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Kunst

"Banksys Botschaft: Glaubt nicht alles!"

Sabine Peschel
5. Februar 2019

Das "Mädchen mit Luftballon" von Banksy zerschredderte sich während einer Auktion. Jetzt ist das spektakuläre Bild im Museum zu sehen. Ulrich Blanché, Experte für neue britische Kunst, erklärt das Phänomen Banksy.

Museum Frieder Burda - Banksy "Love is in the bin"
Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

"Love is in the Bin" ("Die Liebe ist im Eimer") heißt das Werk jetzt. Im Oktober 2018 hatte eine unbekannte Käuferin in London das Bild für umgerechnet knapp 1,2 Millionen Euro ersteigert - und musste am Telefon miterleben, wie "Girl with Balloon" ("Mädchen mit Ballon") unmittelbar nach dem Zuschlag mithilfe eines im Rahmen verborgenen Mechanismus teilweise in schmale Streifen geschnitten wurde.

Seit Dienstag (05.02.2019) ist das spektakuläre Kunstwerk im Museum Frieder Burda in Baden-Baden ausgestellt. Vier Wochen kann es dort kostenlos besichtigt werden. Anschließend überlässt die neue Besitzerin es der Staatsgalerie Stuttgart als Dauerleihgabe.

Der Kunsthistoriker Ulrich Blanché ist Experte für britische Nachkriegskunst, er arbeitet am Europäischen Institut für Kunstgeschichte in Heidelberg. Blanché hat sich intensiv mit Street Art und Graffiti-Kunst beschäftigt, insbesondere mit Banksy. Er publizierte Fachbücher wie "Street Artivist Banksy" (2010) und "Konsumkunst. Kultur & Kommerz bei Banksy & Damien Hirst" (2012, englische Übersetzung in zwei Bänden 2016/2018). Als wissenschaftlicher Beirat hat er dem Museum für diese Ausstellung seine Expertise zur Verfügung gestellt. Im DW-Interview erklärt er den weltweiten Erfolg des rätselhaften Künstlers.

Deutsche Welle: Können Sie uns das Phänomen Banksy erklären? Was macht diesen Street Art-Künstler so erfolgreich?

Kunsthistoriker und Banksy-Experte: Ulrich Blanché von der Uni HeidelbergBild: Heidelberger Akademie der Wissenschaften/Susann Henker

Ulrich Blanché: Banksy spricht nicht nur ein Nischenpublikum an, sondern ein Massenpublikum. Seine Medien-Stunts sind perfekt choreografiert und bebildert. Es hilft auch, dass er sehr aktuelle Themen anspricht, die uns gerade beschäftigen, ebenso dass er anonym ist. Es gibt immer diese Schnitzeljagd: Wer steckt eigentlich dahinter?

Macht ihn vielleicht die Anonymität überhaupt erst zum Star der internationalen Kunstszene?

Zum Star wurde er schon durch die Werke selber, vor allem durch die Art, wie und wann er sie präsentiert hat. Nicht nur ortsspezifisch, sondern auch zeitspezifisch. Wenn zum Beispiel in England eine Abstimmung zum Brexit stattfindet, dann macht er irgendwas kurz vor der Abstimmung. Das ist wie ein Karikatur, mit der er auf zeitliche Ereignisse reagiert.

Wichtig ist schon, dass es von jemandem kommt, zu dem man kein Gesicht und keine Biografie hat. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, die meisten Künstler drängt es ja vor die Kamera und in die Medien. Seine Anonymität kann man als eine Art Dauerperformance, vielleicht als sein wichtigstes Kunstwerk sehen.

Banksy hat seine eigenen Bilder in Museen geschmuggelt, er hat ein Video im Gaza-Streifen gedreht, um "Touristen" in das zerstörte Gebiet einzuladen... Sind das die Medien-Stunts, von denen Sie sprechen?

Ja, sein 2017 eröffnetes "Walled off Hotel" zum Beispiel ist nicht nur ein Hotel, sondern eine Kunstperformance und auch ein politisches Ausstellungsprojekt. 2009 hat er eine Ausstellung in Bristol gemacht, die eine der erfolgreichsten Ausstellungen weltweit in diesem Jahr wurde - und das in einem britischen Provinzmuseum.

Er zieht Menschen irgendwo hin, indem er etwas ausstellt, und oft gibt es dabei überraschende Sachen. 2010 drehte er einen Dokumentarfilm über einen Regisseur, der zum Künstler wurde, während er als Künstler zum Regisseur wurde. Exit through the Gift Shop erhielt sogar eine Oscar-Nominierung. Es sind sehr unterschiedliche, immer wieder neue Werke, die das Medieninteresse und das der Betrachter wachhalten.

Banksys "Walled Off Hotel" direkt an der Mauer in Bethlehem, mit der Statue eines Schimpansen als Page und einem HotelangestelltenBild: Reuters/M. Qawasma

Was sind seine Botschaften als Künstler?

Eine Hauptbotschaft ist: Schaut genauer hin! Nehmt nicht alles für voll! Banksy schafft oft eine Gegenöffentlichkeit, zum Beispiel, wenn die französische Regierung sagt, Nein, wir setzen kein Tränengas in Flüchtlingslagern bei Calais ein, dann macht er ein Werk, wo das Mädchen vom "Les Misérables"-Poster weint, daneben ein 3-D-Handy-Code. Wenn man draufgeht, sieht man in einem Video, wie die französische Polizei Tränengas in einem Flüchtlingslager einsetzt.

Seine Werke sind oft politisch: gegen Konsum, gegen Krieg, gegen Gewalt. Aber sie wollen auch unterhaltend sein, sind nicht bierernst. Seine Botschaft ist auch: Kunst muss für alle sein, muss verständlich sein. Und dennoch - glaubt nicht alles!

Im Oktober 2018 wurde bei Sotheby's das Werk "Girl with Balloon" versteigert, das sich nach dem Verkauf noch während der laufenden Auktion teilweise selbst zerstörte. Banksy ließ verlauten, dass er den Schredder langfristig schon im Rahmen eingebaut hatte. Glauben Sie, dass dem Auktionshaus das Schneidegerät in dem sehr dicken Rahmen entgangen sein könnte?

Es gibt verschiedene Quellen. Die Auktionäre waren - laut Banksy selbst und dem Auktionshaus - nicht eingeweiht. Man hat kritisiert, dass das Werk für die Untersuchung vor dem Verkauf nicht aus dem Rahmen genommen wurde. Das gibt es aber auch bei anderen Künstlern, zum Beispiel bei Lucio Fontana oder George Condo, das ist also nicht völlig ungewöhnlich, aber selten.

Auch ist der Rahmen sehr dick gewesen, 18 Zentimeter, und auch sehr schwer. Der Einlieferer hatte gefordert, dass das Bild bei der Auktion an der Wand hängen sollte - normalerweise steht es auf einer Staffelei. Das ist alles sehr ungewöhnlich.

Wenn Banksy behauptet, das Werk wäre von 2006, dann müssten die Batterien in diesem Schredder zwölf Jahre gehalten haben! Das ist sehr unwahrscheinlich und hat viele Fragen aufgeworfen. Ich denke, das Auktionshaus hat schon etwas vermutet, aber an richtige Absprachen mit Banksy glaube ich nicht.

Welche Intention sehen Sie hinter dieser Aktion? Glauben Sie, dass das Bild ganz zerstört werden sollte?

Der Künstler selber sagt in einem Video, das er auf YouTube gepostet hat, es sei geplant gewesen, das Bild ganz zu zerstören. Man sieht im Video, dass er eine Kopie im Probelauf vollständig geschreddert hat. Das ist die Seite des Künstlers.

Die andere Seite ist: Was haben wir jetzt? Jetzt existiert ein halb geschreddertes Bild, das visuell wesentlich reizvoller ist, als wenn es vollständig zerschnitten wäre. Wir können noch ahnen, wie es vorher ausgesehen hat. Und wir können erahnen, was da passiert ist, die Bewegung des Schredderns, diese Live-Performance. 

Und wir sehen, was heraus gekommen ist, das Endwerk, was jetzt einen neuen Titel bekommen hat und ein neues Zertifikat. Es heißt "Love is in the Bin" ("Liebe ist im Papierkorb"). Ich finde das entweder einen guten Zufall oder gut geplant. Ganz wird man das wohl nie rausfinden können.

Und was glauben Sie selber?

Kunstgeschichtler halten sich eher an Fakten und Zusammenhänge, wir glauben nichts. Aber was ich glaube: Sotheby's würde auch ein Säckchen voll Asche versteigern, wenn Banksy das Werk nicht geschreddert, sondern verbrannt hätte. Egal, auf welche Weise man den Kunstmarkt kritisiert - irgendjemand kann am Ende die Spuren, die Überreste, die Souvenirs wieder verkaufen.

Banksy Graffiti an einer Garagenwand in Port Talbot/WalesBild: Getty Images/M. Cardy

Wie kann sich Banksy vor diesen Vermarktungsmechanismen schützen? Er malt und sprayt seine Arbeiten inzwischen nicht mehr auf leicht abzunehmende Untergründe. Zum Beispiel hat er kurz vor Weihnachten in der Stahlstadt Port Talbot auf einer Garagenwand einen Jungen gesprüht, der scheinbar Schnee auffängt, welcher sich bei genauerem Hinsehen aber als Ascheregen entpuppt. Die Garage wurde von ihrem Besitzer inzwischen für eine sechsstellige Summe verkauft. Wie kann Banksy da überhaupt noch im öffentlichen Raum agieren?

Das ist tatsächlich eine schwierig zu beantwortende Frage. Jedes Werk, das er schafft, dient dazu, dass jemand sehr viel Geld damit verdient. Ob das nun der Künstler selber ist, oder ob das - wie in diesem Fall - der Minenarbeiter ist, dem die Garage gehört. Wo es nicht unbedingt den Falschen trifft.

Banksy versucht mittlerweile, seine Sachen an Objekte zu binden, die nicht mehr so leicht zu entfernen sind. Er würde nicht mehr an Bauzäune sprayen. Und er versucht es an Orten zu machen, wo sozusagen der Untergrund an sich schon politisch ist.

Vor kurzem wurde bekannt, dass eine Tür des Pariser Clubs "Bataclan", durch die viele Menschen bei dem Attentat im November 2014 geflüchtet sind und auf die er ein Mädchen gesprayt hatte, gestohlen wurde.

Manchmal hat man das Gefühl, dass Banksy, wenn er auf Türen sprüht, vielleicht auch möchte, dass es entfernt wird. Dafür gibt es auch Beispiele - Charity-Sachen. Unter anderem hat er in einem Jugendclub in Bristol ein Pärchen gesprüht, wo beide auf ein Handy blicken. Das war sehr leicht zu entfernen. Banksy hat das unterstützt durch die Nachricht, der Jugendclub sei in finanziellen Schwierigkeiten. Und der versteigert dann das Werk.

War das ein Geschenk?

Juristisch ist das natürlich schwieriger. Es ist immer noch Sachbeschädigung. Es ist ein ungewolltes Geschenk, es ist ja immer noch Schmierage, Vandalismus. Nur weil der Künstler so bekannt ist, wird es letztlich zu einem Geschenk.

Banksys Kunstwerk auf einer Tür des BataclanBild: Getty Images/AFP/T. Samson

Banksy hat sich immer wieder gegen viele unautorisierte Ausstellungen gewehrt und listet auf seiner Webseite ungenehmigte Ausstellungen von Miami über Istanbul nach Berlin auf - Ausstellungen seiner Werke, für die oft ein hohes Eintrittsgeld verlangt wird. Jetzt ist das halb geschredderte Bild in einem Museum in Baden-Baden zu sehen, und danach als Dauerleihgabe in der Stuttgarter Staatsgalerie. Ist das sinnvoll?

Das ist eine sehr komplizierte Sache. Warum Baden-Baden in Banksys Konzept reinpasst - und das ist auch ein bisschen auf meine Initiative hin entstanden - ist, dass das Werk dort umsonst zu sehen ist. Banksy sagt ja immer, dass seine eigenen Ausstellungen nichts kosten. Die anderen kosten immer was. Wir haben in Baden-Baden sowas wie einen Hybrid geschaffen. Es ist zwar nicht seine eigene Ausstellung, aber sie ist auch frei zugänglich.

Zum anderen: "Love is in the Bin" ist kein Street Art-Werk. Das Werk, das geschreddert wurde, war eine Arbeit auf Leinwand. Das Motiv ist zuerst nicht auf der Straße aufgetreten, aber es gibt es auch als Street Art-Werk, illegal gesprüht etwa in London, Jamaika oder auch auf Kuba. Zum ersten Mal tritt das Motiv auf einem Plattencover auf. Banksy hat für die Single von Blur "Good Song" von 2003 dieses Motiv auf der Rückseite der Plattenhülle verwendet. Ein Prototyp.

Es ist zu lesen, dass das "Mädchen mit Ballon" schon 2002 auf einer Hauswand zu finden war und dort herausgetrennt und teuer verkauft wurde.

Ja, das steht sowohl bei Sotheby's, bei Wikipedia wie auch bei der BBC. Es gibt aber keinerlei Beweise und keine Hinweise, dass diese Information stimmt. Im Gegenteil: Ich habe sehr viele Hinweise, dass es falsch ist. Das Werk aus der Eastern Street in London, das herausgetrennt und für 560.000 Euro verkauft wurde, ist nachweislich von 2004.

Funktioniert Street Art überhaupt im Museum?

Ja, wenn man Kontext mitliefert. Wenn Sie einfach nur ein Motiv ins Museum stellen, ohne Kontext, ist es ein banales Motiv, ein Mädchen mit Luftballon. Sehr kitschig, sehr banal - was soll das eigentlich? Wie kann das neben einem Picasso bestehen? Gar nicht!

Aber wenn man den Kontext mitliefert, dass es im Zusammenhang einer illegalen Performance entstanden ist, dass da eine Geschichte dahintersteht, dass es aus der Anti-Kriegs-Bewegung gegen den Irak-Krieg 2003 entstanden ist, dann kann Street Art im Museum funktionieren. Ohne meistens nicht. Dann bleibt es ein Stück, das man aus der Wand geschnitten hat - Ex-Street-Art.

Politisch und humorvoll: Banksys "Kissing Coppers" von 2006Bild: Getty Images/AFP/T. Akmen

Haben Sie einen Verdacht, um wen es sich bei dem Künstler Banksy handelt?

Mir erschien bisher die Geschichte mit dem Künstler Robin Gunningham aus Bristol, die die Daily Mail 2008 enthüllte, sehr schlüssig. Auch weil viele Fragen, zum Beispiel nach dem Namen, sich mit dieser Deutung gut beantworten ließen. Mittlerweile sehe ich das wieder kritischer. Es kann genauso sein, dass das nicht stimmt.

Was ganz sicher nicht stimmt, ist, dass es der Sänger von Massive Attack ist. Robert Del Naja war ein Einfluss für Banksy, das ist eine Graffiti-Generation davor. Er gilt als erster Graffiti-Sprayer in England überhaupt. Jeder Graffiti-Sprayer in England bezieht sich letztlich auf 3D. Das ist der Künstlername von Robert Del Naja. Er hat öfter mit Banksy kooperiert und ist auch weiterhin als Künstler aktiv. Aber er hat eine ganz andere Handschrift und ist auch nicht so kreativ wie Banksy selbst.

Das Gespräch führte Sabine Peschel

Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden, wo das Bild bis zum 3. März 2019 zu sehen ist, begleitet die Ausstellung mit Vorträgen und einer Podiumsdiskussion.

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