Streit um Facebook-Mitarbeiter in Kenia geht weiter
9. Dezember 2023Meta, der Mutterkonzern von Facebook, muss Dutzenden von Content-Moderatoren, die über das Subunternehmen Sama für Facebook arbeiteten, kein Geld zahlen. Zu diesem Urteil kommt ein Gericht in Kenia, das einige der Gekündigten angerufen hatten, nachdem Facebook-Auftragnehmer Sama sie und zahlreiche Andere im März entlassen hatte. Sie reichten Klage gegen Meta, Sama und andere Auftragnehmer wegen ungerechtfertigter Entlassung ein.
Im Oktober waren Bemühungen der beteiligten Parteien, über eine Mediation eine außergerichtliche Einigung zu erreichen, gescheitert. Ein Angebot wurde von den Moderatoren, die die Klage eingereicht hatten, als zu niedrig abgelehnt.
Keine vorsätzliche Missachtung des Gerichts
Richter Mathews Nduma Nderi begründete seine Entscheidung am Donnerstag damit, dass der Tech-Riese aus den USA einen Gerichtsbeschluss, in dem Meta angewiesen wurde, den Moderatoren ihre Gehälter auszuzahlen, nicht "vorsätzlich und geringschätzend" missachtet habe.
"Sie handelten auf eine Weise, die sie in dieser Situation für rechtmäßig hielten, doch wir konnten nicht feststellen, dass ihre Handlungen einer Missachtung gleichkommen", sagte Nderi.
Ein anderer Richter hatte in einem früheren Beschluss Meta untersagt, die Arbeitnehmer zu entlassen, solange eine Entscheidung über ihren Fall ausstand. Daraufhin reichten die Moderatoren Klage wegen Missachtung des Gerichts gegen Meta und seine Auftragnehmer ein. Laut Angabe der Moderatoren waren sie während dieser Zeit nicht wie vom Gericht angeordnet bezahlt worden.
Rechtswidrige Kündigung
Sama, ein Auftragsnehmer mit Sitz in den USA, war 2019 zunächst von Facebook engagiert worden, um Inhalte in den östlichen und südlichen Ländern Afrikas zu moderieren. Im März 2023 beschloss Sama, sich aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Moderationsgeschäft zurückzuziehen, wie das Unternehmen erklärte. So kam es zu Massenkündigungen, von denen vor allem das Zentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi betroffen war.
Die entlassenen Content-Moderatoren sind jedoch überzeugt, dass ihnen gekündigt wurde, weil sie versuchten, eine Gewerkschaft zu gründen und weil sie sich über die Arbeitsbedingungen und eine mangelnde psychologische Unterstützung beschwerten.
Ihren Aussagen zufolge wurden sie zudem daran gehindert, sich bei Majorel, einem zweiten, in Luxemburg ansässigen Auftragsnehmer, zu bewerben. Majorel erhielt später von Facebook den Zuschlag für die Content-Moderation in Afrika.
Der Gerichtsbeschluss vom Donnerstag bedeutet jedoch noch nicht das Ende des weithin beachteten Verfahrens. Der Rechtsbeistand der Content-Moderatoren hat nun 45 Tage Zeit, seinen Antrag, eine Missachtung des Gerichts festzustellen, zu ergänzen.
Laufendes Verfahren
Der Richter wies außerdem darauf hin, dass der Fall vorrangig vom Gericht behandelt würde, sollte es zu keiner außergerichtlichen Einigung kommen. Foxglove, eine regierungsunabhängige britische Organisation, die sich für Arbeitnehmerrechte in der Tech-Industrie einsetzt und die die Gruppe vor Gericht unterstützt, hat bereits erklärt, dass sie den Fall vor Gericht sehen möchte.
"Wir sind insgesamt sehr zuversichtlich, da wir uns bislang in allen wichtigen Punkten durchgesetzt haben", sagte Foxglove-Direktorin Martha Dark zur Nachrichtenagentur Reuters und fügte hinzu "Der wichtigste Gerichtsbeschluss bleibt der, den wir im Juni erstritten haben. Meta kann sich nicht länger hinter seinen Auftragnehmern verstecken, um die Ausbeutung und den Missbrauch seiner Content-Moderatoren zu entschuldigen."
Anfang Juni hatte das Arbeitsgericht von Kenia festgestellt, dass Meta weiterhin der "Hauptarbeitgeber" der in Nairobi für Subunternehmen arbeitenden Content-Moderatoren sei. Daher könne Meta nach kenianischem Recht haftbar gemacht werden. Dies gelte insbesondere, weil für die Erfüllung der Arbeitsaufgaben Meta-eigene Technologie zum Einsatz käme und die Leistungs- und Genauigkeitskriterien des Tech-Riesen angewendet würden.
Erhebliche Traumata
Im Rahmen des vorläufigen Beschlusses vom Juni wurde Meta auch dazu verpflichtet, den Moderatoren eine "angemessene medizinische, psychiatrische und psychologische Versorgung" anzubieten, da es zu ihrem Auftrag gehöre, von Benutzern hochgeladene Inhalte zu prüfen und solche Inhalte zu entfernen, die die Community-Standards von Facebook verletzen.
Durch diese Aufgaben waren die Moderatoren verstörenden Bildern, unter anderem von Vergewaltigungen, Morden, Selbstmorden und Selbstverletzungen, ausgesetzt. Die Moderatoren geben an, dass sie durch das Sichten eines endlosen Stroms ausgesprochen drastischer Inhalte traumatisiert worden seien.
"Es gibt einen Grund, warum Sie und ich auf Facebook keine Videos von Enthauptungen und sexueller Gewalt sehen. Die Content-Moderatoren arbeiten an der Front. Sie sichten, beurteilen und entfernen diese Inhalte, bevor wir sie zu Gesicht bekommen", sagte Rechtsanwältin Mercy Mutemi, die 43 der Klageführenden vertritt, nach Verkündung des Beschlusses am Donnerstag.
"Facebook und Sama locken junge, begabte aber verletzliche, arglose junge Menschen aus Kenia und anderen afrikanischen Ländern an", sagte sie zur DW.
Anfang des Monats sprach die DW mit einer jungen Frau aus Äthiopien, die in Nairobi als Content-Moderatorin für Facebook gearbeitet hatte. Unter dem Schutz der Anonymität erzählte sie: "Man sieht Unmengen an Tötungen, zerstückelten Leichen oder Menschen, die bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Ohne jede Vorwarnung. Und was man einmal gesehen hat, kann man nicht ungesehen machen."
Kein Ende der juristischen Probleme in Sicht
Allein in Kenia muss sich Meta, zu dessen Konzern auch WhatsApp und Instagram gehören, mit zwei weiteren Klagen auseinandersetzen.
Ein anderer früherer Content-Moderator aus Kenia verklagt Sama und Facebook wegen einer Reihe mutmaßlicher Verletzungen seiner Rechte, darunter Ausbeutung und Verhinderung der Gründung einer Gewerkschaft. In der 2022 eingereichten Klage wirft Daniel Motaung dem Unternehmen vor, es habe ihm lediglich 2,04 Euro die Stunde für die Sichtung von Posts gezahlt, die auch Enthauptungen und Kindesmissbrauch zeigten. Seine psychische Gesundheit habe dadurch langfristig gelitten.
Eine örtliche regierungsunabhängige Organisation reichte außerdem gemeinsam mit zwei äthiopischen Staatsbürgern eine Klage mit einem Streitwert in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar (1,5 Milliarden Euro) ein. Darin wird Meta beschuldigt, den Bürgerkrieg in Äthiopien angeheizt zu haben, da es versäumt habe, Hassreden auf Facebook zu entfernen.
Trotz dieser sich anhäufenden juristischen Probleme wächst bei internationalen Tech-Unternehmen, die Aufgaben häufig an Drittunternehmen auslagern, das Interesse an Ostafrika. Für Konzerne wie Meta und seine Tochtergesellschaften werden Länder wie Kenia und Äthiopien, die in einer ähnlichen Zeitzone wie weite Teile Europas liegen und über stabile Internetverbindungen sowie eine junge, technisch versierte und des Englischen mächtige Bevölkerung verfügen, immer attraktiver.
Doch die niedrigen Löhne und unsicheren Arbeitsverhältnisse werfen in Verbindung mit den drastischen Inhalten, denen die Moderatoren ausgesetzt sind, Fragen zu den ausbeuterischen Bedingungen auf, unter denen die Moderatoren häufig arbeiten.
Andrew Wasike und Mariel Müller, beide mit Sitz in Nairobi, haben zu diesem Artikel beigetragen.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.