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Partnerschaft: Wer kämpft, verliert

11. Januar 2018

Eine gesunde Beziehung ohne Konflikte ist eine Illusion. Doch streiten will gelernt sein. Wer es richtig machen will, muss zunächst begreifen, dass der Partner einfach anders ist.

Südkorea Stierkampf in Seoul
Bild: picture-alliance/Photoshot/P. Jin Hee

"Du bist immer so selbstgerecht!" Wenn er mir das vorwirft, könnte ich aus der Haut fahren. Nicht nur wegen der Unterstellung, ich sei selbstgerecht. Das stimmt vielleicht sogar. Der Vorwurf, ich sei IMMER selbstgerecht, stimmt aber ganz sicher nicht. Niemand ist immer alles oder nichts. Deshalb muss ich den Mund aufmachen. Was da raus kommt ist nicht besonders freundlich und liefert weiteren Zündstoff. Wir streiten. Wie so viele Paare. 

Der Streit ist ein Schreckgespenst. Denn er stört unsere Vorstellung von idealer Liebe. "Eine Partnerschaft ohne Streit ist eine der beliebtesten Wunschvorstellungen in unserer Kultur", sagt Paartherapeut Christian Thiel aus Berlin. Es sei aber eine der irrigsten Annahmen, dass eine Partnerschaft ohne Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen und denen des anderen funktionieren könne.

Dabei scheitern wir häufig schon an der Einsicht, dass der Partner anders tickt, als man selbst, so Thiel. "Aber Menschen sind immer unterschiedlich. Deshalb ist jede Partnerschaft eigentlich ein interkulturelles Experiment." Das kollidiert heftig mit unserer Vorstellung von romantischer Liebe und symbiotischer Verschmelzung - durch Filme und Bücher wohlgenährte Utopien.

Nicht zu streiten ist auch keine Lösung

Es gibt sie ja, diese Bilderbuch-Pärchen, die sich nie fetzen. Die uns suggerieren, dass das Leben in einer Beziehung eigentlich ein Kinderspiel ist, dessen Regeln nur wir leider nicht begriffen haben. Eine womöglich unangebrachte Selbstgeißelung, denn hinter der Bullerbü-Fassade versteckt sich der unausgesprochene Frust.

"Es geht nur etwa die Hälfte aller Paare auseinander, weil sie sich heftig streiten. Die andere Hälfte trennt sich, weil sie sich nicht streiten", sagt Thiel. Statt sich mit dem Partner auseinanderzusetzen, arrangierten sich viele lieber in Beziehungen, die ihren Bedürfnissen nicht gerecht würden. 

Wie wir uns in Konfliktsituationen verhalten hat viel mit unseren Erfahrungen in der Kindheit zu tunBild: Colourbox

"Was wir uns in Partnerschaften wünschen sind Anerkennung, Wertschätzung und Respekt", sagt Thiel. Dafür sind aber oft schon die Mindestvoraussetzungen denkbar schlecht. Wenn beide arbeiten, der Alltag mit Kindern organisiert werden muss und die Erstellung der nächsten To-Do-Liste drängt, fällt die Frage 'wie geht es dir eigentlich?' oft als erstes hinten runter.

Dabei sei eine solche Frage das Minimum an Anerkennung, das Paare einander zukommen lassen sollten, meint Thiel. Der Frust über die zu geringe Würdigung entlädt sich allerdings meist an anderen, offensichtlicheren Dingen wie herumliegenden Socken und offenen Zahnpastatuben. 

Der Partner reaktiviert die Kindheit

Die Auseinandersetzung mit dem Partner ist zwar notwendig, aber "die Art und Weise, wie wir streiten, ist entscheidend", sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Helga Odendahl. Kritik in Form von Du-Botschaften mache den Streit schnell destruktiv. Denn Sätze wie 'du bist immer so selbstgerecht' sind ein direkter Angriff, der dem anderen kaum Handlungsspielraum lässt.

'Ich fühle mich oft von dir allein gelassen' kann hingegen eine ganz andere Wirkung entfalten, weil die Kritik nicht wie eine unumstößliche Tatsache formuliert ist. Mit meiner wutschnaubenden Antwort auf den Vorwurf begehe ich allerdings den nächsten Fehler. "Wer wütend ist, kann kein vernünftiges und höfliches Gespräch führen", sagt Thiel. Die Wut müsse erstmal verrauchen. Am besten bei einem strammen Spaziergang an der frischen Luft.

Die Zeit könnte man nutzen, um darüber nachzudenken, warum es vor allem unser Partner ist, der uns mit wenigen Worten oder Taten derart auf die Palme bringen kann. Mit unseren Freunden kommen wir schließlich meist ohne große Dramen zurecht.

"In Partnerschaften werden die Muster, die wir von und mit unseren Eltern gelernt haben, wiederbelebt", sagt Odendahl. Wie Beziehungen funktionieren, schauen wir uns als Kinder sehr genau bei den Großen ab. Wer von seinen Eltern beispielsweise nicht gelernt habe, offen über seine Bedürfnisse zu sprechen, der stehe in der Partnerschaft erstmal vor einem Problem. "Hier kann eine Paartherapie sehr hilfreich sein", sagt die Psychologin.

So richtig wütend? Lieber eine "Dammit Doll" wie diese als Ventil nutzen als den Partner Bild: DW/J. Vergin

Viel reden hilft nicht unbedingt viel

Die Fähigkeiten zu sprechen und zuzuhören sind für einen konstruktiven Streit unerlässlich. Die meisten Paare kommunizieren viel zu wenig, da sind sich die Paartherapeuten Thiel und Odendahl einig. Es gibt allerdings auch Partnerschaften, in denen zu viel über Probleme geredet wird. Meine gehört dazu. "Probleme sind wie Goldfische: Die wachsen, wenn man sie füttert", sagt Christian Thiel.

Besonders sinnlos seien diese Gespräche dann, wenn es um Konflikte ginge, die sich nicht lösen lassen, sondern eine Frage des Charakters seien. Ist der eine ein Pünktlichkeitsfanatiker, während der andere ständig zu spät kommt, bietet das zwar Stoff für endlose Diskussionen, die das Problem allerdings nicht lösen werden, meint Thiel. "Jeder glaubt, er sei im Recht. Deshalb wollen wir, dass der andere die Dinge so macht, wie wir." 

Auch mein Partner und ich haben in endlosen Diskussionen versucht, den anderen von unseren jeweiligen, nach eigenem Ermessen viel sinnvolleren Ansichten zu überzeugen. Ohne Erfolg. Weil das Gerede auf Dauer furchtbar zermürbend ist, haben wir unserer Rechthaberei schließlich einen Maulkorb verpasst und Regeln aufgeschrieben, die unsere Kommunikation in konstruktivere Bahnen lenken soll.

Oberstes Gesetz: Erstmal innehalten. Dem anderen nicht jede Emotion ungefiltert um die Ohren hauen. Worte wie "immer", "nichts", "alles" und "nie" sind jetzt verboten. Es kam uns erst albern und trivial vor. Doch Thiel bestätigt: Es müssen pragmatische Lösungen her, um mit den unumstößlichen Differenzen in einer Partnerschaft umgehen zu können. Dann geht der Pünktliche eben vor und die Unpünktliche kommt nach. 

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