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PolitikEuropa

Stichwort: Beistandsklausel der NATO

15. November 2022

Wird ein NATO-Mitglied angegriffen, versprechen die übrigen NATO-Staaten, Beistand zu leisten. Sie müssen es aber nicht. Hier der Kern der sogenannten "Beistandsklausel" kurz erklärt.

Flaggenkranz der NATO-Staaten vor dem Hauptquartiert in Brüssel
Flaggenkranz der NATO-Staaten vor dem Hauptquartiert in Brüssel Bild: Olivier Matthys/AP/dpa/picture alliance

"Wenn es um Artikel 5 geht, dann sind wir kristallklar: Wir werden jeden Zentimeter des NATO-Gebietes verteidigen." So reagierte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums in der Nacht zu Mittwoch auf die Nachricht, dass es in Polen nahe der Grenze zur Ukraine Explosionen noch unbekannter Ursachegegeben hat. Der Pentagon-Sprecher bezog sich auf Artikel 5 des NATO-Vertrages. Dieser lautet:

"Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten."

Einstimmiger Beschluss nötig

Am wichtigsten für die Allianz ist der erste Satz, der als Beistandsgarantie gewertet wird. Ein Angriff auf ein NATO-Mitglied, in diesem Falle Polen, wird als Angriff auf das gesamte Bündnis gewertet. Polen müsste der NATO mitteilen, welche Reaktion es für angemessen hält, und welche Hilfe es braucht. Die NATO-Staaten würden dann jeder für sich entscheiden, welchen Beistand sie leisten. Es gibt keine automatische Eskalation oder gar einen automatischen Gegenangriff, in diesem Falle möglicherweise auf Russland. Der Bündnisfall muss politisch einstimmig beschlossen werden.

Die Formel, jeder Zentimeter des NATO-Gebiets werde verteidigt, ist seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine immer wieder von Politikern in den NATO-Staaten zu hören. Der Vorfall in Polen könnte jetzt ein Test sein, was diese Aussage wirklich bedeutet.

Terror gegen die USA löste Artikel fünf aus: ein Akt der Solidarität ohne direkte militärische FolgenBild: picture-alliance/ dpa

Bislang ist der Artikel 5 des NATO-Vertrages erst einmal genutzt worden. Nach den Terroranschlägen von Al Kaida in New York, Washington und Pennsylvania am 11. September 2001 erklärte die NATO den Angriff auf die USA als einen Angriff auf die Allianz. Die USA wurden entsprechend beim Kampf gegen Terroristen und der Besetzung Afghanistans durch eine NATO-Militärmission unterstützt. Das geschah allerdings nicht auf Grundlage des NATO-Vertrages nach Artikel fünf, sondern mit einem Mandat der Vereinten Nationen.

Artikel 5 oder 4?

Nicht jeder Angriff auf das Gebiet eines NATO-Mitglieds oder auf seine Soldaten führt automatisch zu einer Aktivierung der Beistandsgarantie. Als syrische Einheiten im Grenzgebiet zur Türkei Soldaten des NATO-Landes angegriffen haben, signalisierte die NATO der Türkei, dass das Verlangen nach Artikel fünf in diesem Falle keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die Türkei besitzt die zweitgrößte Armee in der NATO und wäre in der Lage, sich allein gegen syrische Angriffe zu verteidigen. Bislang gab es im Falle der Türkei nur Konsultationen über Bedrohungslagen nach Artikel vier des NATO-Vertrages.

Im aktuellen Fall in Polen sind Konsultationen nach Artikel 4 des NATO-Vertrags wahrscheinlich. An diesem Donnerstag könnte dazu der NATO-Rat auf Botschafterebene in Brüssel zusammentreten. Das ist allerdings noch nicht bestätigt.

Rückblick: Unterzeichnung des NATO-Vetrages in Washington am 4. April 1949Bild: picture-alliance/dpa

Artikel fünf des nordatlantischen Vertrages geht übrigens noch weiter. Die Schlussbestimmung lautet:

 "Vor jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten."

Gemeint ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die NATO müsste es also dem Sicherheitsrat melden, falls sie tatsächlich Schritte gegen Russland unternehmen sollte. Im Sicherheitsrat ist allerdings Russland als ständiges Mitglied vertreten - und hat ein Vetorecht.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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