Erfolgreich war er schon sehr früh. Was aber wäre aus dem Frontmann der Rolling Stones geworden, wenn er nicht dabei erwischt worden wäre, als er öffentlich an die Wand einer Tankstelle pinkelte?
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Zusammen mit seinen damaligen Bandkollegen Brian Jones und Bill Wyman wird Mick Jagger 1965 wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt. Die Geldstrafe macht ihnen höchstwahrscheinlich nicht viel aus, denn dieser Vorfall zementiert endgültig das Image der Rolling Stones als "böse Jungs" und liefert den Fans den Beweis dafür, dass Jagger und Co. Rebellen sind. Kurz darauf sorgt ihr Song "(I can't get no) Satisfaction" für den weltweiten Durchbruch der Band - und wird zur Hymne einer ganzen Generation.
Lebende Legenden: Die Rolling Stones
26:05
Ob sich etwas wirklich lohnt, hat der ehemalige Student der Wirtschaftswissenschaften schon immer gewusst. In Mick Jagger vereinen sich zwei Talente, die nicht oft miteinander harmonieren: Einerseits ist er der kühle Rechner und Geschäftsmann, andererseits der charismatische Frontmann einer Band, deren Image es ist, immer und überall anzuecken. Die Bösen zu geben ist allerdings auch brillantes Kalkül, denn das Terrain der "braven Jungs" ist ja schon durch die Beatles besetzt.
Wie viel Schauspiel es für den heute 80-jährigen Mick Jagger bedeutete, den Zügellosen herauszukehren, das wird er vielleicht selbst nicht mehr beantworten können. Später spielt er jene skandalträchtige Zeit herunter und sagt, sie seien doch nichts anderes gewesen als eine "Teenie-Pop-Band" und hätten nicht daran gedacht, rebellisch sein zu wollen.
Geburtsstunde auf dem Bahnhof
Für Mick Jaggers Freund und Stones-Gitarrist Brian Jones endete diese "harmlose Teenie-Band" in Drogensucht und mit seinem tragischen Tod 1969. Zusammen mit ihm und seinem anderen Kumpel Keith Richards startete Mick Jagger die Rolling Stones, nachdem er sich als Sänger schon einige Sporen in Alexis Korners Bluesband verdient hatte.
Der Legende nach trafen sich Mick Jagger und Keith Richards auf dem Bahnhof von Dartford in der Grafschaft Kent. Dort war Michael Philip Jagger am 26. Juli 1943 geboren worden - und an jenem Tag 1961 befand er sich auf dem Weg von zu Hause nach London zur School Of Economics, wo er studierte. Nach London wollte auch Richards, beide kannten sich aus der Schulzeit - denn auch er ist gebürtiger Dartforter.
61 Jahre Rolling Stones
Ihr erstes Konzert spielten sie am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club. Sechs Jahrzehnte später rocken die Rolling Stones immer noch die Bühnen dieser Welt. Und Mick Jagger wird 80.
Bild: Robin Utrecht/picture alliance
Die Stones feiern ihr 60-jähriges Jubiläum
Vier Teenager traten am 2. Juli 1962 im Marquee Club in der Londoner Oxford Street vor rund 100 Zuschauern auf die Bühne. Vorher hatten sie nur in Garagen gespielt. Sie traten als Ersatz für Alexis Korner an, weil der Blues-Musiker das vereinbarte Konzert aufgrund von gleichzeitig stattfindenden TV-Aufnahmen abgesagt hatte. Seitdem haben die Rolling Stones eine beispielhafte Karriere hingelegt.
Bild: Robin Utrecht/picture alliance
Die Anfänge: Rhythm & Blues
Mick Jagger und Keith Richards kennen sich schon aus der Schulzeit. 1962 gründen sie die Rolling Stones. Mit dabei beim ersten Konzert in London: Tony Chapman am Schlagzeug, Dick Taylor am Bass und Ian Stewart am Piano. Kurz darauf wird umbesetzt. Auf dem ersten Album "The Rolling Stones" (1964) spielt Brian Jones die zweite Gitarre, Bill Wyman den Bass und Charlie Watts die Drums.
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Bad Boy Band
1964 sind die Beatles mit ihren Feel-Good-Songs bereits auf dem Sprung zur Weltkarriere. Andrew Loog Oldham, damals Manager der Stones, will mit den "Rollenden Steinen" einen Gegenpol zu den Fab Four schaffen. Sie sollen sich als die "Bad Boys" der Musikszene einen Namen machen. Bei ihrem ersten TV-Auftritt in der Show "Ready Steady Go" wirken die Jungs allerdings noch ziemlich brav.
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Image-Wandel gelungen
Ein Jahr später kommen die Rolling Stones ins Westfälische: Im eher konservativen Münster spielen sie am 11. September ihr erstes Deutschlandkonzert. Die Polizei hat Mühe, die ausflippenden Fans im Zaum zu halten. Die meisten Münsteraner betrachten die Stones allerdings eher argwöhnisch. Dabei haben die Westfalen noch Glück - in Berlin zerlegen die Fans die Waldbühne geradezu.
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Sex, Drugs & Rock'n'Roll
Keine andere Rockband entspricht in den 1960er-Jahren mehr diesem Klischee als die Stones. Die Kombination von Rockmusik, freier Liebe und Drogenkonsum gehört einfach dazu. Stones-Gitarrist Brian Jones machen die Drogen aber leider krank. Im Juni 1969 verlässt er deshalb die Band. Kurze Zeit später ertrinkt er unter mysteriösen Umständen in seinem Swimmingpool.
Im Mai 1965 sind die Steine zum dritten Mal in den USA auf Tour. Erneut spielen sie überwiegend Coverversionen US-amerikanischer Hits. Sie haben noch zu wenig eigene Nummern. Eines Nachts fällt Keith eine Melodie ein und er zupft sie auf seiner Gitarre. Er findet sie so magisch, dass er sie aufnimmt und Mick vorspielt: Die Hookline ihres ersten Welthits "Satisfaction" ist geboren.
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Schock in Altamont
Das "Altamont Free Concert", initiiert vom Stones-Management, soll eine Gegenveranstaltung zu Woodstock sein. Neben den Stones auf der Bühne: u.a. Santana, Crosby, Stills, Nash & Young, Jefferson Airplane. Als die Stones auftreten, gibt es Rangeleien im Publikum. Immer wieder muss das Konzert unterbrochen werden. Als Aufpasser fungieren die immer aggressiver werdenden Hells Angels.
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Das Ende der Hippie-Ära
Die Stones spielen gerade "Under my Thumb", als vor der Bühne ein Mann zusammenbricht. Ein Hells Angel hat ihn mehrfach in den Rücken gestochen. Fassungslos steht die Band auf der Bühne. Später spielt sie das Konzert zu Ende. "Wenn Woodstock der Traum war", sagt der britische Fotograf Eamon McCabe später, "dann war Altamont der Albtraum." Die Hippiezeit ist an diesem 6.12.1969 endültig vorbei.
Bild: picture-alliance/AP
1973 noch mit Mick Taylor (2.v.l.)
Die Siebziger bringen den Stones eine Menge Ärger. Vor allem wegen Steuerzahlungen. Die Band flüchtet nach Frankreich, wo sie 1972 mit "Exile On Main St" ein Album aufnimmt, das viele für die beste Stones-Platte überhaupt halten. 1974 steigt Gitarrist Mick Taylor aus und wird durch Ron Wood ersetzt.
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Die bösen 1970er
Äußerlich halten sie dem Rock'n'Roll die Stange, intern aber brodelt es. Keith Richards' Drogensucht bringt ihm eine Verhaftung und einen Entzug, Mick Jagger hat seinen eigenen Kopf. Musikalisch sind die Rebellen zum Establishment übergelaufen - sie springen auf mehrere Züge auf und versuchen sich in anderen Genres wie Funk (Miss You, 1978) und sogar Disco (Emotional Rescue, 1980).
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Geniale Liveband
Was auch immer zwischen den Bandmitgliedern geschehen ist: Anfang der 1980er raufen sie sich zusammen und machen das, was sie am besten können: live spielen. Als Band sind sie so gefragt, dass sie locker ganze Fußballstadien füllen - so auch 1982 in Deutschland, wo sie legendäre Shows gespielt haben, von denen jeder heute noch erzählt, der sie damals gesehen hat.
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Life und roh
Auch nach dem Ausstieg des Gründungsmitgliedes Bill Wyman 1993 machen die Stones einfach weiter und rutschen ins nächste Jahrtausend. Immer wieder wird von Abschiedstourneen gesprochen, doch immer wieder heißt es auch: eine Tour geht noch. Egal wie alt sie sind - ihre Livegigs sind ein Garant ihres Erfolges. 2003 rocken sie beispielsweise Moskau.
Bild: picture-alliance/dpa
Die "Herumtreiber"
Die Stones treiben sich auf der ganzen Welt herum. 2006 freuen sich die japanischen Fans über das Konzert in der Großstadt Saitama, nördlich von Tokio. Etwas später spielen die Stones in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Der Bandname ist wohl vom Blues-Hit "Mannish Boy" von Muddy Waters inspiriert worden. Dort gibt es die Textzeile "I'm a rolling stone" - ein "Herumtreiber".
Bild: AP
Ein Mann, ein Gesicht
Mick Jagger ist nicht das einzige Charaktergesicht der Stones. Aber er zelebriert es am meisten. Auch mit fast 80 Jahren zieht er die wildesten Grimassen, wuselt wie ein verrückt gewordenes Aufziehmännchen mit ungebremster Energie über die Bühne, ist sich auch als Urgroßvater nicht zu schade für seinen Hüftschwung und prägt als Frontmann das Bühnenbild der Rolling Stones seit nunmehr 60 Jahren.
Bild: Getty Images
Charlie Watts stirbt
Und dann erkrankt Charlie Watts an Krebs. Er gilt nach einer Strahlentherapie als genesen und geht weiter mit den Stones auf die großen Touren, viele Jahre noch. Zum letzten Mal sitzt er im August 2019 im Rahmen der "No Filter"-Tour am Schlagzeug, zwei Jahre später stirbt er 80-jährig im Krankenhaus. Die Stones haben ihren Ruhepol, ihr Rückgrat verloren.
Bild: Ian West/PA/picture alliance
Der neue Mann an den Drums
Steve Jordan wollte nur für ein paar Gigs einspringen und mit den Stones die "No Filter"-Tour zu Ende spielen. Doch nun sitzt er weiterhin im Maschinenraum der dienstältesten Rockband. Wobei er mit seinen 65 Jahren das Küken der Band ist und den Altersdurchschnitt erheblich senkt. Auch bei der Sixty-Europa-Tour 2022 war der Neue an den Drums unverzichtbar.
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Man beschloss, sich zum Musik machen wieder zu treffen und ein gutes Jahr später wurden The Rolling Stones aus der Taufe gehoben. Zusammen mit Keith Richards schreibt Mick Jagger bis heute die größten Hits für die Band - als Songschreiberteam vielleicht nur vergleichbar mit John Lennon und Paul McCartney. Jagger drückt den Stones mit seiner exaltierten Bühnenshow seinen unnachahmlichen Stempel auf - Richards liefert kongenial die einmaligen Gitarren-Riffs.
Die Stones in Deutschland
1965 betreten Mick Jagger und die Rolling Stones zum ersten Mal deutschen Boden. Am 11. September geben sie ihr erstes Konzert in Münster. Das Publikum reagiert euphorisch, wie schon zuvor die Fans in England und auf den Tourneen in den USA.
Wie viel rebellisches Potenzial die Band um Mick Jagger bei ihrem Publikum wecken kann, zeigt sich vier Tage später: Das Konzert der Stones in der Berliner Waldbühne endet mit der totalen Zerstörung der Freilicht-Arena. Polizei und Fans liefern sich stundenlange Auseinandersetzungen, Wasserwerfer kommen zum Einsatz. Die Waldbühne selbst wird erst sieben Jahre später wieder instand gesetzt.
Mick Jagger privat
Das Privatleben des 80-Jährigen ist ebenso bewegt wie das seiner Band. 1970 dementiert er in einem Interview mit dem deutschen "Musik Express" noch irgendwelche Heirats- und Kinderpläne - eine spießige Ehe passt ja auch nicht so gut zum Rebellenimage - ein Jahr später ist er mit Bianca Pérez-Mora Macias verheiratet. Er unterschlägt dabei auch seine erste uneheliche, inzwischen einjährige Tochter Karis. Deren Mutter ist die Sängerin Marsha Hunt. Jaggers erstes Eheglück währt bis 1979 und kostet ihn mutmaßlich 2,5 Millionen Dollar Abfindung bei der Scheidung.
Seine zweite Ehe mit Jerry Hall dauert von 1990 bis 1999. Derzeit an seiner Seite: die Tänzerin Melanie Hamrick, die fast 44 Jahre jünger ist als er. Mit ihr bekommt er 2016 Sohn Deveraux; er ist Jaggers achtes Kind. Außerdem hat der Rockstar fünf Enkel und zwei Urenkel.
Viel Zeit scheint Mick Jagger für die weit verzweigte Familie nicht zu haben. Ist er nicht im Dienste der Rolling Stones unterwegs, dann läuft irgendein Solo-Projekt oder er steht zusammen mit berühmten Kollegen am Mikrofon.
Der Künstler abseits der Stones
Was andere Bandkollegen bereits vor ihm unternommen haben, wagt Mick Jagger erst 1985. Mit "She's the boss" veröffentlicht er sein erstes Solo-Album und landet bei seinen Fans einen Volltreffer. Es folgen noch weitere Werke und 2007 ein "Best of".
Die Liste der Künstler, mit denen er seit 1972 als Sänger und Musiker zusammen gearbeitet hat, ist so lang wie prominent. Da finden sich Namen wie Carly Simon, Tina Turner, Jerry Lee Lewis oder David Bowie. Mit ihm zusammen nimmt er 1985 den weltweiten Hit "Dancing in the street" auf, ein Benefiz-Projekt für Live Aid.
Auch als Filmschauspieler hat sich Mick Jagger immer wieder in Szene gesetzt. Sein Debüt gibt er 1970 in "Kelly, der Bandit", 2001 dreht er mit George Hickenlooper "Ein Mann für geheime Stunden". Dabei wird ihm immer wieder mehr als nur Talent zum Schauspiel attestiert. Filmregisseur Werner Herzog sah ihn sogar als "tragische Lücke in der Filmgeschichte" und meinte 2012 in einem Interview, man habe Jagger nicht genügend gewürdigt als jemand, der als Schauspieler ganz groß hätte sein können.
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Ein Ritter macht weiter
Lohn und Ehre für all seine künstlerische Umtriebigkeit: 2003 wird Michael Philip Jagger vom damaligen Prinz Charles zum Ritter geschlagen - für seine "Verdienste um die populäre Musik", wie es in der Begründung heißt. Er darf sich nun "Sir" nennen.
Und die Geschichte der Rolling Stones ist immer noch nicht zu Ende. Aktuell arbeitet Jagger mit den Rolling Stones an einem neuen Album, bei dem auch der frühere Beatle Paul McCartney mitspielen soll.
Auch mit 80 Jahren singt und tanzt der Frontmann der Stones wie damals in den Swingin' Sixties. Ob 1962, 1989 oder 2022: In manchen Live-Momenten spielt das Alter keine Rolle.