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Stimmung? Ansichtssache

Joscha Weber (aus Rio de Janeiro)12. August 2016

Eine Woche der Spiele in Rio sind vorüber und das Stimmungs-Zwischenfazit fällt gemischt aus. Wenn Brasilianer oder Topstars wie Phelps antreten, ist die Hütte voll. Sonst sind die Arenen ziemlich leer. Warum eigentlich?

Brasilien Olympische Spiele 2016 leerer Zuschauerränge
Bild: picture-alliance/dpa/J. Hollander

Das Beachvolleyballstadion an der Copacabana. Die Nacht hat sich früh über Rio gelegt, es ist Winter. Im hellen Scheinwerferlicht spielen gerade Evandro Junior und Pedro Solberg ihr letzten Vorrundenspiel. Das riesige, aus provisorischen Metallgerüsten hochgezogene Stadion ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Das brasilianische Duo tut sich im Sand der Copacabana an diesem Abend etwas schwer gegen ihre Gegner aus Lettland, im Tiebreak reißen die grün gekleideten Gastgeber die enge Partie aber wieder an sich. Ein letzter Schmetterball, und das Spiel ist gewonnen. Die Menge rastet aus. "Brasil, Brasil!", skandieren die Zuschauer, kaum einer sitzt noch. Dabei ist das Turnier noch weit entfernt von der Medaillenvergabe. "Beachvolleyball lieben natürlich alle, wir Brasilianer sowieso, aber auch die Zuschauer aus anderen Ländern ", sagt Fabiana aus Sao Paolo, die mit ihrem Sohn Marcio die Brasilianer anfeuert. "Du bist am Strand, genießt den Abend - das ist Rio!"

Selbst der Volkssport Fußball zieht keine Massen an

Dieselbe Arena, dieselbe Disziplin, derselbe Abend, gut anderthalb Stunden später: Das deutsche Damenteam Laura Ludwig und Kira Walkenhorst betritt die Arena, die nahezu leer ist. Auch Fabiana und Marcio sind gegangen. Hier spielen jetzt immerhin zwei Goldkandidaten in einer der aus brasilianischer Sicht wichtigsten Sportarten der Spiele. Doch zu Spielbeginn füllt sich die Arena nur maximal zur Hälfte. Die Stimmung ist gut, und der DJ gibt mit kurzen Partymusik-Einspielern alles, aber eben kein Vergleich zur Atmosphäre während des brasilianischen Matches. Interessiert die Gastgeber etwa nur ihr eigenes Team?

Man kann diesen Eindruck gewinnen. Beim Fechten zum Beispiel ist die Carioca-3-Halle oft nur zur Hälfte besetzt, hier haben die Brasilianer keine guten Aussichten auf Medaillen. Nebenan in der Carioca-2-Halle ist dagegen kaum noch ein Platz frei. Denn hier holte Rafaela Silva das erste Olympiagold für Brasilien. Bei den Fußballspielen, die meist weit außerhalb von Rio ausgetragen werden, ist es nicht anders. Die Spiele der brasilianischen Selecao sind ein landesweites Ereignis. Das Viertelfinal-Spiel des Weltmeisterteams der Damen aus den USA gegen Schweden lockt dagegen erschreckend wenige Zuschauer in das Mané Garrincha Stadion in der Hauptstadt Brasilia. Natürlich sind internationale Sportevents weltweit immer Ereignisse, die durch die nationale Brille betrachtet werden, und das ist auch in Brasilien so. Aber im Vergleich zu den Spielen in London fällt auf, dass sich die Olympia-Begeisterung der Brasilianer an vielen Stellen noch in Grenzen hält.

Freuen sich auf Bolt: Fabiana Cruz und ihr SohnBild: DW/J. Weber

"Nicht alle Sportarten sind hier populär"

Fabiana hat dafür zwei Erklärungen. "Einerseits sind manche Sportarten hier einfach nicht so populär", sagt Fabiana, die mit ihrem Sohn auch zum Turmspringen ging und dort den Eindruck hatte, dass die Hälfte der Zuschauer "Angehörige, Funktionäre und Athleten" waren. Andererseits seien die hohen Ticketpreise schuld. Mit ihrer vierköpfigen Familie habe sie gerade Karten für den Leichtathletik-Abend mit dem 100 Meter-Lauf gekauft: "Die Kinder wollen unbedingt Usain Bolt sehen. Aber allein dieser Abend wird unsere Familie 400 Euro kosten. Das ist viel Geld für uns."

Nicht alle können sich das leisten. Paolo steht am Zaun des Ruder-Areals. Durch eine Baumlücke schaut er auf die Lagoa Rodrigo de Freitas und verfolgt das Rennen der starken Männer auf ihren schlanken Booten. Von hier oben kann man kaum etwas erkennen, weder wer rudert, noch wer gewinnt. Aber Paolo schaut dennoch gern zu. Ein Ticket könne er sich nicht leisten, "viel zu teuer", sagt er. So bleibt ihm nur der kostenlose Blick durch den Zaun. Die meisten olympischen Events sind kostenpflichtig für die Zuschauer. Nur wenige wie Triathlon, Marathon oder Radrennen, das viele Tausend Fans an die Strecke lockte, sind zumindest teilweise frei zugänglich. Wer sich die günstigen Tickets nicht lange im Vorfeld gesichert hat, staunt an den Kassenhäusern über die hohen Preise, zumindest viele Brasilianer, die die Krise ihres Landes auch im Portemonnaie spüren.

"Natürlich sind die Tickets für uns Brasilianer zu teuer"

Felipe ist das momentan egal. "Die Spiele sind nur einmal in Rio, da will ich dabei sein." Er ist Carioca, also hier aus Rio und will am liebsten alles sehen. Zusammen mit seiner Freundin Marina schaut er sich Fußball, Tennis, Handball, Volleyball, Schwimmen und Wasserball an und hat für die Tickets rund 300 Euro ausgegeben. "Die sind gut investiert. Ich bin großer Sportfan", sagt Felipe, der von den Schwimmentscheidungen mit Superstar Michael Phelps schwärmt. Der begeisterte übrigens auch die Brasilianer. Auch wenn keine Landsleute im Finale stehen, ist die Stimmung bestens. Phelps begeistert eben alle. "Aber natürlich sind die Tickets für uns Brasilianer zu teuer", fährt Felipe fort, "besonders wenn man das im Kontext der brasilianischen Einkommen sieht", so Felipe, der die hohen öffentlichen Ausgaben für die Spiele zwiespältig sieht. Einerseits sei die Metro-Linie ein echter Gewinn für die Stadt. "Andererseits hätte man viele Gelder auch gut für andere Dinge gebrauchen können. Brasilien ist kein reiches Land, das ist ein ziemlicher Kraftakt für uns."

Bunte Gäste: Kyosuke (l.) und seine Freunde verbreiten japanisches Flair in RioBild: DW/J. Weber

Die Gäste aus aller Welt sind dagegen von vielen Dingen begeistert: Vom atemberaubenden Panorama vom Zuckerhut sowieso, von Sportarenen ebenfalls und nicht zuletzt von der brasilianischen Gastfreundschaft. Kyosuke ist mit Freunden aus Tokio angereist, der Stadt, die 2020 die nächsten Spiele ausrichtet. Er trägt traditionelle japanische Kluft und zieht eine Art Rikscha hinter sich her. Was man nicht alles tut, um aufzufallen. Er findet die Ticketpreise völlig in Ordnung und schwärmt von Rio: "Die Brasilianer sind so euphorisch, begeisternd und ich liebe sie einfach. Die Atmosphäre hier ist fantastisch. Wir Japaner sind eher schüchtern. Japan kann viel von Brasilien lernen." So bleibt die Erkenntnis: Eine gute Stimmung ist immer Ansichtssache. Und eine faire Ticketpreisgestaltung auch.