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Politik

Streit um Geschichte: Polen kontra Putin

31. Dezember 2019

Polens Premier Morawiecki attackiert Putin. Der behauptet, Polen sei mitverantwortlich für den Zweiten Weltkrieg. Der Streit berührt das Selbstverständnis beider Staaten. Aus Warschau Magdalena Gwozdz-Pallokat.

Putins Äußerungen zu Polen und dem Zweiten Weltkrieg lösen einen Sturm aus
Belastete Geschichte: Denkmal für die Rote Armee, 1950 errichtet in Rzeszow, PolenBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Widak

Zur Jahreswende wird die politische Diskussion in Polen bestimmt von Wladimir Putins Äußerungen und Mateusz Morawieckis Antwort. Der regierungsnahe Fernsehsender TVP berichtet praktisch rund um die Uhr, nennt Putins Worte "unwürdig", lobt Polens Premier für seine "klaren Worte". 

Der polnische Premierminister hatte dem russischen Präsidenten entgegnet: "Präsident Putin hat schon mehrmals gelogen, was Polen betrifft, und er tat es immer mit vollem Bewusstsein. Meistens geschieht es dann, wenn Moskau internationalen Druck verspürt wegen seiner Handlungen, und zwar nicht in der Vergangenheit, sondern heute." 

Polens Premier Morawiecki: "Putin hat gelogen"Bild: picture-alliance/PAP/R. Pietruszka

Morawiecki bezog sich damit auf die US-Sanktionen gegen die umstrittene Erdgaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland, auf die Sperre, die die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA gegen Russland verhängt hatte, sowie auf den Streit über Energielieferungen zwischen Russland und Weißrussland. Von diesen Problemen, so Morawiecki, wolle Putin ablenken. 

Der russische Präsident hatte unter anderem den Hitler-Stalin-Pakt relativiert, den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, in dem Nazideutschland und die Sowjetunion kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Polen unter sich aufteilten. Polen - so Putin - sei mitverantwortlich für Krieg, seine politische Führung sei antisemitisch gewesen und Jozef Lipski, der polnische Botschafter in Deutschland bis 1939, "ein antisemitisches Schwein". Historisch überliefert ist, dass Lipski Hitler für die Deportation von Juden ein Denkmal in Warschau versprochen hat.

Der deutsche Außenminister Ribbentrop (links) und sein sowjetischer Kollege Molotow (vorn) unterzeichnen den Nichtangriffspakt am 24. August 1939 in Moskau - und damit auch die Teilung PolensBild: picture alliance/dpa

Bereits am Freitag hatte Polen darum den russischen Botschafter einbestellt. Polens Premier konterte am Sonntag mit der zitierten Erklärung, die er mit Präsident Andrzej Duda abgestimmt habe. Darin unterstreicht Morawiecki unter anderem, dass Stalins größtes Opfer das russische Volk gewesen sei. Es verdiene die "Wahrheit", statt "Täter und Opfer zu vertauschen".

Empörung in Europa und den USA

Nicht nur in Polen schlägt Putin Empörung entgegen. Russlands Präsident wolle die "sowjetische Mitverantwortung für den Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen verstecken", urteilt Manuel Sarrazin, der Osteuropa-Sprecher der Grünen im Bundestag, gegenüber der DW. "Das ist aktive Geschichtspolitik, die offensichtlich dem Zweck dient, die heutige russische neoimperiale Politik in Zentraleuropa mit zu legitimieren." Deutschlands Botschafter in Polen, Rolf Nikel, bekräftigt auf Twitter: "Die Sowjetunion hat gemeinsam mit Deutschland an der brutalen Teilung Polens teilgenommen."

"Lieber Präsident Putin, Hitler und Stalin haben sich verschworen, um den Zweiten Weltkrieg zu beginnen. Das ist Fakt. Polen war das Opfer dieses grausamen Konflikts", schreibt Georgette Mosbacher, die Botschafterin der USA in Polen.

Entsetzt ist auch David Harris, Direktor des American Jewish Committee: "Das ist unglaublich. Historischer Revisionismus auf Steroiden."

Sogar aus Russland selbst kommt Kritik. Die Zeitung "Kommersant" schreibt, der nahende 75. Jahrestag des Kriegsendes bestimme die Handlungen des Kreml - und dessen Version der Geschichte.

Politisch aufgeladene Gedenktage

"Seit langem gibt es in Russland die Tendenz, sich auf die Geschichtsdarstellung aus der Zeit des Stalinismus zurückzubesinnen", sagt Kosma Zlotowski, Europaabgeordneter der regierenden PiS-Partei, der DW. Der Kreml setze das gezielt ein: "In Polen ist gerade Wahlkampf. (Präsidentschaftswahl im Mai, Anm. d. Red.). Putin möchte ihn höchstwahrscheinlich beeinflussen. Außerdem will er die Position Polens bei den Bündnispartnern schwächen."

Doch nicht nur Polen will Putin seine Version der Geschichte lehren. Auch mit dem als russlandfreundlich geltenden tschechischen Präsidenten Milos Zeman hat er sich verkracht. Der Grund: Tschechien will der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen des Warschauer Pakts künftig mit einem Feiertag gedenken - das hatte das russische Außenministerium umgehend als "Enttäuschung" kritisiert. Zeman erwägt nun, an den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Kriegsendes im Mai in Russland nicht teilzunehmen. 

Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs in Warschau - mit Bundespräsident Steinmeier, Polens Präsident Duda und US-Vizepräsident Pence (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/AP Photo/P. D. Josek

Putin wiederum plant laut seinem Sprecher derzeit nicht, Ende Januar nach Auschwitz zu fahren, wenn dort mit internationalen Gästen der Befreiung des früheren deutschen Konzentrationslagers in Polen gedacht wird - durch Truppen der Roten Armee. Ein Grund für Putins Weigerung könnte sein, dass die polnische Regierung ihn zu den Gedenkfeiern 80 Jahre nach Kriegsbeginn im September nicht eingeladen hatte.

Historisch belastete Beziehungen

Denn der Zweite Weltkrieg bedeutete nicht nur den Überfall Westpolens durch Deutschland unter Hitler - sondern wenige Wochen später auch die Invasion des östlichen Landesteiles durch die Sowjetunion unter Stalin. "Für jene Generation der Polen, die noch die Teilungszeit kannte, war der schlimmste Feind damals nicht Deutschland, sondern Russland", betont der polnische Historiker Zbigniew Woźniczka. Auch nach dem Krieg waren die polnisch-russischen Beziehungen nur formal freundschaftlich, vielerorts hielten sich Antipathien. 

Eine historische Versöhnung schien erst denkbar, als Putin sich am 7. April 2010 mit dem damaligen Regierungschef Donald Tusk an den Gräbern von Katyn traf, dem Schauplatz stalinistischer Massenmorde an polnischen Eliten. 

Das Mahnmal von Katyn - die sowjetische Geheimpolizei ermordete hier 1940 tausende polnische OffiziereBild: Reuters

Doch nur drei Tage später stürzte die polnische Regierungsmaschine bei Smolensk in Russland ab, mit 96 Passagieren an Bord, darunter auch Polens Staatspräsident Lech Kaczynski. Seither seien die polnisch-russischen Beziehungen wieder in einem fatalen Zustand, ohne Aussicht auf Besserung, meint PiS-Politiker Kosma Zlotowski. Putin ziele mit seinen Aussagen zur Weltkriegsgeschichte daher auch weniger auf Polen selbst als darauf, das Ansehen des Landes bei westlichen Partnern zu schädigen. 

Der russische Präsident betreibe historischen Revisionismus im Stil der Stalin-Zeit, urteilt Stanislaw Zerko vom Posener West-Institut. "Putin manipuliert nicht nur, er verzerrt Fakten und Dokumente und lügt ganz einfach", so der Historiker. "Ich kann auch polnische Anhänger einer solchen Geschichtspolitik nur warnen, in Putins Fußstapfen zu treten. Geschichtspolitik darf nicht der Glorifizierung der eigenen Nation dienen."

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