Raubkunst? Streit um Picassos "Madame Soler"
28. März 2023Ernst schaut sie drein, wach und konzentriert. Ein intensiver Blick, den der Maler Pablo Picasso 1903 von der Gattin seines Freundes, des Schneiders Benet Soler, eingefangen hat. Das Portrait, Teil von Picassos "blauer Phase", ist inzwischen Gegenstand einer erbitterten und langjährigen Auseinandersetzung zwischen den Erben eines jüdischen Kunstsammlers und der Pinakothek Bayerns geworden. Beide Seiten melden Besitzansprüche an der "Madame Soler" an.
Erbengemeinschaft versus Staatsgemäldesammlung Bayern
Sowohl die Erbengemeinschaft aus Nachfahren des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy (1875-1935) als auch die Staatsgemäldesammlung Bayern sehen sich als rechtmäßige Eigentümer. Kompliziert ist das deswegen, weil sich die Parteien nicht einig sind, ob das Gemälde unter Druck veräußert wurde - im Kontext der Verfolgung und Enteignung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland ab 1933. Und weil die Beweislage nicht eindeutig ist.
Da es in Deutschland keine Möglichkeit gibt, verjährte Restitutionsansprüche juristisch einzuklagen - und weil US-amerikanische Gerichte ihre Zuständigkeit verneint haben - ist der Streit um "Madame Soler" in einer Sackgasse gelandet. Aus dieser herauszukommen, wird mit Hilfe öffentlichen Druckes vorangetrieben.
Claudia Roth macht Druck
Eigentlich gäbe es für solche Fälle ein Instrument: Die sogenannte Limbach-Kommission kann in Deutschland angerufen werden. Sie übernimmt dann die Klärung der Hintergründe und gibt eine Empfehlung ab - diese ist zwar nicht rechtlich bindend, aber eine wichtige moralische Empfehlung.
Die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz", wie die Kommission mit vollem Namen heißt, wurde 2003 als Reaktion auf die Washingtoner Erklärung von 1998 eingerichtet. Sie leidet jedoch an dem Geburtsfehler, dass beide Konfliktparteien sie gemeinsam anrufen müssen. Die Bayerische Staatsgemäldesammlung zeigt sich bislang jedoch nicht bereit, diesen Schritt zu machen. Doch jetzt macht Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) Druck: "Ich fordere die bayerische Landesregierung ausdrücklich dazu auf, endlich den Weg dafür freizumachen, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einer Anrufung der Beratenden Kommission zustimmen. Das ist nun wirklich überfällig", sagte Roth der "Süddeutschen Zeitung".
Was ist unstrittig?
Gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau hatte von Mendelssohn-Bartholdy in Berlin eine beachtliche Privatsammlung von Künstlern der Moderne aufgebaut, zu der vielleicht schon 1913/14, spätestens aber ab 1930 auch Picassos "Madame Soler" gehörte. Doch 1934 können Verkaufsabsichten nachgewiesen werden, so vermerkt es 1934 der Leiter der Luzerner Filiale des Kunsthändlers Justin K. Thannhauser. Thannhauser, selbst Jude, hatte mit seiner großen Picasso-Ausstellung 1913 in München den Weltruhm des Malers mitbegründet.
Paul von Mendelssohn-Bartholdy verstirbt am 11.05.1935 an einem Herzanfall, seine zweite Ehefrau ist Erbin. Im August 1935 wird "Madame Soler" bei der Galerie Thannhauser in Berlin als "angekauft" gelistet. Im Oktober 1935 bietet Thannhauser das Gemälde zusammen mit vier anderen Werken von Picasso zum Verkauf an. Doch auch er selbst gerät in Nazi-Deutschland zunehmend unter Druck, geht nach Paris und flüchtet von dort 1940 - viele Werke ungerahmt im Gepäck - in die USA.
"Madame Soler" war fortan als Teil von Thannhausers Privatsammlung in New York - prominent platziert - für Gäste gut sichtbar. Im November 1964 erwerben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Picassos "Madame Soler" für 1,7 Millionen Schweizer Franken beziehungsweise 1,6 Millionen Deutscher Mark von Justin Thannhauser über eine Firma mit Sitz in Vaduz/Liechtenstein.
Worum geht der Streit?
Die Erbengemeinschaft zweifelt an, dass das Bild ohne Druck verkauft worden sei, beziehungsweise dass es überhaupt verkauft worden sei. Über den Kauf an sich gibt es - abgesehen von der internen Dokumentation der Galerie Thannhauser - keine direkten Nachweise. Es sei also auch möglich, dass das Gemälde nur bei Thannhauser in Kommission gegangen sei. So argumentiert Julius H. Schoeps, Historiker, Träger des Bundesverdienstkreuzes und Nachfahre von Mendelssohn-Bartholdy - und zwar nicht nur in der Klageschrift, sondern auch in seinem 2022 erschienenen Buch "Wem gehört Picassos Madame Soler?".
Er sieht es als wahrscheinlich an, dass von Mendelssohn-Bartholdy die Bilder Thannhauser in Kommission gegeben habe - um einen Käufer zu finden, bevor es zur Beschlagnahmung durch die NS-Behörden gekommen wäre. Er habe vorher kein einziges Bild veräußert, zwischen 1933 und 1935 aber 15 seiner Bilder. Der Freistaat Bayern hält jedoch an der Annahme fest, dass es sich bei dem Bild "nicht um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelt".
Und jetzt?
Im Falle der vier anderen veräußerten Picasso-Bilder hat die Erbengemeinschaft Vergleiche geschlossen; einmal mit dem Guggenheim Museum und dem Museum of Modern Art in New York sowie mit der Andrew-Lloyd-Webber-Stiftung - die Werke blieben jeweils gegen die Zahlung einer Summe in unbekannter Höhe in den Sammlungen. Die National Gallery in Boston gab ihren Picasso an die Erben zurück.
Da es in Deutschland aktuell nicht so aussieht, als würde in naher Zukunft ein Restitutionsgesetz auf den Weg gebracht oder die Prozesse der Limbach-Kommission reformiert (hin zu einem auch einseitigen Anrufungsrecht), bleibt nur der Weg der öffentlichen Debatte, die jetzt mit den Äußerungen der Kulturstaatsministerin Fahrt aufzunehmen scheint.
Dieser Artikel vom 02.03. 2023 wurde am 28.03.2023 aktualisiert.