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Waffenstopp für Israel - Ende der deutschen Staatsräson?

11. August 2025

Bundeskanzler Merz will keine Waffen mehr an Israel liefern, die im Gazastreifen eingesetzt werden können. Kritiker werfen ihm vor, Israel im Stich zu lassen. Allerdings hätte der Stopp wohl kaum Auswirkungen.

Die Flaggen von Israel und Deutschland
Deutschland und Israel verbindet eine tiefe Freundschaft - hat Bundeskanzler Merz die nun gefährdet? Bild: Metodi Popow/IMAGO

Deutschlands auflagenstärkste Boulevard-Zeitung "Bild" hat ihr Urteil über Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)  längst gefällt: "Der einsame Kanzler erklärt seinen größten Fehler", schrieb das Blatt. Und meinte damit die Entscheidung des deutschen Regierungschefs, ab sofort keine Waffen mehr an Israel zu liefern, die auch im Krieg im Gazastreifen eingesetzt werden können. Mehr oder weniger allein habe Merz das entschieden, so "Bild", selbst die bayerische Schwesterpartei CSU sei nicht informiert gewesen. Und von überall her aus seiner konservativen Partei werde Unverständnis über die Entscheidung geäußert.

Am Freitag hatte Merz seine Entscheidung schriftlich bekannt gegeben: Offenbar als Reaktion auf den Plan des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu, Gaza-Stadt ganz einzunehmen, schrieb der Kanzler, der auch Vorsitzender der konservativen CDU ist: "Die Bundesregierung bleibt zutiefst besorgt über das fortdauernde Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Mit der geplanten Offensive trägt die israelische Regierung noch stärker als bisher Verantwortung für deren Versorgung." Und dann folgte der Satz, der das politische Berlin seitdem beschäftigt: "Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung  bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können."

Seitdem Friedrich Merz Bundeskanzler ist, hat er Israels Premier Benjamin Netanjahu noch nicht persönlich getroffen - das Foto stammt aus dem Februar vergangenen JahresBild: Kobi Gideon/GPO/dpa/picture alliance

Merz: "Das muss eine Freundschaft aushalten"

Lässt Deutschland Israel damit im Stich? Das Land, für das es in Deutschland eine "Staatsräson" gibt; also das vehemente Eintreten noch jeder deutschen Regierung für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels? Begründet mit der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands nach dem Zivilisationsbruch des Holocaust; der Ermordung von rund sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten? Merz sah sich am Wochenende nach der massiven Kritik gezwungen, seine Entscheidung noch einmal zu begründen: Im ARD-Fernsehen sagte er am Sonntag, die Grundsätze der deutschen Israel-Politik blieben unverändert: "Wir werden diesem Land auch weiter helfen, sich zu verteidigen." Aber die Bundesregierung könne nicht Waffen liefern in einen Konflikt, der Hunderttausende zivile Opfer fordere. Deutschland bleibe Israel freundschaftlich verbunden, aber einen Dissens wie den gegenwärtigen müsse eine Freundschaft eben auch aushalten.

Anfang August in Gaza - ein Junge sitzt in den Trümmern nach einem israelischen LuftangriffBild: Rizek Abdeljawad/Xinhua/IMAGO

Stoppt jetzt Israel Rüstungsexporte nach Deutschland?

Von führenden Parteimitgliedern aus der CDU war zunächst wenig zu hören - weder Kritik an Merz, noch Unterstützung. So schwieg etwa der einflussreiche Fraktionschef Jens Spahn. Deutliche Kritik kam dagegen von der CSU, der Schwesterpartei der CDU in Bayern. Stephan Mayer, Außenexperte der Partei im Bundestag, sagte der Zeitung "Tagesspiegel", auch er sehe das Leid der rund zwei Millionen Menschen im Gazastreifen: "Die Frage ist, ob die Entscheidung eines partiellen Waffenlieferungsstopps die richtige Antwort darauf ist. Da haben ich und viele andere Kollegen eine andere Auffassung."

Mayer stellte die Entscheidung des Kanzlers auch in einen Zusammenhang von Waffenimporten aus Israel nach Deutschland, die nun verringert werden könnten, was seiner Meinung nach fatal wäre: "Wenn man weiß, wie stark Deutschland auch abhängig ist von Waffenimporten aus Israel, gerade was diese wichtigen Bereiche Cyber-, Drohnenabwehr, Abwehrschirme, geheimdienstliche Zusammenarbeit anbelangt." Dann sei der Weg über partielle Waffenembargos gegenüber Israel oder Verbote von Waffen an Israel nicht unbedingt der zielführende Weg.

Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter schrieb auf der Online-Plattform "X": "Die Glaubwürdigkeit unserer Staatsräson bemisst sich gerade an der Sicherheitskooperation und der Zusage, jüdisches Leben und den Staat Israel zu schützen."

Merz: Getrieben von schlechten Umfrage-Werten?

Bestimmt war die Debatte am Wochenende auch von der Frage, wie es zu der überraschenden Entscheidung vom Freitag gekommen war. Wurde Merz auch von den jüngsten Umfragen beeinflusst, etwa vom ARD-Deutschlandtrend, den das Meinungsforschungsinstitut Infratest-dimap vor wenigen Tagen veröffentlichte? Die Umfrage ergab: Eine klare Mehrheit von 66 Prozent der Befragten findet, der Bundeskanzler sollte den Druck erhöhen, damit Israel sein Vorgehen ändert. 

Wadephul: "Israel muss handeln"

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Sowohl Merz als auch sein Vorgänger, Olaf Scholz von der SPD,  hatten zuvor stets betont, für sie gebe es nach wie vor eine besondere deutsche Verantwortung für Israels Existenz. Aber unter den Befragten des ARD-Deutschlandtrends denken nur noch 31 Prozent so, fünf Prozent weniger als zuletzt. Und der Regierung von Merz, noch nicht einmal 100 Tage im Amt, vertrauen die Menschen nicht besonders: 69 Prozent sind mit ihrer Arbeit unzufrieden. 

Export-Stopp - wohl eher symbolisch

Am Montag war dann die Pressekonferenz der Regierung von der Frage dominiert, welche Waffen denn jetzt nicht mehr geliefert würden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums überraschte mit der Bemerkung, ohnehin habe Deutschland seit Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober 2023 keine Waffen mehr oder Munition an Israel geliefert. Er verwies auf eine frühere Aussage von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der Chef des Bundeskanzleramtes, Thorsten Frei (CDU), sagte in einem Interview, Deutschland werde weiter Waffen an Israel liefern, vor allem "....all das, was der Selbstverteidigung Israels dient, also beispielsweise im Bereich der Luftabwehr, der Seeabwehr." 

Netanjahu: "Merz belohnt den Terror der Hamas"

Unterstützung erhielt Merz vom Koalitionspartner SPD. Die Parteivorsitzende, Arbeitsministerin Bärbel Bas,  sagte der ARD: "Friedrich Merz zu unterstellen, er würde Israel verraten, das ist schon starker Tobak." Der Kanzler selbst will, so scheint es, jetzt erstmal die Lage beruhigen und sich nicht weiter äußern. Ein weiteres Gespräch mit Benjamin Netanjahu sei nicht geplant, hieß es am Montag. Netanjahu selbst erklärte dazu nach Angaben seines Büros am Sonntag, er habe dem Kanzler am Telefon "seine Enttäuschung" mitgeteilt. Der Kanzler belohne mit diesem Schritt die Hamas, die von den USA, der EU und anderen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, so Netanjahu weiter.

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