Steinmeier und Herzog würdigen Olympia-Entschädigung
4. September 2022
Zu Beginn seines dreitägigen Deutschlandbesuchs traf Israels Präsident Izchak Herzog Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Seine Visite stehe ganz im Gedenken an das Münchner Olympia-Attentat von 1972, so Herzog.
Anzeige
Der israelische Präsident Izchak Herzog ist in Berlin auf Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen worden. Bei seiner Abreise in Israel hatte Herzog angekündigt, der Hauptteil seines dreitägigen Besuchs sei dem Gedenken zum 50. Jahrestag des Münchner Olympia-Attentats gewidmet.
Herzog lobte Einsatz Steinmeiers
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Herzog im Schloss Bellevue betonten beide Staatschefs die "Einzigartigkeit" der deutsch-israelischen Beziehungen, sprachen aber auch den viel kritisierten Umgang Deutschlands mit dem Münchner Olympia-Attentat an, der das deutsch-israelische Verhältnis zuletzt belastet hatte.
Der Durchbruch zu der Einigung auf Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen sei buchstäblich in letzter Minute zustande gekommen, sagte Herzog. Der israelische Präsident lobte in diesem Zusammenhang insbesondere den Einsatz Steinmeiers.
Anzeige
Steinmeier: Umgang mit Attentat sei "beschämend"
Bei dem gemeinsamen Gedenken am Montag in Fürstenfeldbruck werde er sich auch zu dem "Verdrängen, dem Vergessen und der Fehleinschätzung" von damals äußern, sagte Steinmeier. "Dass das 50 Jahre gedauert hat, ist in der Tat beschämend", betonte der Bundespräsident.
Die Hinterbliebenen der Opfer hatten ihre Teilnahme an der Gedenkfeier am Montag in Fürstenfeldbruck zunächst abgesagt. Am Mittwoch hatte die Bundesregierung dann jedoch eine Einigung mit den Hinterbliebenen auf Entschädigungszahlungen bekannt gegeben, so dass nun das Gedenken am Montag gemeinsam mit den Hinterbliebenen und den Präsidenten beider Ländern stattfindet.
Elf israelische Sportler wurden 1972 getötet
Eine Gruppe palästinensischer Terroristen war am 5. September 1972 in das Münchner Olympiagelände eingedrungen und hatte Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen. Bei der Geiselnahme und einer fehlgeschlagenen Befreiungsaktion wurden elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist getötet. Das Verhalten der Polizei und der deutschen Sicherheitsbehörden wurde danach scharf kritisiert und löste auch in Israel Empörung aus.
Das Olympia-Attentat von München
Olympische Spiele 1972 in München: Palästinensische Terroristen nehmen elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Eine Befreiungsaktion endet in einem Blutbad und ist bis heute nicht aufgearbeitet.
Bild: dapd
Heitere Spiele
Weltoffen und bunt - so präsentiert sich München 1972 als Olympiagastgeber. Die Spiele sollen "heiter" sein und ein anderes Deutschland-Bild zeichnen als das der Nazi-Spiele von 1936 in Berlin. Die Polizei vor Ort trägt weder Uniform noch Waffen und hält sich im Hintergrund. Zehn Tage lang feiert München mit Gästen aus aller Welt ein friedliches Fest. Auch sportlich sind die Spiele ein Erfolg.
Bild: picture-alliance/dpa
Umjubelte Höchstleistungen
US-Schwimmer Mark Spitz holt siebenmal Gold. Aus deutscher Sicht begeistern vor allem die Leichtathleten: Heide Rosendahl gewinnt Gold im Weitsprung und mit der Staffel, Klaus Wolfermann im Speerwerfen. Die erst 16-jährige Ulrike Meyfarth (Foto) wird am Abend das 4. September Olympiasiegerin im Hochsprung - mit neuem Weltrekord. Die Fans sind euphorisch, doch am nächsten Tag folgt der Schock.
Bild: picture-alliance / Sven Simon
Überfall am frühen Morgen
Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" dringen in der Nacht zum 5. September in eine Wohnung der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf ein. Sie erschießen Ringer-Trainer Mosche Weinberg und verletzen Gewichtheber Josef Romano schwer. Er verblutet, während neun weitere Geiseln gefesselt im selben Raum sitzen und ihm beim Sterben zusehen müssen.
Bild: dapd
Ergebnislose Verhandlungen
Die Terroristen fordern die Freilassung von über 200 Gefangenen aus israelischer Haft. Im Gegenzug wollen sie die Geiseln freilassen, sie bei Nichterfüllung töten. Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (3.v.l.) und weitere Offizielle verhandeln mit dem Anführer der Terroristen, der sich Issa nennt. Genscher und andere bieten sich sogar als Ersatzgeiseln an, doch die Fronten sind verhärtet.
Bild: picture alliance / dpa
Veto aus Israel
"Sollten wir nachgeben, kann sich kein Israeli auf der Welt seines Lebens jemals wieder sicher sein", lehnt Israels Regierungschefin Golda Meir diese "Erpressung der schlimmsten Art" ab. Aber Israel bietet an, Spezialkräfte zu schicken, um die Geiseln zu befreien. Die Bundesregierung verzichtet, wohl auch, weil das Grundgesetz den Einsatz ausländischer Kräfte auf deutschem Boden verbietet.
Bild: Hugues Vassal/akg-images/picture alliance
Abbruch unter Druck
Die Sportwettbewerbe laufen trotz der beiden Morde und der Geiselnahme zunächst weiter. Während Polizisten auf dem Olympiagelände das von den Terroristen besetzte Haus abriegeln, drängen sich Zuschauer und Schaulustige durch den Olympiapark. Erst als demonstrierende Israelis einen Stop der Spiele fordern, reagieren die Organisatoren und ordnen am Nachmittag des 5. September eine Unterbrechung an.
Bild: Horst Ossinger/picture alliance
Erstürmung live im TV
Bayerns Polizei ist auf die Geiselnahme schlecht vorbereitet und für solche Einsätze nicht geschult. Bewaffnete Polizisten versuchen, die Wohnung in der Connollystraße 31 zu stürmen, bleiben aber nicht unbeobachtet. Im Gegenteil: Live wird im Fernsehen gezeigt, wie die Beamten sich den Geiselnehmern nähern. Das sehen auch die Terroristen - die Aktion wird daher nach kurzer Zeit abgebrochen.
Bild: Horst Ossinger/dpa/picture alliance
Freies Geleit, aber nur zum Schein
Mehrfach wird das Ultimatum der Terroristen verlängert. Man kommt schließlich überein, dass sie mit zwei Hubschraubern zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck gebracht werden und von dort samt Geiseln nach Kairo ausfliegen sollen. Allerdings gehen die deutschen Unterhändler nur zum Schein auf die Forderungen ein. Sie wollen den Terroristen eine Falle stellen - doch das geht gründlich schief.
Bild: dpa/picture alliance
Schlechte Vorbereitung
Am Flughafen Fürstenfeldbruck wartet eine Boeing, darin als Besatzung getarnte Polizisten. Sie sollen die Attentäter überwältigen. Doch die Beamten sind dafür weder ausreichend bewaffnet noch ausgebildet. Eigenmächtig brechen sie den Einsatz ab. Die übrigen, wenigen Polizisten am Flughafen wissen nicht, dass es sich um acht Geiselnehmer handelt und nicht - wie man bislang glaubte - nur um fünf.
Bild: Heinz Gebhardt/IMAGO
Blutiges Fiasko
Als zwei Terroristen die Boeing inspizieren, eröffnet die Polizei das Feuer. Es folgt ein stundenlanges Gefecht. Verstärkung kommt wegen vieler Schaulustiger vor dem Flughafen erst spät. Schließlich sprengen die Terroristen einen der Helikopter mit einer Handgranate, die Gefangenen im zweiten erschießen sie. Am Ende sind 15 Menschen tot: ein Polizist, fünf der Attentäter und alle neun Geiseln.
Bild: dpa/picture alliance
"The games must go on"
Im Olympiastadion findet noch am 6. September eine Gedenkfeier für die Opfer statt. Dort verkündet IOC-Präsident Avery Brundage, dass man sich nicht dem Terror beuge. "The games must go on", dieser Satz spaltet die Gesellschaft, sorgt für Protest, erntet aber auch Zustimmung. Heiter sind die Spiele von München in den verbleibenden Tagen allerdings nicht mehr.
Bild: Heidtmann/picture alliance/dpa
Fassungslosigkeit
Wenige Tage nach dem Attentat kommt Ankie Spitzer, Witwe des ermordeten Fechttrainers André Spitzer, in die Connollystraße, um die persönlichen Sachen ihres Mannes abholen. "Es war Chaos, überall war Blut", beschreibt sie diesen Moment in der ZDF-Doku "Anschlag auf Olympia". "Es lag Essen auf dem Boden, außerdem hatte man die Geiseln nicht zur Toilette gehen lassen. Es war schrecklich."
Bild: dpa/picture alliance
Nichts falsch gemacht
Etwa zur gleichen Zeit veröffentlicht Münchens Polizeispitze um Polizeipräsident Manfred Schreiber (Foto) bereits einen Bericht. Darin steht, man habe "nichts falsch gemacht" und hätte mit den vorhandenen Mitteln und unter den gegebenen Umständen auch "nichts besser machen können". Vielmehr habe Israel mit seiner Absage an die Forderungen der Terroristen "über die Geiseln das Todesurteil gefällt".
Bild: picture-alliance / dpa
Verschärfte Sicherheit
Dennoch zieht man Lehren aus dem gescheiterten Einsatz: Das Olympia-Attentat ist eine Zäsur, der Terror in Deutschland Realität geworden. Die Bundesregierung gründet noch im September 1972 als Reaktion die Grenzschutz-Spezialtruppe GSG 9 als Anti-Terror-Einheit. Unter anderem 1977 bei der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut kommt sie zum Einsatz. Alle Geiseln von Mogadischu überleben.
Bild: Egon Steiner/picture alliance
Freigepresst
Die drei überlebenden Attentäter bleiben nicht lange in Deutschland. Als im Oktober 1972 in Zagreb ein deutsches Flugzeug entführt wird, werden sie ins damalige Jugoslawien ausgeflogen und gegen Passagiere und Besatzung ausgetauscht. Bis heute hält sich der Vorwurf, die Entführung des Lufthansa-Flugs 615 sei von der Bundesregierung inszeniert worden, um sich der Mörder zu entledigen.
Bild: Klaus-Dieter Heirler/picture-alliance/dpa
Keine Entschuldigung
Eine echte Aufarbeitung des Attentats fehlt bis heute. Keiner der Verantwortlichen musste zurücktreten. Die Ermittlungsakten liegen noch bis 2047 unter Verschluss. Berechtigte Anfragen der Hinterbliebenen werden stets abgewiesen. Vor allem aber gibt es von deutscher Seite lange Zeit kein offizielles Schuldeingeständnis - auch die Frage der finanziellen Entschädigung sorgt für Streit.
Bild: Peter Hille/DW
Gedenken ohne Angehörige?
50 Jahre nach dem Attentat droht die Peinlichkeit, dass die Angehörigen der Gedenkfeier in München fernbleiben. Damit steht auch der Besuch von Israels Staatspräsident Herzog auf der Kippe. Die Hinterbliebenen sind verletzt: "Wir haben das Gefühl, dass der Missbrauch und die Art und Weise, wie wir behandelt werden, nicht aufgehört haben", sagt Ankie Spitzer, die Sprecherin der Opfer-Familien.
Bild: picture alliance / Sven Hoppe/dpa
Spätes Übereinkommen
Erst kurz vor der Gedenkfeier wird der Eklat abgewendet: Am 31. August bestätigt das Bundespräsidialamt eine Einigung. Die genaue Abfindungssumme wird nicht publik, nach Medienberichten sind es 28 Millionen Euro. Ankie Spitzer (Foto) ist erleichtert. "Ich kann endlich anfangen, mich um meine Enkel zu kümmern", sagt sie. Die Familien werden zur Gedenkfeier nach München kommen.
Bild: Maya Alleruzzo/AP Photo/picture alliance
18 Bilder1 | 18
Am Dienstag will das israelische Staatsoberhaupt eine Rede im Deutschen Bundestag halten. Zum Abschluss ist ein Besuch gemeinsam mit Steinmeier im ehemaligen NS-Konzentrationslager Bergen-Belsen geplant.
Izchak Herzogs Vater, der ehemalige Präsident Israels Chaim Herzog, gehörte als Offizier in den Reihen der britischen Streitkräfte im April 1945 zu den Befreiern des Lagers. Auch war Chaim Herzog der erste israelische Präsident, der Deutschland 1987 nach dem Zweiten Weltkrieg einen Staatsbesuch abstattete.