1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Stern-Report: Frühe Warnung vor Klimafolgen

30. Oktober 2021

Vor 15 Jahren rechnete der Ex-Weltbank-Ökonom Nicholas Stern der Welt überzeugend vor: Klimaschutz ist vielleicht teuer; kein Klimaschutz kostet aber sehr viel mehr. Heute sieht er sich bestätigt.

Portrait von Nicholas Stern bei der Vorstellung seines Klima-Berichts während einer Pressekonferenz in London am 30. 10. 2006
Früher Mahner mit einflussreichem Zahlenwerk: Nicolas Stern bei der Vorstellung seines Klima-Berichts Bild: AP

Lange Jahre begegnete man bei Treffen von Klima-Politikern, Wissenschaftlern und Aktivisten einem wiederkehrenden Satz: "Das steht so alles schon im Stern-Report." Der Bericht des britischen Ökonomen Nicholas Stern, 2006 zur damaligen Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Nairobi veröffentlicht, sprach aus, was viele dachten. Und war seiner Zeit doch weit voraus.

Die große Leistung des Berichts von Nicholas Stern: Er war nicht so sehr aus moralischen oder ethischen Motiven heraus geschrieben oder als Appell zur Bewahrung der Schöpfung. Sondern er listete aus wirtschaftlicher Perspektive nüchtern und sachlich Fakten und Zahlen auf - mit dem Ergebnis: Klimaschutz kostet zwar Geld; aber der wirtschaftliche Schaden für die Staaten der Welt könnte weitaus höher sein, wenn keine Maßnahmen zum Schutz des Klimas erfolgen würden. So überzeugend hatte das noch kein Ökonom formuliert, schon gar keiner, der als Wirtschaftswissenschafter in großen und etablierten Institutionen mitgewirkt hatte. Und der so gar nicht im Verdacht stand, ein verträumter Öko-Aktivist zu sein.

Nicholas Stern, heute 75 Jahre alt, studierte Mathematik und Volkswirtschaftslehre in Cambrigde und Oxford und arbeitet danach als Wirtschaftsprofessor. Er war unter anderem Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Dabei arbeitete er auch mit dem späteren deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler zusammen. Später war Stern bei der Weltbank. 2005 schließlich beauftragte ihn die damalige britische Regierung, in einem Bericht die möglichen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels zu prognostizieren und zusammenzufassen. 

Mit dem früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, hier im Mai 2021, arbeite Stern bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zusammenBild: Bürgerrat Klima

Ein Prozent des Bruttosozialprodukts für die Klimapolitik 

Auf den 650 Seiten seines Berichts nahm Stern kein Blatt vor den Mund: Es müsse schnell und effektiv gehandelt werden, auf der ganzen Welt. Der Ökonom, heute Mitglied des britischen Oberhauses, forderte eine Verdoppelung der staatlichen Mittel für die Forschungen zum Klimawandel. Mindestens ein Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts müsse für den Kampf gegen den Klimawandel bereitgestellt werden. Und dann formulierte Stern die Sätze, die am meisten mit ihm verbunden wurden und werden: Diese Kosten seien zwar immens; sie würden aber weit weniger schwer wiegen als die Kosten, die verursacht würden, wenn die Weltgemeinschaft nicht gegenlenke. 

Mittelständler nach dem Hochwasser

This browser does not support the audio element.

Auch heute, eineinhalb Jahrzehnte später, würdigen Umweltaktivisten die Pionierarbeit des Briten, dessen Familie aus Deutschland stammt. So sagt etwa Jan Kowalzig, Klimaexperte der Umweltgruppe Oxfam, der DW: "Der Stern-Report hat das Bewusstsein für die ökonomischen Konsequenzen des Nichthandelns erheblich geschärft. Engagierter Klimaschutz ist unterm Strich immer ein Gewinn für unsere Volkswirtschaften. Je weniger Klimaschutz wir betreiben, desto höher werden die Folgeschäden für die globale Wirtschaft und die menschliche Entwicklung. Diese Diskussion hatte damals mit dem Stern-Report deutlich an Schwung gewonnen - und sie setzt sich bis heute fort." 

Jan Kowalzig von Oxfam: "Stern hat das Bewusstsein für die Folgeschäden des Klimawandels geschärft"Bild: Oxfam

Stern argumentierte in seinem Bericht detailliert und fundiert, dass der Schutz des Klimas nicht als Hindernis für ein freies Wachstum der Wirtschaft anzusehen sei. Vielmehr sei effektiver Klimaschutz die Bedingung, in Zukunft überhaupt noch effektiv wirtschaften zu können.

Jan Kowalzig: "Nach wie vor versuchen Akteure etwa der fossilen Energieindustrie oder ihnen zugewandte Politiker das Bild zu verbreiten, Klimaschutz sei ein Bremser für unsere wirtschaftliche Entwicklung. Das Gegenteil ist der Fall! Und das war damals die Kern-Aussage des Stern-Reports: Die Folgekosten der Klima-Krise sind es, die sich die Welt einfach nicht leisten kann."

Sterns Kernthese: Durch Klimawandel verursachte Katastrophen sind kosten erheblich mehr als KlimaschutzBild: Jack Taylor/AFP

Und auch der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth würdigt Sterns Arbeit. Er sagt der DW: "Kaum eine volkswirtschaftliche Klimawandel-Analyse hat so eingeschlagen wie der Stern-Report. Seine Hauptbotschaft, wonach die Kosten des Nicht-Handelns wesentlich höher ausfallen als die von Klimaschutzmaßnahmen, hat der Klimapolitik insgesamt eine wesentlich größere Bedeutung verliehen. Der Report hat politische Entscheidungsträger schließlich auch zum Umdenken bewegt. "

Seiner Zeit voraus

Vor 15 Jahren erschienen die Thesen Sterns nicht wenigen Politikern und Wirtschafts-Lenkern arg übertrieben, geradezu panisch. Vor allem, als Stern eine Minderung der Treibhausgase um 60 bis 80 Prozent forderte. Heute hat die Politik etwa der EU ungefähr den Stand der Appelle von Stern erreicht: Die EU-Kommission verspricht, bis 2050 Klima-Neutralität in allen EU-Staaten anzustreben und bis 2030 den Treibhausgasausstoß um 55 Prozent zu reduzieren.

Aber es gab 2006 auch positive Reaktionen auf den Stern-Report: Die damalige australische Regierung, sonst häufig ein Bremser beim internationalen Klimaschutz, bewilligte sofort 60 Millionen Dollar für Klimaschutzprojekte. Und zahlreiche Medien bereiteten die drastischen Prognosen Sterns für ihr Publikum auf: Das ARD-Fernsehen errechnete aus dem Report eine Schadenssumme für die Weltwirtschaft bis 2100 von astronomischen 5,5 Billionen Euro - pro Jahr! Der Klimawandel schadet der Wirtschaft: Diese These war mit dem Stern-Report plötzlich in der Gesellschaft angekommen.

Klimaschützer bis heute

Bis heute ist Stern als Mahner für einen stärkeren Klimaschutz aktiv. In einem aktuellen Gespräch mit dem britischen Guardian verriet Stern dieser Tage, dass er seine Thesen von 2006 inzwischen sogar noch für zu wenig zugespitzt hält. Die Erneuerbaren Energien etwa, so Stern, seien weltweit seit 2006 weitaus günstiger geworden, die Kosten für den Klimaschutz damit also gesunken. Dagegen seien die Schäden durch das Nicht-Handeln der Staaten in einem Ausmaß gestiegen, das auch er nicht erwartet habe. 

UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009: Nicolas Stern verhandelte mitBild: Getty Images/AFP/O. Morin

Nicholas Stern war zwischendurch auch als Mit-Verhandler auf Klimakonferenzen bekannt geworden. Als auf der UN Klima-Konferenz in Kopenhagen 2009 die damalige US-Regierung die Idee ins Spiel brachte, für den Klimaschutz in ärmeren Ländern ab 2020 einhundert Milliarden Dollar pro Jahr bereit zu stellen, war Stern an den Gesprächen darüber beteiligt.

Theorie und Praxis: Das 100-Milliarden-Programm wird auch auf der Konferenz in Glasgow wieder eine Rolle spielen. Die reichen Staaten haben die Summe noch nicht aufgebracht - auch nicht nach zwölf Jahren! Jetzt wird angepeilt, die 100-Milliarden-Summe bis 2023 aufzubringen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen