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Gesellschaft

Sterbehilfe: Kontroverse um Recht auf Tod

Daniel Heinrich | Mara Bierbach
16. April 2019

Palliativmediziner und private Sterbehilfe-Vereine finden: Das Sterbehilfe-Gesetz von 2015 ist zu streng. Deswegen haben sie vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Es gibt aber auch eine andere Sichtweise.

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Bild: picture-alliance/C. Ender

Eines stellte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle gleich zu Beginn der zweitägigen Verhandlung klar: Es gehe in dem Verfahren nicht "um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung", sondern "ausschließlich um die Verfassungsmäßigkeit einer konkreten Strafrechtsnorm mit einem beschränkten Anwendungsbereich". Dass Voßkuhle mit einer nüchternen Einordnung die Zielsetzung festhalten und somit die Erwartungen dämpfen wollte, macht Sinn. Das Thema Sterbehilfe ist seit Jahren hoch emotional aufgeladen.

Die Verhandlung ist der Auftakt einer auf mehrere Wochen angelegten Prüfung des obersten deutschen Gerichts zur Verfassungsmäßigkeit des "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Dieses war nach langen und kontroversen Debatten Ende 2015 im Bundestag verabschiedet worden. Die Abgeordneten waren damals von ihrer Fraktionspflicht entbunden worden. Das Ziel des Gesetzes: Der Bundestag wollte gegen private Sterbehilfe-Vereine, wie etwa den Verein Sterbehilfe Deutschland, vorgehen. Dieser hatte Suizidbegleitungen angeboten und Kontakte zu Ärzten vermittelt. Auch der assistierte Suizid, also etwa die Bereitstellung eines tödlichen Medikamentes, wurde mit dem Gesetz von 2015 unter Strafe gestellt. In der Schweiz ist dies beispielsweise möglich.

Wer hat geklagt und warum? 

In insgesamt sechs Fällen hatten Sterbehilfe-Vereine, Palliativmediziner und schwer erkrankte Personen, die ihr Leben unter Anwendung von Sterbehilfe beenden wollten, gegen das Gesetz Beschwerde eingelegt. Insbesondere stören sie sich am Paragrafen 217. Dort heißt es wörtlich: "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

November 2015: Die Abgeordneten des Bundestages stimmten über die Regelungen zur Sterbehilfe abBild: picture-alliance/dpa/K.-D. Gabbert

Während alle Kläger die Regelung als zu streng empfinden, sind die einzelnen Beweggründe für die Klagen unterschiedlich. Die Ärzte stören sich am Wort "geschäftsmäßig", das juristisch gesehen nicht nur kommerzielle Angebote, sondern alle Angebote meine, die wiederholt geschehen - also auch Gespräche mit Patienten, in denen diese ihren Sterbewunsch äußern. Sie befürchten, sich bei der Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen, oder halten Sterbehilfe bei ausweglosem Leiden für moralisch geboten. Die schwer kranken Menschen, die in Karlsruhe klagen, berufen sich vor allem auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und leiten daraus ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Die Sterbehilfevereine wenden sich dagegen, dass sie für ihre Mitglieder durch die Neuregelung nicht mehr tätig werden können.

Wer ist gegen Sterbehilfe?

Allen voran die Kirche will am bestehenden Gesetz festhalten. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, fasst die Bedenken der Kirchenvertreter zusammen. "Der Respekt vor der Selbstbestimmung jedes Menschen und seiner unantastbaren Würde in der extremen Lebenssituation des Sterbens erfordert neben der Sicherstellung einer umfassenden palliativen Versorgung dieses gesetzliche Verbot". Würde das Bundesverfassungsgericht den Klägern zustimmen, so die Auffassung Sternbergs, seien die Folgen, unabsehbar. Mit der Zulassung organisierter Suizidbeihilfe durch Sterbehilfevereine "könnte es zu einer gesellschaftlichen Normalität werden, sie in Anspruch zu nehmen." Besonders schwache und kranke Menschen müssten vor äußerem und innerem Druck geschützt bleiben: "Durch das Angebot eines assistierten Suizids wird das Gefühl verstärkt, niemandem zur Last fallen zu dürfen, erst recht, wenn die Beihilfe zu einer rechtlich und gesellschaftlich akzeptierten Option wird." Eine solche Entwicklung sei die Kehrseite eines verbreiteten Verständnisses von Selbstbestimmung.

Thomas Sternberg ist der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Unterstützung erhält die Kirche unter anderem von konservativen Politikern wie dem ehemaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Aber auch Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, findet, dass Sterbehilfe in Deutschland als Dienstleistung verboten bleiben müsse. "Wir müssen als Ärzte klar sein, dass wir als Helfende, als Heilende ans Bett treten und nicht als Tötende", so Montgomery. "Menschen mit existenziellen Leiden benötigen medizinische Hilfe und menschliche Zuwendung. Palliativmedizin vermag dies zu leisten, geschäftsmäßige Sterbehilfe dagegen nicht", ergänzt Montgomery.

Auch Juristen uneins

Wie unterschiedlich auch die juristische Auffassung des Gesetzes ist, macht unter anderem ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts deutlich. 2017 hatte das Gericht entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in "extremen Notlagen" unheilbarer und leidender Antragsteller dazu verpflichtet sein könnte, todbringende Mittel abzugeben. Folgt man diesem Urteil kann der Staat in Extremsituationen verpflichtet sein, unheilbar erkrankten und leidenden Patienten den Erwerb tödlicher Medikamente zu gestatten. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es bei der Entscheidung in Karlsruhe also um Leben und Tod - bei aller Nüchternheit von Andreas Voßkuhle.

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