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"Stiller Don" statt "Doktor Schiwago"

25. Juli 2003

- Lehrpläne für den Literaturunterricht an russischen Schulen sollen geändert werden

Moskau, 18.7.2003, 1400 GMT, ECHO MOSKWY, russ.

Und nun das Thema des Tages. Vertreter des kulturellen Lebens in Russland sind besorgt über die Änderungen der Lehrpläne für den Literaturunterricht an den russischen Schulen. Auf dem Lehrplan-Entwurf sind Autoren wie (Boris) Pasternak, (Andrej) Platonow und (Anna) Achmatowa nicht mehr zu finden. Gleichzeitig aber kehren die Schulen zu (Maksim) Gorkij, (Nikolaj) Ostrowskij und anderen Schriftstellern der Sowjetzeit zurück.

Eine Gruppe von Persönlichkeiten des kulturellen Lebens hat sich mit einem offenen Brief an das russische Bildungsministerium gerichtet. Zu den Unterzeichnern gehören der Schriftsteller Leonid Schukawizkij und der wissenschaftliche Leiter des Instituts für Bildungsentwicklung Jewgenij Saburow. Beide waren heute bei Echo Moskwy zu Gast. Aleksandr Klimow sprach mit ihnen.

(Klimow)

In dem Brief ist zu lesen, dass im geisteswissenschaftlichen Unterricht eindeutig konservative Trends zu erkennen sind, insbesondere in der Literatur. Neuerdings werden für das Verständnis der tragischen Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert so wichtige Werke wie Pasternaks "Doktor Schiwago" oder Platonows "Die Baugrube" nicht mehr Pflicht-, sondern freiwillige Lektüre sein. (Warlam) Schalamows "Geschichten aus Kolyma" sind von der Liste der Pflichtlektüre verschwunden und vom gesamten Achmatowa-Erbe werden lediglich drei so genannte patriotische Gedichte empfohlen. Diese Liste lässt sich offenbar fortsetzen - wir wollen hoffen, nicht endlos.

Erstens, woher kommen diese Informationen? Offensichtlich ist es von Schule zu Schule unterschiedlich - oder ist es ein genereller Trend?

(Schukawizkij)

Wenn ich es richtig sehe, sprechen wir hier von Standards. Und Standard ist, was die föderalen Behörden, das heißt was der Föderationsrat (russisches Parlament - MD) von den Schulen verlangt. Es ist keine Frage einzelner Schulen. Einzelne Schulen könnten der Liste möglicherweise noch etwas hinzuzufügen haben, die Schüler müssen aber das lernen, was auf der Standardliste steht. Diese Liste soll im Herbst gebilligt werden und dann wird sie für alle Schulen in Russland absolut bindend sein.

(Klimow)

Diese Werke werden aus einem bestimmten Grund empfohlen, nicht wahr? Wenn etwas von der Liste gestrichen wird, dann bedeutet das, dass etwas anderes hinzukommt. Was also wird in den Lehrplan aufgenommen?

(Schukawizkij)

Es wurde beispielsweise vorgeschlagen, (Michail) Scholochows "Der stille Don" in den Unterrichtsplan aufzunehmen. Das soll geschehen, um die Leute täuschen, denn der Umfang dieses Werkes macht es unmöglich, innerhalb der elf Jahre etwas anderes als eben dieses Werk zu lesen. Werke, die wir alle gelesen haben, werden wieder aktuell, was, gelinde ausgedrückt, verwundert. Es ist vorgeschlagen worden, (Maksim Gorkijs - MD) "Das Lied vom Sturmvogel" wieder auf den Unterrichtsplan zu setzen. (...) Und die Liste, die aufgestellt worden ist, hat sehr heftige Reaktionen bezüglich des russischen Rates für Bildungsentwicklung hervorgerufen, einer gesellschaftlichen Organisation, der sehr viele Leute angehören. Insgesamt hat es recht starke Klagen darüber gegeben, was vor sich geht. Was geschieht ist eine gewisse Restauration. Ich hörte sogar jemand sagen, lasst uns (Nikolaj Ostrowskijs - MD) "Wie der Stahl gehärtet wurde" wieder auf die Liste setzen. Und natürlich geschieht dies alles auf Kosten der großen russischen Literatur.

(Klimow)

Es handelt sich bei der Liste um einen Entwurf oder ist sie bereits gebilligt worden?

(Schukawizkij)

Zum Glück ist es erst ein Entwurf und es wird noch darüber gestritten. Daher war ich, als ich von dem Brief erfahren habe, sehr froh, denn ich glaube, Bildung ist nicht eine Frage des Systems. Bildung betrifft die gesamte Gesellschaft, insbesondere den Literaturunterricht, der in Russland Tradition hat. Literatur at aber auch eine erzieherische Funktion. Und das bedeutet, dass die Öffentlichkeit Wert darauf legt. Der Brief hat mich also sehr gefreut. Jemand muss sich einmischen.

(Klimow)

Die Klassiker, die russischen Klassiker wie Puschkin, Lermontow, Tschechow - sind die geblieben?

(Schukawizkij)

Was das 19. Jahrhundert anbelangt, so gibt es im Wesentlichen keine Klagen. (...) (TS)