Stimme gegen Rassismus - der US-Autor James Baldwin
Sabine Kieselbach
2. August 2024
James Baldwin ist einer der wichtigsten afro‐amerikanischen Schriftsteller. Am 2. August wäre er 100 Jahre alt geworden.
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Die Welt, in die James Baldwin 1924 hineingeboren wird, ist eine zutiefst rassistische. Seine Zukunft im New Yorker Stadtteil Harlem - vorhersehbar. Viele Menschen sind arm, es herrscht Polizeigewalt. Baldwin wächst mit acht Geschwistern auf, der Stiefvater ist ein sittenstrenger Baptistenprediger, er hat großen Einfluss auf den jungen James, der zunächst sogar selbst Prediger wird.
Aber James Baldwin will die Begrenzungen, die die Gesellschaft für ihn vorgesehen hat, nicht akzeptieren. Er hat einen Traum, und der heißt: schreiben. Anfangs veröffentlicht er Rezensionen, bald auch Essays und Kurzgeschichten. New York, nein, ganz Amerika, wird ihm zu eng. Hier fühlt er sich als Schwarzer und Homosexueller unterdrückt. Bald 40 Jahre dauert sein Exil in Frankreich - mit Unterbrechungen.
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Ein Wanderer zwischen den Welten
In seiner französischen Wahlheimat entstehen die Romane, die James Baldwin bekannt machen: "Von dieser Welt" 1953, in dem er seine Kindheits- und Jugenderfahrungen in der heimatlichen Baptistenkirche niederschreibt, und "Giovannis Zimmer" 1956. Dieser Roman wird zum Skandal, denn darin geht es um eine schwule Identitätssuche - eine Auseinandersetzung auch mit seiner eigenen Homosexualität.
Wichtige Figur der Bürgerrechtsbewegung
Für einige Jahre kehrt James Baldwin noch einmal zurück in die USA. Es ist die Zeit der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, für die er zu einer wichtigen Figur wird. Er ist befreundet mit Martin Luther King, Malcolm X und Nina Simone. Baldwin ist angetrieben von der Hoffnung auf Veränderung, auf Versöhnung. Er will keine weiße Nation, und er will auch keine schwarze. Seine Vision ist eine Nation von Individuen, weder weiß noch schwarz. Eine Vision, die so, wie er glaubt, nur in Amerika erreicht werden könne. Und doch ist da auch eine große Wut, wie er 1961 in einem Radiointerview bekennt:
"Ein Schwarzer in diesem Land zu sein und das relativ bewusst zu erleben, bedeutet, sich fast immer - auch bei der Arbeit - in einem Zustand der Wut zu befinden."
Baldwins zwiespältiges Verhältnis zu Afrika
Die 1960er-Jahre sind nicht nur die Zeit der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, sondern auch die Zeit der Unabhängigkeitsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent, zu dem James Baldwin lange eine zwiespältige Beziehung hat. Seine Vorfahren waren noch als Sklaven in die USA gebracht worden. Das, so schreibt er, habe ihn und alle Nachfahren entwurzelt und von Afrika entfremdet. Bei einer Reise nach Westafrika fühlt er sich als Eindringling. Seinen Plan, eine Artikel-Serie über Afrika zu schreiben, verwirft er, aus Respekt, wie er sagt.
Der Berliner Journalist René Aguigah hat soeben eine Biografie über James Baldwin vorgelegt: "James Baldwin. Der Zeuge". Im Interview mit der DW sagt er: "Afrika war wichtig für Baldwin. Zu jener Zeit haben sich viele African Americans für Afrika interessiert - und damit auch für ihre eigene Geschichte. Bei Baldwin kam hinzu: In seiner Familie lebte auch die Mutter des Stiefvaters, und die ist noch in der Versklavung geboren worden. Das heißt, er war auf Tuchfühlung mit dieser Geschichte."
Von "Black Lives Matter" wiederentdeckt
Mit der Ermordung der Bürgerrechtsikonen Martin Luther King und Malcom X ist auch die Bürgerrechtsbewegung am Ende. James Baldwin kehrt nach Europa zurück, resigniert, auch wütend. Der amerikanische Traum, erklärt er, sei für ihn ausgeträumt. Sein Blick auf die USA wird zu dem eines distanzierten Beobachters. Baldwin selbst gerät ein wenig in Vergessenheit.
Es ist die Black Lives Matter-Bewegung, die ihn und sein Werk zurück ins öffentliche Bewusstsein holt, allen voran seine scharfsichtigen Essays. In ihnen analysiert er die alltägliche Gewalt und den Rassismus, die bis heute nicht überwunden sind. Baldwins Biograf René Aguigah empfiehlt Baldwin-Neulingen denn auch einen seiner Essay-Bände als Einstiegslektüre: "The Fire Next Time" aus dem Jahr 1963 (deutsch: "Nach der Flut das Feuer"). Es sei ein Rundumschlag zur Lage der African Americans Anfang der 1960er-Jahre und ein schöner Einstieg deswegen, weil Baldwin darin viele Aspekte aus seinem eigenen Leben berühre - mit dem Blick auf die großen politischen Umstände.
James Baldwin stirbt 1987 im Alter von 63 Jahren an Krebs. Er liegt auf dem Ferncliff Cemetery, Hartsdale, in New York begraben.
#Blacklivesmatter: Wo sind die Träume hin?
Black Power zwischen Hoffnung und Aufruhr. Mit der Aufbahrung von John Lewis im Kapitol in Washington wird einer Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung die letzte Ehre erwiesen. Der Kampf der Bewegung geht weiter.
Bild: Getty Images/Keystone
"Seid zuversichtlich und macht Ärger"
Die Projektion eines Fotos von John Lewis auf die Konföderiertenstatue in Richmond. Der am 17. Juli im Alter von 80 Jahren verstorbene Abgeordnete des Repräsentantenhauses gilt als Ikone des gewaltfreien Widerstandes. Er war 1963 beim "Marsch auf Washington" dabei und spielte bei der Beendigung der US-Rassentrennung eine Schlüsselrolle. Sein Motto: "Seid zuversichtlich und macht positiven Ärger."
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Helber
"Ohne Stimmrecht gibt es keine Hoffnung"
Amelia Boynton Robinson ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der US- Bürgerrechtsbewegung. Sie kämpfte für das Wahlrecht von Afroamerikanern. Bei den von ihr organisierten Protestmärschen von Selma nach Montgomery in Alabama, an denen sich auch John Lewis beteiligte, wurde sie am 7. März 1965 von der Polizei brutal zusammengeschlagen. Die Bilder vom "blutigen Sonntag" gingen um die Welt.
Bild: Getty Images/S. Lovekin
"Der richtige Mann und der richtige Ort"
Thurgood Marshall (hier ein Bild von 1957) war der erste afroamerikanische Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Der 1908 in Baltimore geborene Jurist kämpfte erfolgreich gegen die getrennte Schulbildung von Schwarzen und Weißen. Nach seiner Ernennung zum Obersten Richter 1967 erklärte der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson, Marshall sei "der richtige Mann und der richtige Ort".
Sie schrieb Geschichte: Am 1. Dezember 1955 weigerte sich Rosa Parks, ihren Platz in einem öffentlichen Bus in Montgomery für einen Weißen zu räumen. Ihre Festnahme führte zu einem 385 Tage langen Bus-Boykott, der von Martin Luther King koordiniert wurde. Mit Erfolg: Am 13. November 1956 erklärte der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in den Bussen von Montgomery für verfassungswidrig.
Bild: picture alliance/Everett Collection
"Ich habe das gelobte Land gesehen"
Martin Luther King am Tag seiner Ermordung am 4. April 1968 auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis. Einen Tag zuvor hatte King die Rede "Ich war auf dem Berggipfel und habe das gelobte Land gesehen" gehalten, die im Nachhinein als Prophezeiung seines Todes gedeutet wurde. Neben ihm (v.l.n.r.) die Bürgerrechtler Hosea Williams, Prediger Jesse Jackson und Baptist Ralph Albertnathy.
Bild: picture-alliance/AP Photo
Botschafter von Carter und King
Andrew Jackson Young war dabei, als Martin Luther King in Memphis erschossen wurde. Er war in der US-Bürgerrechtsbewegung als Pastor und Direktor der "Southern Christian Leadership Conference" aktiv. 1976 ernannte Präsident Jimmy Carter ihn zum US-Botschafter bei den Vereinten Nationen. 1981 wurde der Anhänger Mahatma Gandhis zum Bürgermeister von Atlanta gewählt.
Bild: Getty Images/D. Oulds
"Wahlzettel oder Kugel"
Malcolm X war ein mächtiger Gegenspieler von Martin Luther King und lehnte gewaltfreien Widerstand ab. Regisseur Spike Lee verfilmte den atemberaubenden Werdegang des Bürgerrechtlers, brillant gespielt von Denzel Washington (rechts). Vom Wortführer der "Nation of Islam" wandelte sich Malcom X zu dessen schärfsten Kritiker. Am 21. Februar 1965 wurde er in New York City bei einem Vortrag ermordet.
"Glaube an die Verfassung"
Sie war die erste Afroamerikanerin, die eine Grundsatzrede auf der "National Convention" der US- Demokraten hielt: Barbara Jordan. Die Hochschullehrerin, Politikerin und Rechtsanwältin trat 1976 neben dem Astronauten John Glenn auf und galt als aussichtsreiche Vize-Präsidenten-Kandidatin. 1974 erklärte sie im Repräsentantenhaus: "Mein Glaube an die Verfassung ist allumfassend".
Bild: Getty Images/Keystone/Hulton Archive
Stimme für Bürgerrechte
13 Grammys und 40 Millionen verkaufte Platten: Die 1917 in einem New Yorker Vorort geborene Jazzsängerin Ella Fitzgerald war nicht nur ein musikalisches Phänomen. Sie bestand bei ihren Tourneen darauf, dass alle Musiker gleich behandelt werden. Am 15. März 1955 trat sie als erste schwarze Musikerin im "Mocambo Night Club" in Los Angeles auf - Marilyn Monroe hatte ihr zu dem Engagement verholfen.
Bild: Getty Images/Keystone
Wir, starke schwarze Frauen
Seit den 1960er-Jahren engagiert sich Autorin Alice Walker für die Bürgerrechtsbewegung. Mit gerade mal 17 Jahren nahm sie 1963 an dem "Marsch auf Washington" teil, wo Martin Luther King seine berühmte Rede "I have a dream" hielt. Zentrale Rolle in ihren Romanen spielt die Stärke schwarzer Frauen. Für ihr Buch "Die Farbe Lila" erhielt Walker 1983 als erste Afroamerikanerin den Pulitzer-Preis.
Bild: Getty Images/H. Brace
Wortgewaltig und rebellisch
Hier, auf der Trauerfeier für George Floyd, war er der Hauptredner: Al Sharpton. Der Baptist kandidierte mehrmals für die demokratische Partei bei Präsidentschafts- und Senatswahlen. Im November 2006 führte er einen Protestmarsch für den 23-jährigen Afroamerikaner Sean Bell an, der von der Polizei getötet worden war. Sein wortgewaltiger Einsatz gegen Rassismus ist in den USA allerdings umstritten.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Gonzalez
Kings of Hope
Der scheidende Präsident Barack und Noch-First-Lady Michel Obama im Januar 2017 beim Besuch einer Washingtoner Obdachlosenunterkunft. Mit letzten Pinselstrichen vollenden sie ein Wandgemälde, das Martin Luther King zeigt. Die Obamas waren das erste schwarze Präsidentenpaar im Weißen Haus. Doch der Tod des Afroamerikaners George Floyd zeigt: Die USA haben auch 2020 immer noch ein Rassismus-Problem.