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Stonehenge: Gigantischer Grubenring war "heilige Grenze"

4. Dezember 2025

Vor 4500 Jahren gruben Menschen bei Durrington Walls einen monumentalen Kreis aus tiefen Schächten. Der gigantische Grubenring war vermutlich eine "heilige Grenze", lenkte Rituale und macht Stonehenge noch rätselhafter.

Sommersonnenwende in Stonehenge
Waren die mächtige Steinkolosse von Stonehenge nur die weithin sichtbare Spitze einer weit größeren, in den Untergrund verlegten Kultlandschaft?Bild: Justin Tallis/AFP/Getty Images

Vor 4500 Jahren haben Menschen in der Gegend von Durrington Walls in Südengland einen Kreis aus tiefen, breiten Gruben in den Boden gehauen - geometrisch streng angeordnet, mit einem Durchmesser von rund zwei Kilometern, der eine Fläche von über drei Quadratkilometern umschließt.

Was lange wie eine natürlich gewachsene Landschaft wirkte, entpuppt sich nun als monumentales Projekt: ein künstlicher Grabenring, der den Stonehenge‑Kosmos neu vermisst.​

Ein unsichtbarer Ring um Durrington

Durrington Walls befindet sich nahe der englischen Kleinstadt Amesbury und ist vom weltbekannten Stonehenge rund drei Kilometer, also einen Fußmarsch von gut einer halben Stunde, entfernt. Die mehr als 20 Gruben sind bis zu zehn Meter breit und über fünf Meter tief.

Von den 20 gefundenen Gruben bildeten mindestens 16 laut einer neuen Studie einen riesigen, regelmäßigen Kreis um das Henge von Durrington Walls. Ein Henge ist ein Erdwerk, das eine runde oder ovale Fläche umfasst, die von einem Erdwall mit innenliegendem Graben umschlossen wird.

Es diente als kultischer Versammlungs- oder Ritualort. In der Mitte von Durrington Walls lag einst ein kreisrundes Gebilde aus Holzpfählen, die tief in den Boden gerammt wurden, drumherum befand sich eine Siedlung.

LiDAR-basiertes digitales Oberflächenmodell der runden Grubenstruktur bei Durrington Walls unweit von StonehengeBild: Environment Agency 2024

Entdeckt wurden die Gruben bereits vor fünf Jahren, doch die aktuelle Studie liefert weitere Details und Klarheit. Mit der OSL-Methode wurden die Gruben auf 2480 v. Chr. datiert.

Bei dieser relativ genauen Methode der optisch stimulierten Lumineszenz (OSL) wird das Alter einer Fundschicht durch das in Quarz‑ oder Feldspatkörnern gespeicherte "Lichtsignal" bestimmt, das als natürliche Radioaktivität messbar ist. Aus der Stärke dieses Signals lässt sich berechnen, wann das Sediment zuletzt dem Tageslicht ausgesetzt war - also ungefähr, wann es abgelagert und überdeckt wurde. Die Methode liefert ein genaues Kalenderjahr, aber die Unsicherheit liegt bei 5 bis 10 Prozent und ist stark von der Qualität der Probe abhängig.

Die Studie zeigte zudem, dass die Kreisanlage kein über Jahrhunderte gewachsener Flickenteppich ist, sondern ein bewusst geplantes Großprojekt. Die Gruben waren in eine aktiv genutzte Kulturlandschaft eingebettet, in der Pflanzen, Tiere und Menschen eng aufeinander abgestimmt waren.​

"Heilige Grenze" exakt kartografiert

Keine der untersuchten Strukturen lässt sich als natürliche Auswaschung im Kreideuntergrund erklären; Form und Füllung sprechen eindeutig für menschengemachte Anlagen. Der Ring ist gleichmäßig gezogen, die Abstände der Gruben sind regelmäßig, Durchmesser und Intervalle folgen einem klaren Muster.

Das setzt voraus, dass die Menschen Entfernungen absteckten, Schritte oder Maßeinheiten zählten und mit einem vorgefassten Plan arbeiteten, bevor sie überhaupt zu graben begannen. Aus einem Haufen Löcher wird so ein Indiz dafür, dass Zahlen, Maß und Planung längst Teil ihres Alltags waren. 

Gruben waren Zugang zur Unterwelt

Nach Ansicht der Studienautoren scheint dieses mathematische Gerüst direkt mit den damaligen Vorstellungen der Menschen von der Welt verknüpft gewesen zu sein.

Jede Grube markiere zugleich einen exakten Punkt im Kreis und einen symbolisch "vertieften" Ort, eine Art Unterwelt, in der Tiere, Opfergaben und Kultgegenstände deponiert werden konnten. 

Archäologen deuten den Grubenring als "heilige Grenze", die den Bereich um Durrington Walls und Stonehenge markierte und Bewegungen - vielleicht ganze Prozessionen - lenkte. Wer heute auf die flache Wiese blickt, sieht nichts davon.

Stonehenge als europäisches Netzwerk

Durrington Walls und auch Stonehenge stehen nicht isoliert, sondern fügen sich ein in ein dichtes Netzwerk spätneolithischer Kultorte in Südengland - von den Steinkreisen und Gräben der Salisbury Plain bis hin zu anderen Henge‑Anlagen mit Gruben und Schächten.

Und weit darüber hinaus: Unzählige Funde belegen, dass es im späten 3. Jahrtausend v. Chr. (ca. 2700 - 2200 v. Chr.) einen regen Austausch zwischen den Völkern in Südengland, Nordeuropa, Mitteldeutschland und auf der Iberischen Halbinsel gab.

Insbesondere die sogenannte "Glockenbecherkultur", benannt nach ihren charakteristischen, becherförmigen Keramikgefäßen, errichteten ein überregional verflochtenes Handels‑ und Kontaktnetzwerk, erklärt die Archäologin Franziska Knoll vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gegenüber der DW. 

Knoll erforscht das Ringheiligtum von Pömmelte südlich von Magdeburg unweit der Elbe. Denn auch in Mitteldeutschland gab es ähnliche architektonische Ideen wie in Durrington Walls. Zwar sind in Pömmelte die Gräben um die Palisaden nicht so tief und breit, sondern nur knapp zwei Meter tief, aber hier wurden bereits Rinderknochen, Keramiken, Steinäxte und andere Objekte entdeckt, die dort nachweislich gezielt deponiert wurden.  

Aus Kostengründen sollen die Gräben von Durrington Walls zunächst nicht ausgegraben werden. Archäologin Knoll hofft aber auf baldige Ausgrabungen oder Grabungsschnitte, um herauszufinden, was sich in den Gräben befindet. Dann würde sich auch präziser ermitteln lassen, wann genau die Gräben angelegt wurden, so die nicht an der Untersuchung beteiligte Knoll. 

 

Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit