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PolitikEuropa

Streit in Frankreich um Sicherheitsgesetz

Barbara Wesel
25. November 2020

Ein gewaltvoller Polizeieinsatz gegen Flüchtlinge empört die Franzosen, die Bilder gehen viral. Künftig sollen Aufnahmen von Polizeieinsätzen strafbar sein. Auch das sorgt für massive Kritik.

Frankreich Paris Zeltlager für Flüchtlinge am Place de la Republique
Bild: Jerome Gilles/NurPhoto/picture alliance

Bei dem Polizeieinsatz am Anfang der Woche auf der Place de la République haben Pariser Polizisten ihrer Wut vollen Lauf gelassen. Dort hatte sich eine Gruppe von Geflohenen und Migranten zu einer Protestaktion niedergelassen. Mit Knüppeln, Fußtritten, Tränengas und Schlägen gingen die Polizisten gegen friedliche Demonstranten und Beobachter auf Platz vor und räumten teils gewaltsam, die Zelte, in denen die Geflohenen saßen. Dabei wurde mindestens auch ein Journalist getroffen. Die Bilder der prügelnden Polizisten gingen kurz darauf im Internet viral und wurden auch in den französischen Fernsehkanälen gezeigt.  

Polizeigewalt nicht mehr sichtbar?

Eine Nichtregierungsorganisation zur Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten hatte die Aktion im Herzen von Paris organisiert: Die vorwiegend afghanischen Geflohenen hatten sich in rund 500 blauen Zelten niedergelassen, die Helfer errichtet hatten. Der Protest richtete sich gegen die jüngste Räumung eines Camps im nördlichen Vorort St. Denis und den anhaltenden Unterbringungsnotstand. Immer wieder werden in Paris illegale Camps von der Polizei geräumt, nur um an anderer Stelle wieder hervorzuschießen, weil die Behörden die Bewohner nicht unterbringen können.

Das Echo auf die Polizeiaktion auf der Place de la République war verheerend. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo schrieb einen Brief an den Innenminister Gerard Darmanin, in dem sie "den brutalen und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt" beklagte. Bilder der prügelnden Polizisten waren überall zu sehen, darunter auch eine Szene, in der ein Polizist das Zelt eines Mannes umstürzte. Eine andere Szene zeigt, wie ein Polizist einem weglaufenden Mann ein Bein stellte, um ihn zu Boden zu bringen. 

Es waren etwa 500 Zelte auf dem Platz in ParisBild: Martin Bureau/AFP/Getty Images

Drahtseilakt für den Innenminister 

Der Vorfall bringt den Innenminister allerdings unter Druck. Präsident Emmanuel Macron hatte ihn bei seiner letzten Regierungsumbildung als scharfen Law-und Order-Mann ins Amt gebracht, um das Bedürfnis nach mehr Sicherheit - vor allem in konservativen Kreisen - zu erfüllen. Darmanin musste sich inzwischen von dem Einsatz in Paris distanzieren, nannte ihn "schockierend" und leitete eine Untersuchung der Vorfälle bei der Polizei-Aufsichtsbehörde (IGPN) ein.

Der Innenminister versucht allerdings nun politisch beide Seiten zu bedienen: In einem Interview im Sender France 2 kündigte er an, die betreffenden Polizisten würden bestraft. Andererseits sprach er Didier Lallement, dem Polizeipräfekt von Paris, sein Vertrauen aus: "Ich beschuldige weder alle Polizisten auf dem Platz noch die Polizeiführung für die Handlungen einiger."

Streit um das neue Sicherheitsgesetz

Immer wieder kommt es in Frankreich zu Streit um Polizeieinsätze, wo Beobachter ein Übermaß an Gewalt beklagen. Seit 2018 ging es dabei vor allem um die Gelbwesten-Demonstrationen, bei denen teilweise eine Eskalation auf beiden Seiten beklagt wurde. Der Protest am Montagabend auf der Place de la République jedoch verlief völlig friedlich. Trotzdem verteidigte die Polizeipräfektur ihren Einsatz: Sie habe die "illegale Besetzung des öffentlichen Raums" beendet. 

Die Aktion geschah am Vorabend der Abstimmung über das Gesetz für "umfassende Sicherheit", das die Nationalversammlung nun in erster Lesung billigte. An Artikel 24 gibt es massive Kritik: Demnach sollen Foto- und Filmaufnahmen einzelner Polizisten unter Strafe gestellt werden, deren Verbreitung die "körperliche oder psychische Unversehrtheit einzelner Beamter" gefährde. Das neue Delikt soll mit einem Jahr Gefängnis oder 45.000 Euro Geldstrafe geahndet werden.

Premierminister Jean Castex versprach, die umstrittene Vorschrift vom Verfassungsrat überprüfen zu lassenBild: Olivier Corsan/dpa/picture alliance

Der Paragraph war auf Druck der französischen Polizeigewerkschaften in den Gesetzestext aufgenommen worden, die zunehmende Übergriffe gegen ihre Beamten beklagen. Auf der anderen Seite aber stehen Journalistenverbände und Bürgerrechtler, die einen "unverhältnismäßigen Eingriff in die Informationsfreiheit" fürchten. Die EU-Kommission in Brüssel warnte am Montag, dass die Presse "weiterhin frei arbeiten" müsse.

Gesetz stellt Loyalität von Macrons Abgeordneten auf die Probe

Auch Premierminister Jean Castex musste in der Auseinandersetzung um Artikel 24 Stellung beziehen. Er versprach, die umstrittene Vorschrift vom Verfassungsrat überprüfen zu lassen, sobald sie verabschiedet ist. Die zentrale Frage ist, ob Aufnahmen wie die vom Montagabend, die einen gewalttätigen Polizeieinsatz dokumentieren, künftig nicht mehr möglich sein sollen. Auch eine geplante Vorschrift, wonach Journalisten sich vorher anmelden müssten, wenn sie eine Demonstration beobachten wollen, wird scharf kritisiert. Eine solche Einschränkung der Pressefreiheit könnte rechtlich durchaus angreifbar sein. 

Trotz der aufgeheizten Debatte passierte das neue Gesetz am Dienstagabend mit großer Mehrheit die erste Lesung im Parlament. Für viele Abgeordnete wird der Artikel 24 zu einem Loyalitätstest: Bei der Parlamentsabstimmung votierten zehn Abgeordnete der Regierungspartei La République en Marche (LREM) gegen den Gesetzentwurf, 30 weitere enthielten sich. Oppositionspolitiker fordern von Präsident Macron die Rücknahme des Gesetzes, das zunächst in den Senat geht und dann zur Verabschiedung zurück in die Assemblée Nationale kommt. 

Emmanuel Macron bekommt gerade Gegenwind Bild: Laurent Theilelt/dpa/picture alliance

Große Kritik an dem geplanten Gesetz

Eines scheint sicher: Mit dem neuen Sicherheitsgesetz verliert Emmanuel Macron Sympathien und Unterstützung bei den französischen Linksliberalen: "Herr Präsident, dafür haben wie Sie nicht gewählt", hieß es in einem offenen Brief vom Wochenende. Unterschrieben war er von 33 Personen des öffentlichen Lebens, unter anderem von dem Filmemacher Costa-Gavras, der Dramaturgin Ariane Mnouchkine, von bekannten Professoren und Anwälten. "Unter dem Vorwand einer Illusion von Sicherheit gegenüber der Unordnung der Welt handelt die Regierung mit ihrer Mehrheit in unserem Namen, um die fundamentalen Rechte einzuschränken", heißt es darin. Das Gesetz sei ein "neo-faschistischer Traum", schreiben sie weiter.

Das neue Gesetz birgt Gefahren für die Regierung in Paris, denn sie hat einen Ruf zu verlieren. Die Anwendung des neuen Paragraphen könnte dazu führen, dass sie am Ende vor dem EuGH in Luxemburg landet.

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