Stichwort: Enteignung
2. Juni 2009Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es in Artikel 14: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet." Das Recht auf Eigentum ist somit ein Grundrecht, das verfassungsrechtlich geschützt ist. Allerdings gelten Einschränkungen. Im Artikel 14 heißt es nämlich auch: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Allgemeinwohl dienen." Mit diesem Wortlaut wird dem Eigentum eine soziale Verpflichtung zugewiesen.
Ein Beispiel: Einem Bürger gehört ein Grundstück, das seinen Nachbarn den Weg auf eine öffentliche Straße versperrt. Da der Staat verpflichtet ist, den Zugang zu öffentlichen Straßen zu gewährleisten, muss er versuchen, mit dem Eigentümer des Grundstücks eine Einigung zu erreichen. Weigert sich dieser, sein Grundstück oder Teile davon dem Staat zu verkaufen, dann kann der Staat in das Eigentumsrecht des Grundstückbesitzers eingreifen. Er kann ihn zur Wahrung des Gemeinwohls enteignen und die Straße bauen. Enteignungen sind in Deutschland nicht nur im Straßenbau, sondern auch beim Bau von Bahntrassen, Stromleitungen und Deichen gar nicht so selten.
Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig
Die Enteignung ist somit ein Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum. Sie ist ebenfalls im Artikel 14 des Grundgesetzes geregelt. Dort heißt es: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen."
Mit anderen Worten: Nur wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert und wenn der Zweck der Enteignung anders nicht erreicht werden kann und erst nachdem ein ernsthaftes schriftliches Kaufangebot abgelehnt wurde, darf enteignet werden.
Enteignung und Verstaatlichung - geschichtlich belastete Begriffe
Eine Form der Enteignung ist die Verstaatlichung, die in Artikel 15 des Grundgesetzes geregelt ist. Dort heißt es, dass "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden" können. Produktionsmittel ist ein Sammelbegriff, unter den auch Fabriken oder Banken fallen.
Enteignung und Verstaatlichung sind also zwei Begriffe, die durch das Grundgesetz abgedeckt sind. Trotzdem sind sie in der Bundesrepublik Deutschland strittig. Das erklärt sich aus der deutsch-deutschen Geschichte. In der sozialistischen DDR hatte sich der Staat durch mehrere Wellen von Enteignungen zum Haupteigentümer und Verwalter der Produktionsmittel gemacht. Das Privateigentum stand hinter dem Eigentum des Volkes zurück. Im Gegensatz dazu wurde in der Bundesrepublik mit der sozialen Marktwirtschaft das Privateigentum von Anfang an garantiert und gesichert. Enteignung und Verstaatlichung waren in der Bundesrepublik über Jahrzehnte daher trotz ihrer Verankerung im Grundgesetz so etwas wie ein Tabu.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Julia Elvers-Guyot