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Politik

Macrons Härtetest

Andreas Noll
3. April 2018

Es geht um Privilegien, aber vor allem um die Frage, wie stark der Präsident das Land umkrempeln soll. Frankreich steht vor einem Machtkampf zwischen Regierung und Gewerkschaften. Wer geht als Sieger vom Platz?

Frankreich Streik gegen Bahnreform
Paris, Gare de Lyon: Machtkampf auf Frankreichs BahnhöfenBild: picture-alliance/dpa/F. Mori

Das Leben der Franzosen dürfte in den kommenden Wochen ungemütlich werden. Müll auf Bürgersteigen, weil die Müllabfuhr streikt; Stromausfall in Produktionshallen, weil die Energie-Gewerkschaften gezielte Nadelstiche setzen und insbesondere Stillstand bei der Staatsbahn SNCF. Denn dort ist der Widerstand gegen die nächste Reformrunde von Staatspräsident Macron besonders groß. Sogar die Flucht mit dem Flieger in die Ferne ist an manchen Tagen versperrt, weil auch die Air-France-Beschäftigten ihre Proteste fortsetzen wollen.

Gut vier Monate lang haben die französischen Gewerkschaften vor allem Wunden geleckt, ihre schwere Niederlage im Streikherbst 2017 verarbeitet. Damals hatten sie der Regierung bei der Reform des Arbeitsrechts ein paar Zugeständnisse abtrotzen können, aber verhindern konnten sie nicht, dass der französische Arbeitsmarkt gelockert wurde. Im Gegenteil: Der Regierung war es gelungen, die Gewerkschaften zu spalten und auch den Unmut in der Bevölkerung in engen Grenzen zu halten. Die Mobilisierung auf der Straße war für französische Verhältnisse schwach. Das soll in diesem Frühjahr anders werden.

Umstrittene Privilegien für wenige

Dafür präsentieren sich die Gewerkschaften vor der Machtprobe nicht nur geschlossener als beim letzten Kräftemessen, sondern auch mit einem ehrgeizigen Programm. Im Zentrum der Proteste: die mit 45 Milliarden Euro hoch verschuldete Staatsbahn SNCF, die fit gemacht werden soll für den internationalen Wettbewerb.

So sieht die Reform vor, dass in Zukunft neu eingestellte Bahnmitarbeiter auf die bisher weitreichenden Privilegien bei der SNCF verzichten müssen, zu denen ein gut 10 Jahre früherer Renteneintritt zählt. Die Gewerkschaften sehen das als Frontalangriff und planen von diesem Dienstag (03.04.2018) an einen Arbeitskampf, der sich über ein Vierteljahr ziehen soll. Bis zum 28. Juni wollen CGT, CFDT und Co. ihre Mitglieder jeweils im Wechsel zwei Tage streiken und drei Tage arbeiten lassen.

Bleiben in Zukunft wohl häufig im Depot: TGV-Hochgeschwindigkeitszüge - der Stolz der SNCFBild: Reuters/C. Platiau

Gleichzeitig beginnen die Angestellten in der Entsorgungsbranche mit ihrem unbefristeten Ausstand in mehreren Regionen Frankreichs. Auch in diesem Fall steht die Rente im Mittelpunkt der Proteste. Mindestens fünf Jahre früher sollen sich die Beschäftigten dort in den Ruhestand verabschieden können. In Bereichen, in denen die Gesundheit besonders gefährdet ist, sogar zehn Jahre früher. Das soll beispielsweise für Straßenkehrer oder Mülltrenner auf dem Wertstoffhof gelten. Außerdem sollen sie besser bezahlt werden.

Über ganze drei Monate wollen auch die Beschäftigten der Strom- und Gasbranche ihren Arbeitskampf ziehen. Der Ausstand hier soll ein Zeichen sein gegen Liberalisierungen in der Branche. Ein rotes Tuch für die Gewerkschaften, die alle Mitarbeiter der Branche im Öffentlichen Dienst beschäftigt sehen wollen.

Vergleichsweise übersichtlich nehmen sich dazu die Forderungen der Air-France-Mitarbeiter aus: Sie streiken für eine Gehaltserhöhung von sechs Prozent.

Gefahr für Macron?

Wenn auch die Gewerkschaften versuchen, die Regierung von mehreren Seiten in die Zange zu nehmen, dürfte der Streik bei der Staatsbahn besonders gefährlich für Macron und seinen Premierminister Edouard Philippe werden. Zwar unterstützt laut Umfragen eine Mehrheit der Franzosen den Abbau der Privilegien dort, doch Experten warnen: Wenn das öffentliche Leben in Frankreich länger als zwei Wochen gelähmt sei, würden die Franzosen unruhig - dann wachse also der Druck auf die Regierung einzulenken.

Feindbild der Gewerkschaften: der reformfreudige Staatspräsident Emmanuel MacronBild: Reuters/J. Pelissier

Anschauungsmaterial aus der Vergangenheit gibt es reichlich. Besonders häufig wird in diesen Tagen in den französischen Medien der Herbst 1995 genannt. Damals legte der junge Premierminister Alain Juppé eine ambitionierte Rentenreform - den Plan Juppé - vor. Auch Juppé hatte sich auf die Privilegien bei der SNCF (Schulden damals: umgerechnet 25 Milliarden Euro) gestürzt, aber auch andere Berufszweige hätten Einbußen verzeichnen müssen.

In der Folge legten die Gewerkschaften wochenlang das öffentliche Leben lahm. Am Ende knickte die Regierung unter dem Druck der Straße ein. Alain Juppé ("Die Stunde der Wahrheit ist gekommen."), der nach den ersten Streiktagen noch ein Nachgeben ausgeschlossen hatte, war politisch am Ende.

Ausgang offen

Den zahlreichen Parallelen zum Trotz gibt es allerdings auch entscheidende Unterschiede. Im Gegensatz zu Präsident Jacques Chirac 1995 war Emmanuel Macron 2017 bereits mit einer Reformagenda in den Wahlkampf gezogen. Zudem ist Umfragen zufolge der Anteil der Franzosen gestiegen, die nach jahrzehntelanger Debatte die Notwendigkeit eines Staatsumbaus akzeptieren.

Proteste gegen den "Plan Juppé" 1995 (in Bordeaux): Scheitern am Widerstand der StraßeBild: Getty Images/AFP/D. Ceyrac

Dabei geht die Führung in Frankreich - verglichen mit den Hartz-Reformen der deutschen Bundesregierung unter Gerhard Schröder - vergleichsweise behutsam vor. Trotz einer mittlerweile an die 100-Prozent-Marke reichenden Staatsverschuldung will Präsident Macron lediglich 120.000 von rund 5,6 Millionen Stellen im Öffentlichen Dienst abbauen - bis 2022. Dabei leistet sich der chronisch defizitäre Staat fast 20 Prozent mehr Bedienstete als die deutlich bevölkerungsreichere Bundesrepublik.

Während die Ausgangslage vor dem Kräftemessen klar ist, wagen nur wenige Experten eine Prognose über den Ausgang. Zu unvorhersehbar ist die politische Dynamik in Frankreich.

Klar ist allerdings: Gibt die Regierung dem Druck der Straße nach, dürfte die für 2019 geplante große Rentenreform - womöglich das Herzstück von Macrons Amtszeit - vom Tisch sein. Auch das haben die Gewerkschaften im Blick - und hoffen in den kommenden Wochen auf gutes Streik-Wetter. Der ungemütliche Herbst hat der Mobilisierung 2017 jedenfalls nicht geholfen.

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