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Politik

Streit um Quote: Ossis an die Macht?

Kay-Alexander Scholz
31. März 2019

Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall sitzen an den Schalthebeln der Macht vor allem Westdeutsche. Ostdeutsche sind - selbst im Osten - unterrepräsentiert. Nun befasst sich der Bundestag mit einer Ost-Quote.

Deutschland im Winter
Bild: picture-alliance/dpa

Eine spektakuläre Diskriminierungsklage machte 2010 in Baden-Württemberg, tief im Süd-Westen Deutschlands, Schlagzeilen. Eine Buchhalterin aus Ost-Berlin bewarb sich bei einer Fensterbaufirma. 20 Jahre zuvor war sie - wie Abertausende andere Ostdeutsche - in den Westen gegangen, um dort Arbeit zu finden. Sie bekam den Job nicht. Auf der Bewerbungsmappe, die ihr zurückgeschickt wurde, fand sie den Vermerk "Ossi" und daneben ein fettes Minuszeichen.

Sie fühlte sich wegen ihrer Herkunft diskriminiert und klagte auf Schadensersatz. Das Antidiskriminierungsgesetz von 2006 legt fest: Alle sind gleich zu behandeln, egal welcher Herkunft. Doch das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Klage ab. Ostdeutsche seien kein "eigener Volksstamm". Die Frau hatte also kein Recht, sich als "Ossi" diskriminiert zu fühlen. Der Fall endete mit einem Vergleich.

Am Ende gab es eine gütliche Einigung, ohne das der Fall bei einem oberen Gericht landeteBild: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod

Eine Statistik über möglicherweise ähnliche Fälle ist nicht aufzufinden. Auch nicht in der Antidiskriminierungsstelle im Bundestag, einer Art Beratungstelefon. Er könne nur von "ganz vereinzelten Anfragen" berichten, sagte Pressesprecher Sebastian Bickerich.

Dabei gebe es - statistisch gesehen - gute Gründe für tausende solcher Klagen: Ostdeutsche besetzen nur 1,7 Prozent der Spitzenjobs in Deutschland. Das ergab eine Studie der Universität Leipzig im Jahr 2016. Das ist viel weniger als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland ausmacht - der beträgt nämlich 17 Prozent. An den Spitzen der 80 staatlichen Universitäten sitzen gar ausschließlich Westdeutsche.

Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen: Die Macht über Geld und Entscheidungen in Wirtschaft, Justiz, Militär, Verwaltung, Wissenschaft und Bildung liegt fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung überwiegend in den Händen von West-Deutschen.

Erstmals Antrag für eine Ost-Quote

"Wir brauchen eine Ost-Quote, sonst nimmt man die Einheit nicht ernst", forderte Mitte März der Linken-Politiker Gregor Gysi, einer der profiliertesten Ost-Politiker der letzten Jahrzehnte im Bundestag. Es sei beim Blick auf die Zahlen, "als ob die Mauer noch stünde".

Die Debatte über die mangelnde Repräsentanz von Ostdeutschen in Chefetagen ist nicht neu. Nun aber sollen nach dem Willen der Linkspartei, der vielen Worte auch endlich Taten folgen. Deshalb hat sie im Bundestag einen Antrag für eine Ost-Quote eingereicht. Sie soll für Bundesbehörden, also für Angestellte des Bundes, gelten. Der Bund soll mit gutem Beispiel vorangehen. Die Linke beruft sich mit ihrem Antrag auf das Grundgesetz. Dort heißt es nämlich in Artikel 36: "Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden."

Doch die anderen Parteien ziehen nicht mit. Selbst der Ostbeauftragte der Bundesregierung argumentiert dagegen: Das sei nur "ein Budenzauber in der Hoffnung, dass der arme Ossi von seiner eigenen Opferrolle überzeugt wird", widersprach Christian Hirte - 42, ostdeutsch, CDU - während einer Bundestagsdebatte. Ob er eigentlich der Beauftragte für oder gegen die Ostdeutschen sei, wurde Hirte in der Debatte verärgert gefragt.

Der Ärger hat sich über Jahre aufgestaut. Anfänglich hieß es: Die alten DDR-Eliten müssten entmachtet werden. Zudem würden sich Westdeutsche besser mit dem neuen System auskennen, das mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 eingeführt worden war. Mit der Zeit würde sich der West-Überhang von allein ausgleichen. Doch das tut er nicht.

Die Elite rekrutiert sich selbst

Lars Vogelforscht an der ostdeutschen Universität Leipzig nach Erklärungen dafür. Sein Spezialgebiet ist die Elitenforschung. Es sei eine "fast universelle Gesetzmäßigkeit, dass einmal von Elitepositionen ausgeschlossene Gruppen nicht von selbst plötzlich den Zugang finden", sagt Vogel. 

Wer Elite ist, rekrutiere als Nachfolger ihm oder ihr ähnliche Personen in punkto Herkunft, Ausbildung und Karriere. Richtige Uni, passgenaues Studium, Golfclub - doch diese Wege an die Spitze sind voller Nadelöhre, meint Vogel. Den Ostdeutschen fehle oft das Wissen über und der Zugang zu den "richtigen Kreisen". Auch gehe es um passende "Mimik, Gestik und Körperhaltung, um eher subtile Signale", die sich an der Oberschicht orientierten. Da seien die Westdeutschen in der Regel geschulter.

Eine gut gemachte Quote für Ostdeutsche könne funktionieren, sagt Vogel. Doch eine politische Mehrheit dafür ist nicht in Sicht.

Alternativen zur Quote?

Auch wenn derzeit im Bundestag nur eine Partei Pro-Quote ist - die politische Einsicht, an der Situation etwas ändern zu müssen, ist vorhanden. Nun geht es um eine Strategie. Der Ostbeauftragte Hirte warb dafür, statt einer Quote neue Verwaltungsbehörden des Bundes verstärkt im Osten anzusiedeln. Damit hat die Bundesregierung bereits begonnen - das neue "Kompetenzzentrum Wald" in Leipzig ist ein Beispiel. Doch der Elitenforscher Vogel hält diese Strategie nur für bedingt wirksam. Es sei "kein Garant, dass eine Behörde im Osten dann auch ostdeutsches Führungspersonal hat".

Immerhin aber könnte so eine weitere Ungleichheit abgebaut werden. Denn nicht nur die Jobs, auch die dazugehörigen Büros sind zwischen Ost und West ungleich verteilt. "90 Prozent der Bundesbehörden haben ihren Hauptsitz im Westen", sagte Anton Friesen von der "Alternative für Deutschland" (AfD) im Bundestag. Mit ein Grund, weshalb auch die AfD-Fraktion einen "Ost-Antrag" im Bundestag eingereicht hat, der nun wie der von der Linkspartei in den Ausschüssen beraten wird.

Die Rechtspopulisten wetteifern mit der Linkspartei darum, im Osten als lauteste Stimme wahrgenommen zu werdenBild: imago/epd/J. Blume

Von einer Ost-Quote hält die AfD nichts, plädiert aber auch für weitere Maßnahmen. Schon bestehende Bundesbehörden aus dem Westen sollten, so ihr Vorschlag, in den Osten umziehen müssen. Die Debatte über eine Quote scheuen die Rechtspopulisten möglicherweise aus nachvollziehbarem Grund: zwei der drei AfD-Spitzenkandidaten für die dieses Jahr anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen kommen selbst aus dem Westen.

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