allen Dingen den Menschen sagen, dass das eine Riesenaufgabe ist, die uns möglicherweise Jahrzehnte beanspruchen wird", so der Bundespräsident. Er nahm Bezug auf einen Satz seines Vorgängers Joachim Gauck: "Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich."

Das sei kein Plädoyer für eine Obergrenze für Schutzsuchende, betonte Steinmeier. Wichtig sei, eine gesellschaftliche Polarisierung zu vermeiden: "Die einen, die sagen, die Integration von Flüchtlingen ist kein Problem. Und die anderen, die nur über die Probleme reden."

Kritiker monieren, dass die Politik die Bevölkerung mit der Integrationsaufgabe allein lasse. "Das würde ich so nicht sehen, und das sage ich jetzt nicht nur mit Blick auf die Bundesregierung," erwiderte der Bundespräsident. Auch bei seinen Reisen in die Bundesländer sehe er "viele unterschiedliche Ansätze, Handlungen, Engagements", um Flüchtlingen bei der Ankunft zu helfen, sie beim Deutschlernen und in der Ausbildung zu unterstützen und ihnen zu ermöglichen, "hier wirklich Wurzeln zu schlagen".

Viele Ansätze zur Integration: Fussballteam aus Flüchtlingen in BonnBild: FC Jawanan

Steinmeier formulierte auch eine Erwartung an die Neuankömmlinge: "Respektiert unsere Tradition und respektiert vor allen Dingen die Regeln, die in diesem Lande gelten."

Kein Grund für "Alarmismus"

Dazu gehört auch die Demokratie in Deutschland, die das Staatsoberhaupt für stabil hält. "Ich sehe keinerlei Anlass für Alarmismus bei uns", so Steinmeier, "aber ich warne etwas davor, sich in Selbstzufriedenheit zurückzulehnen." Das sei "vielleicht ist die größte Gefährdung". Denn Deutschland sei keine Insel und nicht frei von Tendenzen anderer Länder, in denen es "eine Faszination des Autoritären" gebe. Die Demokratie sei nicht auf Ewigkeit garantiert. Die Menschen müssten sich für die engagieren und die Verantwortung nicht an staatliche Institutionen abgeben. "Wir haben sie von den Alliierten in die Hände überantwortet bekommen. Wir haben sie ausgebaut. Wir haben sie gepflegt."

Deswegen hätten die Deutschen auch trotz des Kurses von US-Präsident Donald Trump "keinen Anlass, uns in irgendeiner Form moralisch zu erheben". Steinmeier rät der Bundesrepublik, "nicht alles über Bord zu werfen, wenngleich ich zugebe, irritiert bin ich auch über vieles". Westdeutschland hätte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ohne den Marshallplan der USA wirtschaftlich nicht so entwickelt. Der Bundespräsident mahnte auch: "Nicht ganz Amerika hat die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen vergessen."

US-Präsident Trump - "kein Anlass, uns moralisch zu erheben"Bild: Reuters/J. Ernst

Mitgefühl für Deutsch-Türken 

Steinmeier kritisierte auch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ungewöhnlich hart. In einem bereits am Samstag veröffentlichten Ausschnitt des Interviews stellt er sich hinter den schärferen Kurs der Bundesregierung gegenüber autokratischen Bestrebungen und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Die letzten Kritiker und Oppositionellen "werden jetzt verfolgt, werden ins Gefängnis gesteckt, werden mundtot gemacht", so der Bundespräsident. "Das können wir nicht hinnehmen." Es sei richtig, dass die Bundesregierung jetzt klare Worte finde. "Das ist auch eine Frage der Selbstachtung unseres Landes, finde ich, hier deutliche Haltsignale zu senden."

Er könne sich vorstellen, dass bei den rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland der Schmerz am allergrößten sei, wenn sie beobachteten, dass die von vielen gebauten Brücken "von Ankara aus abgerissen werden", so Steinmeier. "Das ist wirklich bitter und deswegen war ein Wort an die türkischstämmige Bevölkerung nötig." Außenminister Sigmar Gabriel hatte zuvor die hier lebenden Türken der Wertschätzung Deutschlands versichert.

hin/stu (dpa, afp, kna)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen