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Radioaktive Gefahr

11. August 2010

Die Waldbrände in Russland rücken an atomare Anlagen und radioaktiv verseuchte Wälder heran. Besonders groß ist die Gefahr in der Region um Majak im Ural. Dort gibt es eine Wiederaufarbeitungsanlage für Atommüll.

Der Greenpeace Strahlenschutzexperte Christoph von Lieven (Foto: Axel Kirchhof / Greenpeace)
Der Strahlenschutzexperte Christoph von LievenBild: Axel Kirchhof/Greenpeace

1957 ereignete sich in Majak eine schwere Atomexplosion, die über Jahrzehnte verheimlicht wurde. 200 Menschen starben nach offiziellen Angaben. Andere Quellen gehen von bis zu 150.000 Toten aus. Zudem sind die Wälder durch den atomaren Unfall radioaktiv stark verseucht. Hinzu kommen noch atomare Abfälle, die dort vor Jahrzehnten einfach in Seen, in der Natur "entsorgt" wurden. All dies ist vor allem für die dort lebenden Menschen eine große Gefahr. Heute werden in Majak, atomare Brennstäbe weiter aufbereitet und jährlich 400 Tonnen Atomabfälle angeliefert. Majak gilt als eine der wohl größten Deponien für atomare Abfälle weltweit. Christoph von Lieven arbeitet als Strahlenschutzexperte bei Greenpeace. Er kennt Russland, hat Tschernobyl und die radioaktiv verseuchten Wälder um Majak besucht.

DW-WORLD.DE: Herr von Lieven, offensichtlich herrscht eine Diskrepanz zwischen den Behörden und Umweltorganisationen. Wie schätzen Sie die derzeitige Lage ein. Geht von den Bränden tatsächlich eine radioaktive Gefahr aus?

Von Lieven: Ja, natürlich. Zwar sind die Reaktoren und die Wiederaufbereitungsanlage in Majak an sich sicher, aber die Gegend rund um Majak ist seit über 50 Jahren komplett kontaminiert. Das ist eine der gefährlichsten Gegenden der Welt, weil es eben dort nicht nur einen radioaktiven Fallout von verschiedensten Unfällen gab, sondern weil radioaktives Material weit nach unten in einen Fluss und in einen See hineingeleitet worden ist. Zum Teil ist dieser See mit seiner Radioaktivität dann weggetrocknet. Dort gibt es Messwerte, die für alle, die da sind, potentiell tödlich sind. Diese radioaktiven Partikel, die da gebunden waren oder noch immer gebunden sind, können durch die Feuer freigesetzt werden. Und das wiederum bedeutet natürlich eine Gefährdung für die Menschheit.

Leben in der Nähe überhaupt Menschen oder wurden die alle evakuiert?

Früher wurden nach dem Unfall sofort sehr, sehr viele Menschen evakuiert. Aber alleine jetzt arbeiten da noch über 10.000 Menschen. Das heißt es ist eine relativ belebte Region.

Gibt es Berichte, wie es den Menschen und den Tieren und der Umwelt dort gesundheitlich geht.

Nein, es gibt keine direkten Berichte. Interessanterweise hatte ich vor zwei Stunden einen Anruf aus der Gegend bekommen, von Jemanden, der in Majak lebt. Es sagte: 'Ich habe ihren Namen im Internet gelesen und bitte sagen sie uns, was da los ist. Die Behörden sagen uns nichts mehr.' Dieser Anrufer war richtig verzweifelt und wie gesagt, hat er mich auf dem Handy angerufen, aus Majak direkt. Aber ansonsten gibt es keine Berichte. Er hat eben erzählt, dass die Behörden nichts mehr sagen. Alles sei abgesperrt und die Menschen wüssten nicht, was sie machen sollten. Sie wollten wissen, ob ich ihnen raten würde, die Gegend zu verlassen.

Und was haben sie geraten?

Ich habe gesagt, ich würde die Gegend auf jeden Fall verlassen, solange nicht geklärt ist, was denn wirklich passiert.

Ist es denn vor allem eine Gefahr für die nähere Umgebung oder kann sich beim Abbrennen der verseuchten Wälder der dann einsetzende radioaktive Fallout auch sehr weit verbreiten?

Nein, das ist hauptsächlich eine Gefahr für die Region und zwar deswegen, weil die Flammen, die dann jeweils die Hitze produzieren und mit denen die radioaktiven Partikel dann auch nach oben in die Luft kommen würden nicht genügend Druck, Auftrieb produzieren. Dieser Druck reicht eigentlich nur bis zu einer Höhe von maximal 300 Metern. Dadurch bleiben die Partikel in der Region.

Nun brennt es nicht nur rund um Majak und die dort verseuchten Wälder, sondern in vielen Regionen Russlands. Das Land verfügt ja über unzählige Atomwaffen, über Atommüll, Atomkraftwerke. Wie bedrohlich ist diese Tatsache im Zusammenhang mit den Waldbränden für Mensch und Umwelt?

Es ist relativ bedrohlich. Wir haben nicht über alles einen Überblick. In Majak wissen wir genau, dass dort die Umwelt auch sehr stark kontaminiert ist. Wir gehen davon aus, dass die russische Regierung selbst weiß, dass es eine sehr kritische Situation ist, und dementsprechend die Anlagen zumindest absichert und alles was es an Reaktoren gibt, geregelt herunterfährt und absichert. Allerdings kann es der russischen Regierung nicht gelingen diese Tausende von Quadratkilometern, die kontaminiert sind, wirklich abzusichern. Diesen Fallout, diesen radioaktiven Niederschlag darf man sich auch nicht so vorstellen wie nach Tschernobyl, oder nach einem kerntechnischen großen Unfall. Die radioaktive Dosis ist dabei natürlich viel geringer. Die radioaktiven Partikel gelangen nicht in die gleichen Höhen wie 1986 bei Tschernobyl. Aber nicht desto trotz ist es gerade für die Menschen, die Natur und auch für die Nahrungskette natürlich gefährlich. Wenn nämlich die radioaktiven Partikel erst einmal in der Luft sind, werden Menschen, die dann da arbeiten und versuchen die Feuer einzudämmen, das Einatmen. Sie nehmen diese radioaktiven Partikel auf und die sind noch viel gefährlicher, als die Strahlung, die vom Boden ausgeht. Diese Aufnahme von radioaktiven Partikeln direkt in den Körper ist sehr gefährlich.

Schauen wir mal zurück auf eine andere Katastrophe, die sich in Russland abspielte. Vor zehn Jahren sank das Atom-U-Boot Kursk kurz nach einer Explosion mit 118 Mann Besatzung auf den Grund der Barentsee. Damals wurde das Drama erst verheimlicht, dann heruntergespielt und mögliche Hilfe aus dem Ausland zu spät angenommen. Die Seeleute starben. Hat die Regierung Russlands, der Kreml, daraus nichts gelernt? Gibt es also immer noch die Politik des Vertuschens?

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Wir hoffen, dass es nicht so ist. Zumindest haben wir Berichte gehört und gelesen, dass die russische Regierung jetzt inzwischen Hilfe von den Niederlanden, von Deutschland und aus England bekommen hat und auch annimmt. Wir hoffen, dass Staaten, die nicht so davon betroffen sind, Löschflugzeuge, Technik und Know How zur Verfügung stellen, um den Menschen da zu helfen - und natürlich damit auch der russischen Regierung, um ihre Bevölkerung zu schützen.

Das Interview führte Karin Jäger
Redaktion: Fabian Schmidt