Vor 4500 Jahren gruben Menschen bei Durrington Walls einen monumentalen Kreis aus tiefen Schächten. Der gigantische Grubenring war vermutlich eine "heilige Grenze", lenkte Rituale und macht Stonehenge noch rätselhafter.
Waren die mächtige Steinkolosse von Stonehenge nur die weithin sichtbare Spitze einer weit größeren, in den Untergrund verlegten Kultlandschaft?Bild: Justin Tallis/AFP/Getty Images
Anzeige
Vor 4500 Jahren haben Menschen in der Gegend von Durrington Walls in Südengland einen Kreis aus tiefen, breiten Gruben in den Boden gehauen - geometrisch streng angeordnet, mit einem Durchmesser von rund zwei Kilometern, der eine Fläche von über drei Quadratkilometern umschließt.
Was lange wie eine natürlich gewachsene Landschaft wirkte, entpuppt sich nun als monumentales Projekt: ein künstlicher Grabenring, der den Stonehenge‑Kosmos neu vermisst.
Ein unsichtbarer Ring um Durrington
Durrington Walls befindet sich nahe der englischen Kleinstadt Amesbury und ist vom weltbekannten Stonehenge rund drei Kilometer, also einen Fußmarsch von gut einer halben Stunde, entfernt. Die mehr als 20 Grubensind bis zu zehn Meter breit und über fünf Meter tief.
Von den 20 gefundenen Gruben bildeten mindestens 16 laut einer neuen Studie einen riesigen, regelmäßigen Kreis um das Henge von Durrington Walls. Ein Henge ist ein Erdwerk, das eine runde oder ovale Fläche umfasst, die von einem Erdwall mit innenliegendem Graben umschlossen wird.
Es diente als kultischer Versammlungs- oder Ritualort. In der Mitte von Durrington Walls lag einst ein kreisrundes Gebilde aus Holzpfählen, die tief in den Boden gerammt wurden, drumherum befand sich eine Siedlung.
LiDAR-basiertes digitales Oberflächenmodell der runden Grubenstruktur bei Durrington Walls unweit von StonehengeBild: Environment Agency 2024
Entdeckt wurden die Gruben bereits vor fünf Jahren, doch die aktuelle Studie liefert weitere Details und Klarheit. Mit der OSL-Methode wurden die Gruben auf 2480 v. Chr. datiert.
Bei dieser relativ genauen Methode der optisch stimulierten Lumineszenz (OSL) wird das Alter einer Fundschicht durch das in Quarz‑ oder Feldspatkörnern gespeicherte "Lichtsignal" bestimmt, das als natürliche Radioaktivität messbar ist. Aus der Stärke dieses Signals lässt sich berechnen, wann das Sediment zuletzt dem Tageslicht ausgesetzt war - also ungefähr, wann es abgelagert und überdeckt wurde. Die Methode liefert ein genaues Kalenderjahr, aber die Unsicherheit liegt bei 5 bis 10 Prozent und ist stark von der Qualität der Probe abhängig.
Die Studie zeigte zudem, dass die Kreisanlage kein über Jahrhunderte gewachsener Flickenteppich ist, sondern ein bewusst geplantes Großprojekt. Die Gruben waren in eine aktiv genutzte Kulturlandschaft eingebettet, in der Pflanzen, Tiere und Menschen eng aufeinander abgestimmt waren.
Die Welt von Stonehenge: Schätze aus der Bronzezeit
Das Monument Stonehenge in Südengland ist einzigartig. Leider passt es in kein Museum. Deshalb zeigt eine Ausstellung im Londoner British Museum andere wichtige Fundstücke aus der Bronzezeit. Darunter auch: "Seahenge".
Bild: Richard Gray/EMPICS/DPR/picture alliance
Stonehenge, 2500 v. Chr.
Es ist eine der bekanntesten archäologischen Stätten Großbritanniens: Stonehenge. Der über 4000-jährige Steinkreis hat das British Museum nun zu einer Ausstellung über die Bronzezeit veranlasst. 3000 Jahre europäischer Frühgeschichte sind in London zu sehen, mit Leihgaben aus ganz Europa. Sie legen Zeugnis darüber ab, was Menschen damals glaubten, wie sie lebten und wohin sie reisten.
Bild: Toby Melville/REUTERS
"Seahenge", 2000 v. Chr.
4000 Jahre alte Holzstelen bilden einen Kreis an einem Strand in Norfolk. Eine rituelle Stätte, die 500 Jahre nach dem Steinkreis Stonehenge errichtet wurde. Das brachte ihr den Namen "Seahenge" ein. Die 54 Stelen sind bis zu drei Meter hoch und standen früher um eine Eiche, die auf dem Kopf stand. Das British Museum zeigt sie und andere Exponate aus der Bronzezeit.
Bild: Richard Gray/EMPICS/DPR/picture alliance
Die Himmelsscheibe von Nebra, 1600 v Chr.
Die Bronzezeit steckt voller Schätze, einige besondere Exponate sind jetzt im British Museum ausgestellt. Manche davon sind schon weltberühmt, wie etwa die Himmelsscheibe von Nebra, die älteste bekannte menschliche Darstellung des Kosmos. Gefunden wurde sie in Deutschland, im Bundesland Sachsen-Anhalt. Das British Museum hat sie sich aus einem Museum in Halle an der Saale ausgeliehen.
Bild: Alastair Grant/AP Photo/picture alliance
Nutztier-Opfer, 3300-3000 v. Chr.
Auch die Überreste dieses Ochsen, der vor 5000 Jahren als Tieropfer dargebracht wurde, stammen aus Sachsen-Anhalt. Die jüngste Forschung bestätigt immer wieder, dass die Menschen in der Bronzezeit reise- und migrationsfreudig waren. Deshalb zeigt das British Museum unzählige Stücke aus dem Ausland, neben Deutschland aus Irland, Frankreich, Italien, Deutschland, Dänemark und der Schweiz.
Vor viertausend Jahren trug ein Mensch diese Kette aus Tierknochen um den Hals. Sie stammt aus dem Grab des "Amesbury Archer" (deutsch: "Bogenschütze von Amesbury"), der 2002 nahe bei Stonehenge gefunden wurde und diesen Namen bekam, weil er unter anderem mit 16 Pfeilspitzen beerdigt wurde. Der Mann stammte allerdings aus der Alpenregion, wie Analysen seines Zahnschmelzes ergeben haben.
Bild: Alastair Grant/AP Photo/picture alliance
Goldener Hut, 1400 v. Chr.
Auch dieser außergewöhnliche hohe Hut aus Gold, der einst als Zeremonialhut vermutlich für Sonnen-Rituale verwendet wurde, stammt aus einem Gebiet im heutigen Deutschland. Ein Tagelöhner fand ihn im Jahr 1835 auf einem Acker bei Schifferstadt. Er ist daher heute als "Goldener Hut von Schifferstadt" bekannt.
Bild: Alastair Grant/AP Photo/picture alliance
Geisteskrieger, 1100-500 v. Chr.
Diese hölzernen Figuren, ausgestattet mit großen Augen und Geschlechtsorganen, wurden im englischen Yorkshire gefunden. Sie sind aus dem Holz von Eibenbäumen geschnitzt, die in manchen altertümlichen Mythologien den Eingang zur Unterwelt markieren. Eibenbäume können mehr als tausend Jahre alt werden. Die ältesten Exemplare befinden sich heute in Großbritannien.
Diese goldene Brosche wurde in der englischen Grafschaft Shropshire an der Grenze zu Wales gefunden. Viele Funde aus der Bronzezeit weisen Sonnenmotive auf. Auch die großen Ritualstätten wie Stonehenge oder Seahenge sind nach dem Stand der Sonne am Mittsommertag ausgerichtet. Das beweist, welch großes astronomisches Wissen und welche genaue Beobachtungsgabe die Menschen in der Bronzezeit besaßen.
Bild: Alastair Grant/AP Photo/picture alliance
Goldene Halskette, 800-700 v. Chr.
Diese Halskette wurde in Irland gefunden. Auch dort befinden sich beeindruckende prä- und frühhistorische Stätten, darunter Newgrange, eine Ritualstätte, die ebenfalls nach dem Stand der Sonne zum Mittsommertag ausgerichtet ist. Das Britische Museum zeigt die Ausstellung "Die Welt von Stonehenge" mit Schätzen aus der Bronzezeit vom 17. Februar bis zum 17. Juli 2022 in London.
Bild: Alastair Grant/AP Photo/picture alliance
9 Bilder1 | 9
"Heilige Grenze" exakt kartografiert
Keine der untersuchten Strukturen lässt sich als natürliche Auswaschung im Kreideuntergrund erklären; Form und Füllung sprechen eindeutig für menschengemachte Anlagen. Der Ring ist gleichmäßig gezogen, die Abstände der Gruben sind regelmäßig, Durchmesser und Intervalle folgen einem klaren Muster.
Das setzt voraus, dass die Menschen Entfernungen absteckten, Schritte oder Maßeinheiten zählten und mit einem vorgefassten Plan arbeiteten, bevor sie überhaupt zu graben begannen. Aus einem Haufen Löcher wird so ein Indiz dafür, dass Zahlen, Maß und Planung längst Teil ihres Alltags waren.
Gruben waren Zugang zur Unterwelt
Nach Ansicht der Studienautoren scheint dieses mathematische Gerüst direkt mit den damaligen Vorstellungen der Menschen von der Welt verknüpft gewesen zu sein.
Jede Grube markiere zugleich einen exakten Punkt im Kreis und einen symbolisch "vertieften" Ort, eine Art Unterwelt, in der Tiere, Opfergaben und Kultgegenstände deponiert werden konnten.
Archäologen deuten den Grubenring als "heilige Grenze", die den Bereich um Durrington Walls und Stonehenge markierte und Bewegungen - vielleicht ganze Prozessionen - lenkte. Wer heute auf die flache Wiese blickt, sieht nichts davon.
Anzeige
Stonehenge als europäisches Netzwerk
Durrington Walls und auch Stonehenge stehen nicht isoliert, sondern fügen sich ein in ein dichtes Netzwerk spätneolithischer Kultorte in Südengland - von den Steinkreisen und Gräben der Salisbury Plain bis hin zu anderen Henge‑Anlagen mit Gruben und Schächten.
Und weit darüber hinaus: Unzählige Funde belegen, dass es im späten 3. Jahrtausend v. Chr. (ca. 2700 - 2200 v. Chr.) einen regen Austausch zwischen den Völkern in Südengland, Nordeuropa, Mitteldeutschland und auf der Iberischen Halbinsel gab.
Insbesondere die sogenannte "Glockenbecherkultur", benannt nach ihren charakteristischen, becherförmigen Keramikgefäßen, errichteten ein überregional verflochtenes Handels‑ und Kontaktnetzwerk, erklärt die Archäologin Franziska Knoll vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gegenüber der DW.
Knoll erforscht das Ringheiligtum von Pömmelte südlich von Magdeburg unweit der Elbe. Denn auch in Mitteldeutschland gab es ähnliche architektonische Ideen wie in Durrington Walls. Zwar sind in Pömmelte die Gräben um die Palisaden nicht so tief und breit, sondern nur knapp zwei Meter tief, aber hier wurden bereits Rinderknochen, Keramiken, Steinäxte und andere Objekte entdeckt, die dort nachweislich gezielt deponiert wurden.
Aus Kostengründen sollen die Gräben von Durrington Walls zunächst nicht ausgegraben werden. Archäologin Knoll hofft aber auf baldige Ausgrabungen oder Grabungsschnitte, um herauszufinden, was sich in den Gräben befindet. Dann würde sich auch präziser ermitteln lassen, wann genau die Gräben angelegt wurden, so die nicht an der Untersuchung beteiligte Knoll.
Von Stonehenge bis Carnac: steinerne Kultstätten
Jahrtausende alte mächtige Steinkreise und kolossale Statuen sind Zeugen einer längst vergangenen Epoche. Bis heute ziehen sie Besucher magisch in den Bann.
Bild: picture-alliance/A. Gusev
Weltberühmt: Stonehenge
Der Ort ist von einer magischen Aura umgeben. Das Geheimnis, warum die Menschen vor rund 4500 Jahren dieses Monument errichteten, ist bis heute nicht gelüftet. Wurden hier Rituale mit Menschenopfern abgehalten? War es ein Tempel? Ein Krönungsort oder ein Himmelsobservatorium? Noch heute zieht Stonehenge die Menschen in seinen Bann, jedes Jahr pilgern Zigtausende zur Wintersonnenwende hierher.
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library/Historic England Archive/James O. Davies
Der Ring of Brodgar
Die Errichtung von Stonehenge lag noch 500 Jahre in der Zukunft, als die Avantgarde der Jungsteinzeit auf den Orkney-Inseln im heutigen Schottland um 3200 v. Chr. den "Ring of Brodgar" errichtete, einen riesigen Steinkreis mit 104 Metern Durchmesser und 60 Stelen, 27 stehen noch. Exportierten die Erbauer ihr Wissen nach Stonehenge? Und war der Ring eine astrologische Anlage? Man weiß es nicht.
Auch diese Megalithen wurden um 3100 vor Chr. auf einer der Orkney-Inseln aufgestellt. "Das war vor 5000 Jahren ein bedeutender Ort", sagt der Archäologe Nick Card. Er und sein Team graben seit Jahren, mittlerweile haben sie auf dem Areal auch 20 Häuser rekonstruiert. Im Zentrum befand sich eine Art Halle. Die Leute wohnten hier nicht dauerhaft, sondern kamen für Festlichkeiten her, glaubt Card.
Bild: picture-alliance/Robert B. Fishman ecomedia
Die Hinkelsteine von Carnac
Die 7000 Jahre alten Menhire von Carnac faszinieren durch ihre Anordnung in gleichmäßigen Reihen über vier Kilometer hinweg. Rund 3000 Hinkelsteine von 0,5 bis vier Meter Höhe haben die Zeit überdauert. Es heißt, schon Cäsars Legionäre hätten staunend vor den Menhiren gestanden. Ob sie als Versammlungsort oder Pilgerstätte dienten? Das bleibt das Geheimnis der unbekannten Erbauer.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Destoc
Ales Stenar - Die Steine von Ale
Dieser Komplex bei Kåseberga auf einem Hügel über der Ostsee wird scherzhaft als "Schwedens Stonehenge" tituliert. Allerdings handelt es sich hier nicht um einen Kreis. Stattdessen formen 59 Steinblöcke einen 67 Meter langen und 19 Meter breiten Schiffsrumpf. Archäologen gehen davon aus, dass Ales Stenar vor 1400 Jahren als Grabstelle diente. In der Regel kommen jährlich um die 700.000 Besucher.
Bild: picture-alliance/dap/M. Fludra
Das Gräberfeld Pilane
Bei dem schwedischen Örtchen Bohuslän stehen weitere rund 100 Steinkreise und Gräber, die in der Eisenzeit angelegt wurden. Von dem Gräberfeld aus hat man einen weiten Blick über das Meer. Man vermutet, dass das beim Bau eine gewisse Rolle spielte - wenn man auch nicht genau weiß, welche. Forscher gehen davon aus, dass der Ort im Mittelalter als Thingplatz, als Versammlungsort, diente.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Rentsch
Steinere Stelen im Altai-Gebirge
Im abgeschieden Katun-Tal im russischen Altai-Gebirge wurden diese steinernen Zeugen einer früheren Kultur entdeckt. Einige von ihnen weisen prähistorische Gravierungen auf. Wissenschaftler vermuten, dass es sich um eine sakrale Kultstätte handelt, die - ähnlich wie Stonehenge - vermutlich auch astronomischen Zwecken diente.
Bild: picture-alliance/dpa/E. Strigl
Boitiner Steintanz
Mitten im Wald beim mecklenburgischen Dorf Boitin trifft man auf vier Steinkreise. Ihre abgeschiedene Lage hat sicher dazu beigetragen, dass die Steine nicht zum Straßen- oder Hausbau verwendet wurden. Der Sage nach wurden hier Teilnehmer einer Bauernhochzeit in Felsen verwandelt, weil sie respektlos mit Würsten und Brot kegelten. Wahrscheinlicher ist, dass der Ort eine Begräbnisstätte war.
Bild: picture-alliance/dpa/T. Roetting
Die Grabkammern von Lüdelsen
Die sechs erhaltenen Großsteingräber bei Lüdelsen in Sachsen-Anhalt stammen aus der Jungsteinzeit. Noch führen sie ein stiefmütterliches Dasein, aber zusammen mit rund 50 weiteren erhaltenen Hünengräbern soll eine gut 40 Kilometer lange "Megalith Route Altmark" entstehen, um Touristen anzulocken. Das damit verdiente Geld soll in die Pflege der jahrtausendealten Anlage gesteckt werden.
Bild: picture-alliance/dpa/K-D. Gabbert
Die Osterinsel-Kolosse
Moai werden die Statuen auf der Osterinsel mitten im Pazifik von den Einheimischen genannt - was nichts anderes bedeutet als "steinerne Figur". Forscher datieren das Alter der fast 900 Moai auf 1500 Jahre. Man vermutet, dass sie Häuptlinge oder Ahnen darstellen, die als Bindeglied zwischen der diesseitigen und jenseitigen Welt fungierten. Doch bewiesen ist das bis heute nicht.