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Handel

Streit bei der WTO: Die wichtigsten Fakten

Nik Martin ust
11. Dezember 2019

Die Welthandelsorganisation WTO steckt in der größten Krise ihrer 25-jährigen Geschichte. Die USA blockieren seit zwei Jahren die Ernennung neuer Richter für das WTO-Schlichtungsgremium; jetzt wird es handlungsunfähig.

Schweiz WTO Gebäude in Genf
Bild: Getty Images/AFP/F. Coffrini

Warum ist die WTO in Schwierigkeiten?

Die Welthandelsorganisation (WTO) reguliert den Welthandel von Gütern, Dienstleistungen und geistigem Eigentum. Kern des aktuellen Konflikts ist das Streitschlichtungsverfahren. Die Berufungsinstanz ist ab Mittwoch handlungsunfähig sein. Grund ist der Mangel an Richtern.

Seit zwei Jahren blockieren die USA Ernennungen zu dem Gremium. Die Berufungsinstanz ist auf sieben Richter ausgelegt, sie kann aber mit minimal drei Richtern noch Fälle verhandeln. An diesem Dienstag endete das Mandat von zweien der drei Richter. Nachfolger oder Nachfolgerinnen sind nicht bestimmt worden. Damit ist das Gremium nicht mehr beschlussfähig.

Worüber beschwert sich Washington?

US-Präsident Donald Trump hat die WTO wiederholt angegriffen und beschuldigt, für China und andere Rivalen in Handelskonflikten Partei zu ergreifen. Aber der Zwist zwischen Washington und der in Genf ansässigen Organisation reicht bereits mehr als ein Jahrzehnt zurück.

Dennis Shea, Botschafter der USA bei der WTO, dürfte derzeit nur wenige Freunde im Genfer Hauptsitz habenBild: Reuters/D. Balibouse

Die Liste der Kritikpunkte ist lang. Die USA werfen der Berufungsinstanz vor, ihre Befugnisse zu überschreiten, und beanstanden, dass die Richter das Handelsrecht ohne Zustimmung der Mitglieder weiterentwickelt haben. Washington pocht außerdem auf die US-Verfassung, die es nicht gestatte, dass ein ausländisches Gericht ein amerikanisches ersetzt. Weitere Konfliktpunkte sind die Bezahlung der Berufungsrichter (zu teuer!) und die Dauer der Prozesse (zu lang!).

Die USA drohten gar, den Haushaltsplan der Welthandelsorganisation für das kommende Jahr zu blockieren, unterstützten vergangene Woche dann aber einen Kompromiss für ein provisorisches Budget. Dieser beinhaltet erhebliche Kürzungen bei der Berufungsinstanz.

Warum ist die Berufungsinstanz wichtig?

Die Berufungsinstanz wird oft als oberstes Welthandelsgericht bezeichnet. Jedes Mitglied kann eine Beschwerde einlegen, wenn es sich benachteiligt fühlt. So schaffen es auch vermeintlich schwächere Staaten, gegen Handelsriesen vorzugehen. Beispielsweise setzte Brasilien, Anbauort für günstiges Zuckerrohr, durch, dass die EU die eigene Zuckerproduzenten nicht mehr so stark schützen durfte.

Der EU-WTO-Botschafter João Aguiar Machado sagte daher angesichts des drohenden Stillstands: "Die Idee eines auf Regeln basierenden multilateralen Handelssystems steht auf dem Spiel."

Was wollen die USA stattdessen?

Die USA unter Donald Trump vertreten nach Ansicht von Experten die Meinung, es diene den nationalen Interessen am meisten, die Organisation zu umgehen und eigene, bilaterale Handelsabkommen auszuhandeln. "Die USA sind eher an einem Machtspiel interessiert als daran, die internationalen Regeln zu befolgen", sagte Martin Braml vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Wie wird sich der Stillstand bemerkbar machen?

Ab Mittwoch wird die Berufungsinstanz der WTO nicht mehr als letzter Vermittler in internationalen Handelsstreitigkeiten agieren können. "Es ist schwer zu sagen, wie lange der Streit andauern wird", sagt Braml, "aber das Gremium könnte einige Monate ausfallen." Es besteht die Gefahr, dass es keinen alternativen Mechanismus gibt.

Die USA und die EU tragen den Konflikt um Subventionen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing vor der WTO ausBild: Getty Images/D. Ryder

Die scheidenden Richter können eine Handvoll offener Verfahren noch beenden. Es ist aber wahrscheinlich, dass sich durch die erzwungene Pause Fälle aufstauen. Außerdem könnte die Situation Staaten dazu verleiten, den WTO-Regeln nicht mehr Folge zu leisten, wenn keine Strafe droht. Das könnte beispielsweise zu neuem Protektionismus, dem Schutz der eigenen Wirtschaft, führen.

Wie werden die anderen WTO-Mitglieder weiter vorgehen?

Washington hatte einen Vorschlag von mehr als 100 der 164 Mitgliedsstaaten zur Benennung neuer Richter abgelehnt. Daraufhin unterbreitete ein Diplomat ein Konzept für einen vorübergehenden Streitschlichtungsprozess, der quasi das WTO-Gericht widerspiegelt. Die USA wollen daran nicht teilnehmen.

Am Dienstagabend sprach WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo von "Krisenstimmung". Aber er gewann der Situation auch etwas Positives ab: "Ohne diese Krisenstimmung würden man sich vielleicht arrangieren, und Mitgliedsländer wären vielleicht nicht wirklich bereit zu Veränderungen."

Bis eine dauerhafte Lösung gefunden wird, werden Handelskonflikte wahrscheinlich durch Schlichtung gelöst. Die WTO-Mitglieder werden weiter die Möglichkeit haben, Beschwerden einzureichen. Aber Länder, die mit Entscheidungen nicht zufrieden sind, können deren Durchsetzung einfach hinauszögern, indem sie Berufung bei dem funktionsunfähigen Gericht einreichen.

Ist Trumps Kritik an der WTO gerechtfertigt?

Seit der US-Präsident im Amt ist, hat er sich wiederholt beschwert, die WTO sei zu jedermanns Nutzen da, außer dem der USA. Trump behauptet, Washington habe fast alle Rechtsstreite verloren. Sein ehemaliger mexikanischer Amtskollege Ernesto Zedillo Ponce de Leon argumentierte dagegen kürzlich in einem Meinungsbeitrag, die USA seien der häufigste Nutzer des Schiedsgerichts. Ihm zufolge brachten die Vereinigten Staaten mehr Fälle vor das Gremium als China und die Europäische Union zusammen. Außerdem sei die Erfolgsquote für die USA größer als für jeden anderen Kläger.

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Wie das Peterson Institute, eine als unabhängig geltende gemeinnützige Denkfabrik, analysierte, sind die USA auch bei Streitigkeiten gegen China im Vorteil - egal ob als Beschwerdeführer oder Beschuldigter.

In manchen Punkten steht Trump mit seiner Kritik aber nicht allein da. Rufe nach grundlegenden Reformen wurden in den vergangenen Jahren lauter, besonders nach Chinas rasantem Aufstieg zum wichtigsten Handelspartner der Welt. Obwohl China der WTO 2001 beigetreten war, verfolgte Peking aggressive Exportstrategien und brach wiederholt Versprechen, seine Märkte für den ausländischen Handel komplett zu öffnen.

Die WTO scheiterte selbst daran, dass China, Indien, Südkorea und sieben andere G20-Staaten akzeptieren, dass sie nun Schwellenländer oder entwickelte Staaten sind. Da sie immer noch als Entwicklungsländer klassifiziert sind, profitieren sie von güstigeren Handelsregeln. Das verschaffe ihnen einen unfairen Vorteil, argumentierten andere Mitgliedsstaaten.

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