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PolitikEuropa

Streit um Grenzschließungen in der EU

23. Februar 2021

Sechs EU-Staaten haben im Kampf gegen Corona-Mutanten überreagiert, meint die EU-Kommission. Deutschland widerspricht und will - irgendwann - einen Impfpass. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Deutschland Grenze zu Tschechien Coronavirus Test Kontrolle
Grenzkontrolle an der Autobahn A17 von Tschechien nach Bayern (14.02.2021)Bild: Oliver Killig/dpa/picture alliance

Deutschland hat seine strikten Einreisebeschränkungen für Tschechien, die Slowakei und das österreichische Bundesland Tirol an diesem Dienstag bis zum 3. März verlängert. An der Grenze zu Tschechien herrscht ein Einreiseverbot. Einige wenige Ausnahmen gibt es für LKW-Fahrer und "system-relevante" Grenzpendler. Diese ständigen Grenzkontrollen, die nach Auffassung der Bundesregierung die Verbreitung der britischen Virus-Mutante in Bayern und Sachsen verhindern sollen, stoßen der EU-Kommission in Brüssel übel auf. Die Kommission schrieb Deutschland und fünf weiteren Staaten in der EU (Finnland, Dänemark, Schweden, Ungarn und Belgien) am Montag Beschwerdebriefe, in denen Grenzkontrollen als "unverhältnismäßig" und möglicherweise "diskriminierend" kritisiert werden. Den Schutz vor der Verbreitung der Virus-Variante hätte man auch mit weniger drastischen Maßnahmen erreichen können, heißt es in dem Brief. Die betroffenen EU-Staaten haben nun zehn Tage Zeit auf die Vorhaltungen der EU-Kommission zu reagieren, sagte deren Sprecher in Brüssel.

Michael Roth: Wir halten uns an EU-RechtBild: Markus Schreiber/AFP/Getty Images

Deutschland weist Vorwürfe der EU zurück

So viel Zeit braucht die Bundesregierung für eine Replik allerdings gar nicht. Der Staatsminister für EU-Politik im Auswärtigen Amt, Michael Roth, reagierte empört. "Ich weise den Vorwurf zurück, dass wir uns nicht an EU-Recht halten", sagte Roth vor einer Video-Konferenz mit seinen EU-Kolleginnen und Kollegen. Die EU-Kommission hatte bemängelt, dass Deutschland und die anderen fünf Länder über die Empfehlungen hinausgehen, die sie selbst im Januar beschlossen hatten. "Wir halten uns an die Schengen-Regeln", sagte Staatsminister Roth. In dem nach dem luxemburgischen Grenzort Schengen benannten EU-Gesetz ist grundsätzlich festgelegt, dass es zwischen 26 Staaten in Europa keine ständigen Personenkontrollen an den Binnengrenzen gibt. Befristete Ausnahmen sind allerdings möglich, wenn sie der EU-Kommission angezeigt und ausreichend begründet werden.

Nicht nur Deutschland, auch Portugal machte dicht: Grenze zu Spanien wurde im Januar geschlossenBild: Marta Vázquez Rodríguez/EUROPA PRESS/dpa/picture alliance

Aus Bayern kam deutliche Kritik an der EU. "Die Grenzkontrollen sind nicht unverhältnismäßig, sondern erforderlich", hieß es aus der bayerischen Staatskanzlei in München. Die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liege in Teilen Tschechiens bei 1400, meinte der Chef der bayerischen Staatskanzlei Florian Hermann. Diese Gefährdung müsse man extrem ernst nehmen. Die von der EU kritisierte Corona-Testung von LKW-Fahrern an den Grenzen sei "dringend notwendig", weil Mobilität in der Pandemie eben ein Problem sei.

Im Prinzip grenzenlos, außer in Krisenzeiten: Die Schengen-Zone

Grenze zu Frankreich soll offen bleiben

Versöhung auf der Mosel-Brücke in Schengen: Luxemburgs Außenminister Asselborn (li.) und Deutschlands Minister Maas im Mai 2020 nach Wiederöffnung der GrenzeBild: picture-alliance/dpa/O. Dietze

Die Grenze zu Frankreich soll aber durchlässig bleiben, beteuerte der deutsche Staatsminister Michael Roth nach Gesprächen mit französischen Vertretern über die Gefahr durch die südafrikanische Virus-Mutation, die in Nordost-Frankreich aufgetreten ist. "Die Bundesländer an der französischen Grenze wollen ausdrücklich keine Einführung von Grenzkontrollen und damit eine faktische Schließung der Grenze", sagte Roth. Die Situation sei anders als zwischen Bayern und Tschechien. "Wir hoffen, dass wir der besonderen Bedeutung der deutsch-französischen Grenzregion auch für das gesamte Europa gerecht werden, weil das Leben und Arbeiten in dieser Region so eng verwoben ist wie in wahrscheinlich nur wenigen Grenzregionen der EU", meinte Michael Roth. Mit Frankreich sei man im Gespräch, um die Maßnahmen auf beiden Seiten der Grenze anzugleichen. In Deutschland sind zum Beispiel Geschäfte geschlossen, in Frankreich sind sie offen. In Frankreich herrscht eine Ausgangssperre ab 18 Uhr. In Deutschland gibt es keine Beschränkungen. Als letztes Mittel hatte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) Grenzschließungen zu Frankreich oder Luxemburg nicht ausgeschlossen. Bei "krassen Unterschieden" in der Inzidenz müsse man so handeln.

Grummeln aus Bayern

Ausdrücklich gegen Grenzkontrollen hatte sich immer wieder der Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn, ausgesprochen. Das Virus sei durch Grenzposten nicht aufzuhalten meinten sowohl Asselborn als auch die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides in Interviews. Daraufhin war aus Bayern das Grummeln von Ministerpräsident Markus Söder zu hören gewesen, der bei Einführung der Grenzkontrollen sagte, die EU solle sich lieber um Impfstoffe kümmern und ihn an der Grenze machen lassen. Tschechien und Österreich hatten eigene Landesteile zu gefährlichen "Mutationsgebieten" erklärt und intern abgeriegelt. Die betroffenen bayerischen Landkreise mit hohen Inzidenzzahlen sind allerdings vom Rest Bayerns nicht isoliert worden.

Die EU-Europaminister berieten heute in Brüssel noch einmal über Grenzkontrollen. Das Thema wird wohl auch von den Staats- und Regierungschefs beim Videogipfel am Donnerstag besprochen werden. Schließlich hatten diese nach den Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 mit langen Staus und abgerissenen Lieferketten immer wieder versprochen, dass es keine Grenzschließungen im Schengenraum mehr geben solle. Belgien hat allerdings seine Grenzen für "nicht notwendige" Ein- und Ausreisen komplett geschlossen. Portugal hat seine Grenze zu Spanien dicht gemacht. Auch Finnland und Ungarn haben sich eingeigelt.

So könnte er aussehen: Der Impfpass, der mehr Reisefreiheit in der EU versprichtBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Der Impfpass für die EU soll kommen

Spätestens im  Sommer soll das allerdings alles ganz anders werden. Die Länder in der EU, die mit Massentourismus viel Geld verdienen, also Spanien, Portugal, Griechenland, Italien und Frankreich wollen möglichst die kommende Reisesaison retten. Griechenland und Zypern gehen voran und lassen Menschen, die eine Covid-Impfung vorweisen können als Touristen einreisen. Inzwischen liegen Studien vor, vor allem aus dem Vorreiterstaat Israel, die belegen, das Geimpfte das Virus nicht mehr weiterverbreiten. "Das ist eine ganz wunderbare Nachricht", freute sich der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth. Deshalb müsse das Thema "Impfzertifkat" noch einmal auf die Tagesordnung. Es gehe nicht um "Privilegien" für Geimpfte beim Reisen oder Zugang zu Veranstaltungen, sondern um ganz normale "Freiheitsrechte". Der einheitliche "Impfpass" in der EU werde kommen, die Frage sei nur wann. "Wenn wir eine signifikante Zahl unserer Bevölkerung geimpft haben werden, werden wir entscheiden müssen, was bedeutet der Status als Geimpfter für die Mobilität in der Europäischen Union. Da gibt es überhaupt keinen Dissens in der EU", sagte Michael Roth. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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