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Politik

Streit um Achille Mbembe

Sabine Peschel
29. April 2020

Jenseits der Corona-Themen beherrscht die "Causa Mbembe" aktuell die gesellschaftliche Debatte in Deutschland: Dem renommierten afrikanischen Historiker und Philosophen Achille Mbembe wird Antisemitismus vorgeworfen.

Achille Mbembe Historiker und Philosoph aus Kamerun
Bild: DW/Stefan Möhl

Noch bis März dieses Jahres erschien es, als könne in Deutschland kaum ein Debattenforum stattfinden, zu dem Achille Mbembe nicht mit einem Beitrag eingeladen wäre. Der 1957 in Kamerun geborene Historiker und Philosoph wurde als afrikanischer Vordenker des Postkolonialismus gewürdigt und vielfach geehrt. Für seine 2015 erschienene "Kritik der schwarzen Vernunft" erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2018 zeichnete die Stadt Ludwigshafen Mbembe als "einen der wichtigsten Denker des afrikanischen Kontinents" aus, der  im Sinne Ernst Blochs für eine humane Welt eintrete. Noch im selben Jahr verlieh ihm die Gerda Henkel Stiftung ihren hochdotierten Preis für "herausragende Forschungsleistungen".

Schwerwiegende Vorwürfe

Der nach Stationen in Berkeley und an der Yale University heute an der University of the Witwatersrand in Johannesburg lehrende Politphilosoph fand als radikaler Kritiker eines "sich unaufhaltsam ausbreitende Kapitalismus neoliberaler Spielart" in Deutschland viel Gehör. Seine in einem bedeutenden deutschen Verlag erschienenen Bücher verkauften sich gut. Mbembes aktuell zentrales Thema, die Erosion der liberalen Demokratie mit der Folge der Ausbreitung autoritärer Regierungsformen, ist für Europa, die USA und Südamerika so relevant wir für afrikanische Staaten. Doch seit ein paar Wochen sieht sich der bis dahin hochangesehene Wissenschaftler im Zentrum einer aufgeheizten deutschen Debatte.

Mbembe bei der Verleihung des Gerda Henkel Preises 2018Bild: Stephan Brendgen

Antisemitismus und Israelhass werden Mbembe zur Last gelegt, Vorwürfe, die äußerst schwer wiegen in Deutschland. Ausgelöst hat die Debatte die FDP-Fraktion des nordrheinwestfälischen Landtags am 25. März mit einem offenen Brief. Darin kritisierte Fraktionssprecher Lorenz Deutsch die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, für ihre Einladung Achille Mbembes. Der Historiker sollte zur Eröffnung des großen internationalen Kulturfestivals eine Rede halten. Doch Mbembe habe einen Aufruf der transnationalen politischen BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) unterschrieben, die in ihrem Kern antisemitisch sei. Und: Stefanie Carp sei Wiederholungstäterin, schon vor zwei Jahren habe sie mit der Einladung der schottischen Rapper "Young Fathers" BDS-Sympathisanten nach Bochum holen wollen.

"Relativierung des Holocaust"

Was wie provinzielles politisches Hickhack begann, gewann schnell andere Dimensionen. Anschläge, rechtsradikale Hetze und zunehmender Judenhass - Deutschland hat ein Antisemitismusproblem. Deshalb hat die Bundesregierung 2018 mit Felix Klein einen Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus eingesetzt. Auch Klein, ehemals Diplomat, intervenierte und verlangte, dass für den Eröffnungsvortrag "eine Person ausgewählt werden sollte, die dieser Verantwortung gerecht wird - und nicht in der Vergangenheit bereits durch die Relativierung des Holocaust aufgefallen ist."

Kriege als Folge der Konflikte um die Entkolonialisierung analysierte Mbembe in seinem Buch von 2017

Diese Personalie hat sich inzwischen erledigt, die Ruhrtriennale wurde aus Pandemie-Gründen abgesagt, und Stefanie Carps Vertrag als Intendantin läuft ohnehin demnächst nach drei Jahren regulär aus. Doch der Streit, ob Mbembe in seinen Schriften den Holocaust relativiert, den Staat Israel mit dem Apartheidsystem Südafrikas gleichgesetzt habe und sogar das Existenzrecht Israels in Frage stelle, ist auf breiter Front entbrannt. Geführt wird er mit Zitaten aus Mbembes Buch "Politik der Feindschaft" und seinem Vorwort für das Buch "Apartheid Israel". Darin schrieb er, dass "die Besetzung Palästinas der größte moralische Skandal unserer Zeit" sei, "eine der entmenschlichendsten Torturen des Jahrhunderts, in das wir gerade eingetreten sind, und der größte Akt der Feigheit des letzten halben Jahrhunderts." Israel, glaubte er, sei bereit, mit Gemetzel, Zerstörung und schrittweiser Ausrottung der Palästinenser "den ganzen Weg zu gehen". Deshalb sei die Zeit für globale Isolation Israels gekommen.

"Beschämende und absurde Anschuldigungen"

Trotz dieser Forderung von vor fünf Jahren hält Achille Mbembe die "beschämenden Vorwürfe" seiner Ankläger heute für unbegründet. "Alles, was ich je geschrieben oder gesagt habe", betont der Philosoph in einer ausführlichen Entgegnung in der Wochenzeitschrift "Die Zeit" vom 23. April, "ruht auf einem einzigen Fundament, nämlich der Hoffnung auf die Herausbildung einer wirklich universellen Gemeinschaft, von deren Tisch niemand ausgeschlossen wird". Der Antisemitismus sei "ein schreckliches Verbrechen". Er empfinde es als unerträglich, sich gegenüber "absurden Anschuldigungen" rechtfertigen zu müssen wie einer Banalisierung des Holocaust oder einer Gleichsetzung des Massenmords an den Juden mit der Apartheid in Südafrika, verstärkte er seine Position am Dienstag (28.04.) noch einmal. Die Singularität des Holocaust als Menschheitsverbrechen habe für ihn nie zur Debatte gestanden.

"Kritik der schwarzen Vernunft" (englisch "Critique of Black Reason") erschien 2017 und wurde zu einem Klassiker der Postkolonialismus-DebatteBild: picture-alliance/D. Harrison/Buchhandel Bayern

Die Diskussion um Mbembe wird inzwischen intensiv und nah an den Texten und Äußerungen des Wissenschaftlers geführt. Viele namhafte Kulturjournalisten, Kulturwissenschaftler und Politologen haben sich mit Kommentaren zu Wort gemeldet, Kontexte beleuchtet und verschieden interpretiert. Aleida Assmann, die den Diskurs um Erinnerungskultur in Deutschland maßgeblich geprägt hat, machte darauf aufmerksam, dass Vergleiche für Historiker immer notwendig seien und nicht mit Gleichsetzungen verwechselt werden dürften. Die Auseinandersetzung entfernt sich damit gegenwärtig von Mbembe selbst. Denn im Kern geht es längst um Fragen, die in Deutschland seit Jahren immer wieder Thema sind: Darum, wie weitgehend Deutsche den Staat Israel kritisieren dürfen, ohne sich moralisch schuldig zu machen, wo Meinungsfreiheit endet und Antisemitismus beginnt – und natürlich, besonders im BDS-Zusammenhang, um oft unvereinbare politische Positionen zum Konflikt zwischen Israel und Palästina.

 

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