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Politik

Wie stark ist Saudi-Arabien?

17. September 2019

Am Samstag wurden saudische Erdöl-Raffinerien durch Drohnen beschossen. Es waren nicht die ersten erfolgreichen Angriffe auf das Königreich. Die hochgerüstete Armee des Landes leidet an einer entscheidenden Schwäche.

Saudi Arabien | Mohammed bin Salman bei der Abschlusszeremonie  des  «Crown Prince Camel Festival»
Die Tradition im Blick: Kronprinz Mohammed bin Salman zu Besuch auf dem Kamelrennen von TaifBild: picture-alliance/dpa/Saudi Press Agency

Gedanken an Konkurrenz und Durchsetzungskraft mochten dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) am Samstag - jenem Tag, an dem mehrere Raketen die Öl-Raffinerien von Abkaik im Osten des Königreiches trafen - durchaus durch den Kopf gegangen sein. Nur galten sie in diesem Moment nicht der geostrategischen Großwetterlage in der Region. Vielmehr befassten  sie sich mit einem Kräftemessen der traditionelleren Art: Zusammen mit dem stellvertretenden Premierminister der Vereinigten Arabischen Emirate besuchte MbS ein Kamelrennen nahe der Stadt Taif.

"Eine ungeheure Blamage"

Eine Auszeit von der Gegenwart leistet sich womöglich nicht nur die Staatsspitze des Königreichs, sondern auch dessen militärische Führung. Zwar verfügt sie über eines der größten und teuersten Waffenarsenale weltweit. Und doch muss die Generalität des Landes feststellen, dass ihr Arsenal ihr derzeit nicht recht weiterhilft.

Der Angriff auf die Erdöl-Anlagen sei für Saudi-Arabien eine ungeheure Blamage, sagt der Nahost-Experte Michael Lüders im Gespräch mit der DW. "Saudi-Arabien ist der wichtigste Einkäufer amerikanischer Waffen, zehn Prozent aller US-Waffenexporte gehen nach Saudi-Arabien. Und mit gerade einmal zehn Drohnen, die relativ einfach herzustellen oder zu kaufen sind, gelingt es also nun den Huthi-Rebellen oder wem auch immer, das Herz der saudischen Erdölproduktion zu treffen."

Gewaltige Militärausgaben

Dabei hat Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten enorme Summen in sein Militär investiert. Allein im Jahr 2018 kaufte es dem "Stockholm International Peace Research Institute" (SIPRI) zufolge militärische Ausrüstung  im Wert von über 67 Milliarden US-Dollar - mehr als jeder andere Staat in der Region. Weltweit steht das Königreich in Sachen Waffenkäufe an dritter Stelle, direkt hinter den USA und China. Die Rüstungsausgaben nehmen einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts ein: 2018 waren es 8,8 Prozent, im Spitzenjahr 2015 sogar 13 Prozent.

"Die umfassenden Investitionen Saudi-Arabiens haben dazu geführt, dass es unter den Staaten der Golfregion über den größten Bestand moderner Waffen verfügt", heißt es in der SIPRI-Studie aus dem Mai 2019. "Die Einfuhren umfassten Kampf- und Tankflugzeuge, durch die die saudische Luftwaffe eine größere Reichweite und Schlagkraft hat." Auch habe das Königreich seine Fähigkeit zur Verteidigung gegen Angriffe aus der Luft ausgebaut.

Militärisches Desaster: die brennende Raffinerie in AbkaikBild: Reuters

Allein an den militärischen Ausgaben gemessen, ist Saudi-Arabien seinem Hauptkonkurrenten Iran weit überlegen. Der gab im Jahr 2018 eine erhebliche kleinere Summe, nämlich gut 13 Milliarden US-Dollar, für Rüstungsgüter aus. Die Summe belastet das durch Sanktionen ökonomisch geschwächte Land sehr, machte sie doch 9,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Gerüstet für Kriege von gestern

Und doch ist die Höhe der Ausgaben kein Garant für die militärische Durchsetzungskraft. Diese Lektion lernt Saudi-Arabien seit bald viereinhalb Jahren bei der von ihm angeführten internationalen Militärintervention im Jemen, gerichtet gegen die aufständischen Huthis. Im Rahmen der Intervention greift das saudische Königreich seine Feinde bislang ausschließlich aus der Luft an - bis jetzt ohne nennenswerte Erfolge. Im Gegenteil: In den vergangenen Monaten haben sich die Huthis offenbar in den Besitz von Raketen und Drohnen gebracht, mit denen sie nun ihrerseits Saudi-Arabien attackieren.

Das saudische Militär steht im Jemen - und nun offenbar mehr und mehr auch an der Meerenge von Hormus - vor dem Problem, einen Krieg zu führen, für den es nicht gerüstet ist: nämlich den Kampf gegen einen irregulären, mit Guerillataktik kämpfenden Feind. "Man muss darüber reden, wie Stellvertreterkriege geführt werden", so Michael Knights von dem auf die Politik in der Golfregion spezialisierten "Washington-Institute for Near East Policy" gegenüber dem Magazin "Businessinsider".  "Denn eben solche Kriege werden in der Region heutzutage auf diese Art geführt." Nun sei Riad darauf angewiesen, dass Partner wie die USA Saudi-Arabien umgehend berieten, um solche Angriffe künftig zu unterbinden.

Die Vereinigten Staaten und andere Partner sollten in Riad daher eine praktische Notfall-Luftverteidigungsberatung durchführen, die sich auf praktische, kurzfristige Maßnahmen konzentriert, das Königreich widerstandsfähiger gegen Raketenangriffe zu machen, so Knights.

Schnell und agil: ein Boot der iranischen Revolutionsgarden. Im Hintergrund der unter britischer Flagge fahrende Tanker Stena ImperoBild: AFP/Getty Images/H. Shirvani

Bedrohung aus dem Jemen

Rechnen muss Saudi-Arabien immer mehr auch mit Angriffen aus dem Jemen, ausgeführt von den Huthis. Die haben ihr Waffenarsenal  in den vergangenen Monaten massiv ausgebaut.

Der bestens vernetzte Chefredakteur des Internet-Magazin "Rai al-yawm" Abdel Bari Atwan, schrieb am Montag dieser Woche, er habe den Anruf eines Sprechers der Huthis erhalten. Dieser habe einen größeren Angriff auf saudisches Territorium angekündigt.

Unabhängig davon, ob die Ankündigung vor allem ein Manöver psychologischer Kriegsführung ist, haben die Huthis zuletzt massiv aufgerüstet. "Bei ihnen haben wir einen Technologiesprung beobachtet, der in erster Linie Teheran zu verdanken ist", sagt der Sozialgeograph Günter Meyer, Leiter des "Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt" an der Universität Mainz.

All dies dürfte inzwischen auch Kronprinz MbS beschäftigen. In Gedanken dürfte er längst wieder mit den großen Herausforderungen des Königreichs befasst sein. Denn auch wenn es ein aufwendiges Unterfangen ist, die schnellsten der 13.377 Tiere des Kamelrennens vom Wochenende zu ermitteln - so ist es doch vergleichsweise überschaubar gegenüber den Anstrengungen bei jenem Kräftemessen, das dem Königreich nun mit seinen militärischen Rivalen bevorsteht.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika