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PolitikTürkei

Stoltenberg: Türkei lässt Schweden in die NATO

10. Juli 2023

Diplomatischer Durchbruch: Schweden wird 32. Mitglied der NATO. Der türkische Präsident zieht seine jüngsten Bedingungen zurück. Der Gipfel kann sich auf die Ukraine konzentrieren. Bernd Riegert aus Vilnius.

Natogipfel in Litauen Eingung zwischen Erdogan und Ulf Kristersson
Handschlag in Vilnius: Präsident Erdogan (li.) lenkt nach Gespräch mit Schwedens Premier Kristersson einBild: Henrik Montgomery/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

"Das ist ein historischer Tag", freute sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am späten Montagabend in Vilnius. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab nach einem Gespräch mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson seinen Widerstand gegen das 32. Mitglied der Allianz auf. Die Türkei hatte monatelang die Ratifizierung der schwedischen NATO-Mitgliedschaft verschoben.

Jetzt vereinbarten Erdogan und Kristersson in einem von Jens Stoltenberg moderierten Spitzengespräch eine neue Übereinkunft zur Terror-Bekämpfung. Schweden sagte offenbar zu, entsprechenden türkischen Wünschen zur schärferen Verfolgung von mutmaßlichen kurdischen Terrorverdächtigen nachzukommen. Ministerpräsident Ulf Kristersson schränkte vor Reportern aber ein, es handele sich nicht um neue Verpflichtungen, sondern eher um die Umsetzung von alten Verpflichtungen, die Schweden bereits vor einem Jahr beim Gipfeltreffen von Madrid eingegangen sei.

Erfolgreicher Vermittler: Generalsekretär Stoltenberg ernennt einen Anti-Terror-KoordinatorBild: PETRAS MALUKAS/AFP

Zeitpunkt des Beitritts noch offen

Der türkische Präsident Erdogan ist mit diesen neuen Zusagen zufrieden und sagte seinerseits zu, dem türkischen Parlament "so schnell wie möglich" die schwedischen Beitrittsprotokolle zur Ratifizierung zu übermitteln. Einen genauen Zeitpunkt für den schwedischen NATO-Beitritt konnte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Abend deshalb noch nicht nennen.

Der zweite Staat, der den schwedischen Beitritt noch nicht ratifiziert hat ist Ungarn. Ungarn hat aber bekräftigt, dass es den Beitritt Schwedens ebenfalls unterstützt. Die entsprechende Ratifizierung sei "nur noch eine technische Angelegenheit", sagte Außenminister Peter Szijjarto. Die ungarische Regierung hat wiederholt erklärt, dass sie einer Zustimmung der Türkei zur Aufnahme Schwedens in das Militärbündnis folgen würde. Der Aufnahme eines neuen Mitgliedes müssen alle NATO-Staaten zustimmen. Ungarn und die Türkei sind die beiden letzten, deren Ratifizierung noch fehlt.

Schweden will sich für die Türkei in der EU einsetzen

Die überraschend von Präsident Erdogan ins Spiel gebrachte neue Bedingung, nämlich eine Wiederbelebung der auf Eis liegenden Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union, spielte keine große Rolle. NATO-Generalsekretär Stoltenberg gab an, dass sich Schweden als Mitglied der EU dafür einsetzen wolle, die Gespräche mit der Türkei wieder aufzunehmen. Eine Zusage der Europäischen Union liegt aber nicht vor.

Der Ratspräsident der EU, Charles Michel, hatte sich am Abend in Vilnius ebenfalls mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan getroffen. Michel teilte lediglich mit, es sei ein "konstruktives Gespräch" gewesen. Man wolle sich um eine Wiederannäherung bemühen. Die EU hatte die Beitrittsverhandlungen schon vor Jahren mehr oder weniger ausgesetzt, weil die Türkei kein Rechtsstaat mehr ist und starke Defizite bei Menschenrechten und demokratischen Werten aufweist. Außerdem weigert sich die Türkei beharrlich, das EU-Mitglied Zypern als vollwertigen Staat anzuerkennen. Die Türkei hält den Nordteil Zyperns militärisch besetzt.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg versprach seinem türkischen Verhandlungspartner die Einsetzung eines "Sonderkoordinators" für die Terrorabwehr, der sich um die besonderen Anliegen der Türkei auf diesem Feld kümmern soll. Es ist das erste Mal, dass die NATO ein solches Amt besetzt.

Problem beseitigt, jetzt steht die Ukraine im Mittelpunkt: Präsident Selenskyj war letzte Woche zur Vorbereitung des Gipfels in AnkaraBild: Francisco Seco/dpa/AP/picture alliance

NATO zeigt Einigkeit

Schweden und Finnland, die jahrzehntelang neutrale Staaten waren, hatten sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Mai letzten Jahres um eine Mitgliedschaft in der westlichen Militärallianz beworben. Finnland konnte im April beitreten. Schweden wird nun also demnächst, wahrscheinlich im Herbst 2023 folgen können. Damit hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg geholfen, eines großes internes Problem der NATO noch kurz vor dem am Dienstag in Vilnius beginnenden Gipfeltreffen der Allianz zu lösen. Dem russischen Machthaber Wladimir Putin werde so signalisiert, dass die NATO eben doch geschlossen zueinander steht, demnächst mit 32 Mitgliedsstaaten, meinten NATO-Diplomaten erleichtert.

Beitrittswunsch der Ukraine muss warten

Jetzt kann sich der Gipfel nach Wunsch der litauischen Gastgeber ganz auf den Kandidaten Nummer 33 konzentrieren: die von Russland seit 500 Tagen mit Krieg überzogene Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird in Vilnius als Gast erwartet. Er wird noch einmal für einen schnellstmöglichen Beitritt seines schwer getroffenen Landes werben.

Zahlreiche Staats- und Regierungschefs der NATO, darunter US-Präsident Joe Biden und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, haben aber schon klar gemacht, dass ein Beitritt der Ukraine erst in Frage kommt, nachdem der Krieg mit Russland geendet hat. Sonst wäre die NATO zum Beistand verpflichtet und würde in den Krieg aktiv hineingezogen. Der Ukraine soll ein politisches Paket geschnürt werden, das möglichst konkrete Zusagen für weitere Schritte in Richtung Mitgliedschaft enthalten soll. Am genauen Text wird noch gefeilt.

Ukraine-Flaggen an den Hauswänden in Vilnius: Soldarität mit dem angegriffenen LandBild: Bernd Riegert/DW

Litauen ist solidarisch mit der Ukraine

Die Politikwissenschaftlerin Margarita Seselgyte von der Universität Vilnius drängt auf eine schnelle Aufnahme der Ukraine in die Allianz. "In Litauen sagen die Menschen, dass der russische Präsident Wladimir Putin ein Feigling ist. Er hat Angst vor der NATO. Sobald die Ukraine in der NATO ist, könnte der Krieg zu Ende sein, weil Putin einfach zu ängstlich und nicht in der Lage wäre, die gesamte Allianz anzugreifen." Eine Verlängerung des Beitrittsprozesses würde der russische Aggressor möglicherweise als Einladung auffassen, den Krieg in die Länge zu ziehen, sagte Seselgyte der DW.

Margarita Seselgyte leitet das Institut für internationale Beziehungen an der Universität VilniusBild: Bernd Riegert/DW

Häuserfassaden, Autobusse, Straßenlaternen und öffentliche Plätze - vieles in Vilnius ist derzeit mit NATO- und vor allem mit Ukraine-Flaggen geschmückt. Die Menschen in Litauen erklären sich solidarisch mit dem von Russland völkerrechtswidrig angegriffenen Land. Der Gastgeber, der litauische Präsident Gitanas Nauseda, wird nicht müde zu erklären, dass man sich zusammen mit den NATO-Verbündeten mit aller Kraft gegen die russische Aggression in der Ukraine wehren müsse. "Wenn man es heute nicht macht, ist es morgen zu spät", mahnte Nauseda. Er sagte vor Beginn des Gipfels, die Zeit für bloße Versprechen sei vorbei, die Ukraine verdiene konkrete Zusagen und einen Zeitplan für die nächsten Schritte zur Mitgliedschaft in der NATO.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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