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Streit um Gasförderung vor Nordseeinsel Borkum

21. August 2024

Die Niederlande wollen vor der deutschen Nordsee-Insel Borkum Gas fördern. Klimaschützer und Wirtschaftsminister Habeck sind dagegen, Bundeskanzler Scholz eher dafür. Das Land ist zweitgrößter Gaslieferant Deutschlands.

Ein Schlauchboot der Umweltgruppe "Greenpeace" umkreist die Arbeitsschiffe der Konzerns "One Dyas" vor Borkum
Protest gegen den Gas-Plan der Niederländer: Ein Schlauchboot der Umweltgruppe "Greenpeace" umkreist die Arbeitsschiffe der Konzerns "One Dyas" vor BorkumBild: Lars Penning/dpa/picture alliance

Wer genau hinschaut am Strand der beliebten deutschen Urlauberinsel Borkum, kann die Vorarbeiten für die Förderplattform draußen auf dem Meer schon erkennen: Der niederländische Konzern One-Dyas will hier Gas fördern.

Der Standpunkt liegt direkt hinter der Grenze auf niederländischem Hoheitsgebiet. Gebohrt werden soll bis zu dreieinhalb Kilometer weit in die Tiefe. Das Gas soll mittels eigenem Kabel und Pipeline in die Niederlande geleitet werden. Mit der Förderung soll am besten noch in diesem Jahr begonnen werden. Feld N05A, so lautet der technische Name des Gasvorkommens in großer Tiefe.

Ja aus Niedersachsen, Habeck will Zeit gewinnen

In Deutschland hat der Plan vor allem deshalb für erhebliche Aufregung gesorgt,  weil die Niederländer tief unter dem Meeresboden auch Gas im deutschen Hoheitsgebiet fördern wollen. Und weil die zuständigen Behörden im Bundesland Niedersachsen dem Vorhaben erst einmal zugestimmt haben.

Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann gibt sich kämpferisch: "Wir werden jetzt intensiv den Plan-Feststellungsbeschluss durcharbeiten und natürlich rechtliche Schritte prüfen." Der Bürgermeister fürchtet offenbar um das Image seiner beschaulichen, naturnahen Insel, die bei Touristen damit wirbt, dass sie mitten im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer liegt.

Ist Gas aus heimischen Quellen nachhaltiger?

Das Wirtschaftsministerium in Niedersachsen erklärte, natürlich schade Gas als Energieträger langfristig dem Klima, sei aber in Deutschland und den Niederlanden in den nächsten 20 Jahren noch unverzichtbar. Gas aus heimischen Quellen sei nachhaltiger, als es etwa aus fernen Ländern per Tanker zu importieren.

Für viele Touristen ein Urlaubsparadies im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer: Die Insel Borkum in der NordseeBild: imagebroker/IMAGO

Habeck hält das Projekt für nicht nötig

Während der Konzern in den Niederlanden die volle Rückendeckung der neuen rechts-populistischen Regierung in Den Haag hat,  liegt in Deutschland die letzte Entscheidung beim Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen.

Soll das Vorhaben wirklich starten, müssen Deutschland und die Niederlande eigens einen Vertrag unterzeichnen. Habeck spielt auf Zeit. Er sagte, dass Projekt sei für die Gasversorgung Deutschlands eigentlich nicht nötig. Jetzt will er mögliche Gerichtsverfahren abwarten.

Das kann dauern, denn mehrere Umweltverbände wollen gegen das Projekt vor Gericht ziehen. Der Klimaexperte der Umweltgruppe Greenpeace, Martin Kaiser, sagte der DW, die zuständigen Minister und der Bundeskanzler in Berlin müssten das Projekt zur Chefsache machen.

"Schließen sie tatsächlich ein Abkommen mit den Niederlanden ab, um das Gasfeld nahe des UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer auszubeuten, begeben sie sich in der Klimakrise auf die falsche Seite der Geschichte. Deutschland braucht kein neues Gas, die Bohrungen sind mit den internationalen Klimazielen nicht zu vereinbaren, und die massiven Proteste dagegen zeigen: Die Menschen wollen es nicht."

Eine komplett veränderte Energielandschaft

Der Streit um das Gas zeigt, wie dramatisch sich die Bedingungen für die deutsche Energieversorgung in nur zweieinhalb Jahren geändert haben: Noch im Januar 2022 importierte Deutschland fast 6000 Gigawattstunden Gas. Der größte Anteil kam aus Russland, gefolgt von Norwegen, Belgien und den Niederlanden.

Jetzt, nur zweieinhalb Jahre später, werden nur noch etwas über 2000 Gigawattstunden an Gas nach Deutschland geliefert. Gas aus Russland gibt es gar nicht mehr, eine Folge des Angriffskriegs der Russen in der Ukraine

Norwegen ist jetzt der Hauptlieferant, Belgien und die Niederlande folgen. Deutschland bezieht auch Flüssiggas (LNG) etwa aus den USA, dafür wurden in großer Eile schwimmende Terminals errichtet, um das Gas aus Tankern aufnehmen zu können.

Finanzminister Lindner (FDP, links) und Bundeskanzler Scholz (rechts) haben sich für das Projekt der Gasförderung ausgesprochen. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne, Mitte) ist skeptischBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Spahn (CDU) kritisiert "Doppelmoral" bei SPD und Grünen

Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine dachte Deutschland über viele Jahrzehnte nicht groß über heimische Gasquellen nach. Das Gas kam zuverlässig und preiswert aus Russland. Auch die meisten konservativen Politiker lehnten deshalb Gasprojekte wie jetzt das der Niederländer ab, über das schon einige Jahre gesprochen wurde.

Jetzt sagte der Vize-Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn, Deutschland müsse bei der Energieversorgung unabhängiger werden von anderen. In der Zeitung "Tagesspiegel" kritisierte er das Zögern von Habeck.

"Jetzt zeigt sich wieder die Doppelmoral seiner Grünen und der SPD," kritisierte er. Verflüssigtes Gas werde aus den USA importiert, Kernkraft aus Frankreich, "aber selbst ein kleines, ertragreiches Gasfeld in Deutschland wird bekämpft".

Eher Zustimmung von Scholz und Lindner

Klein und ertragreich: Tatsächlich schätzt selbst der Konzern One Dyas, dass über eine Zeit von mehreren Jahren maximal eine Menge gefördert werden könnte, die etwa sieben Prozent des jährlichen deutschen Gasverbrauchs entspricht.

Trotzdem heißt es im politischen Berlin, dass sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) eher für das Projekt stimmen würden. Scholz erklärte in einem deutschen Radiosender, er gehe davon aus, dass bald gefördert würde.

"Es gibt auf niederländischer Seite Genehmigungen. Es gibt auf deutscher Seite Genehmigungen," so der Kanzler. Es sei sehr unwahrscheinlich anzunehmen, dass es nicht dazu kommt, dass das Projekt realisiert werde. 

Demonstration auch in Berlin

Habeck erhält derweil Rückendeckung von seiner Parteifreundin, Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Sie sagte: "Eine mögliche Gasförderung unweit vom sensiblen Nationalpark Wattenmeer  erfüllt mich mit Blick auf den Meeresschutz mit Sorge. Die Nordsee wird bereits sehr stark genutzt, jede weitere Industrieanlage auf See stellt ein Risiko für Meerestiere und -pflanzen dar."

Das sehen auch die Umweltverbände so, die Anfang der Woche vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin gegen das Projekt demonstrierten. Auf Borkum selbst stemmten sich nach Teilnehmerangaben am vergangenen Wochenende rund 2000 Demonstranten gegen den Gas-Plan. Gut möglich, dass das beschauliche Borkum etwas länger in den Schlagzeilen bleibt.

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