Corona-Soforthilfen in Deutschland: Streit um Rückzahlung
9. Oktober 2025
Den 23. März 2020 hat die Friseurin Marion Alemeier bis heute nicht vergessen. Es ist Tag 2 des ersten Lockdowns in Deutschland, um das Coronavirus einzudämmen, als die damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vollmundige Versprechen abgeben. "Ganz wichtig ist mir: Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit", erklärt Scholz die Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbständige: "Es muss also nichts zurückgezahlt werden." Altmaier ergänzt: "Wir lassen niemanden allein!"
Gut fünfeinhalb Jahre später fühlt sich Marion Alemeier ziemlich allein gelassen. Sie sagt der DW: "Es wurde viel Schaum geschlagen und kein Wort gehalten. Viele Kollegen und Freunde haben mich damals schon gewarnt, 'pass‘ auf, das wirst Du zurückzahlen müssen'. Und ich habe entgegnet, 'nein, das geht doch nicht, das können die nicht machen, bei hundertprozentigem Berufsverbot'."
9000 Euro bekam Alemeier damals als Corona-Soforthilfe, dringend benötigtes Geld, denn für sechs Wochen fielen ihr alle Einnahmen weg. Erst am 4. Mai 2020 wurde in Deutschland das Kontaktverbot gelockert, Friseursalons durften wieder öffnen.
Doch irgendwann hieß es, der Zuschuss sei nur auf Basis einer Prognose gewährt worden, um einen Corona-bedingten "Liquiditätsengpass" zu überbrücken. Hintergrund: Von den rund 13 Milliarden Euro, welche Bund und Länder für die Monate März bis Juni 2020 an Corona-Soforthilfen überwiesen, sollen laut Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums fünf Milliarden Euro zu viel gezahlt worden sein.
Deswegen gingen zigtausende Rückzahlungsforderungen heraus - auch an Marion Alemeier. Die Friseurin wurde aufgefordert, 7000 Euro zurückzuzahlen. Sie klagte gegen den sogenannten Schlussbescheid und gewann, doch die nordrhein-westfälische Landesregierung will immer noch die Hälfte des Geldes als Vergleich von ihr, 3500 Euro.
Marion Alemaier muss nebenbei auch noch die sogenannte Neustarthilfe in Höhe von 7500 Euro für den elfwöchigen zweiten Lockdown in Raten abstottern. Sie sagt: "Das tut richtig weh, die Kosten für den Laden und die Versicherung sind ja weitergelaufen. Dazu die vielen Absagen in den zwei Jahren, wenn die Leute sagten, das ist mir wegen Corona doch zu gefährlich. Ich lebe davon. Da ist kein Netz mit doppeltem Boden."
Jedes Bundesland mit eigenen Regeln zu Corona-Soforthilfen
9000 Euro konnten Selbständige wie Alemaier für Betriebe bis zu fünf Mitarbeiter beantragen, 15.000 Euro gab es für kleine Firmen mit bis zu zehn Angestellten, 25.000 Euro für Unternehmen mit zehn bis 50 Beschäftigten. Für viele bedeutete diese finanzielle Unterstützung damals die Rettung, zumindest aber eine enorme Hilfe. Auch für den Friseur Guido Wirtz, der gleichzeitig alle Friseure in Rheinland-Pfalz vertritt.
Im DW-Interview berichtet er: "Die Politik hat etwas gesagt, was sie im Nachhinein absolut nicht eingehalten hat. Es herrscht eine wahnsinnige Enttäuschung und Verletztheit bei allen Friseuren. Erst Mitte, Ende 2024 waren die Umsätze wie vor Corona, allerdings mit deutlich weniger Menschen." Viele seiner Kollegen hätten in ihrer Not sogar die Altersversorgung aufgekündigt, um über die Runden zu kommen, andere hätten schlichtweg aufgegeben. "Wir Friseure sterben still."
Was die Kleinunternehmer und Selbständigen vor allem auf die Palme bringt: Der föderalistische Flickenteppich in Deutschland - alle Bundesländer gehen unterschiedlich mit dem Thema Rückzahlung um. In Bayern und Baden-Württemberg können die Betroffenen keinen Widerspruch gegen den Bescheid einlegen, sondern müssen sofort klagen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat jetzt in fünf Fällen den Unternehmern recht gegeben: Sie müssen das Geld aus der Corona-Pandemie nicht an das Land zurückzahlen. Die Begründung erfolgt später, die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
In Nordrhein-Westfalen änderten sich die Bedingungen für die Rückzahlung auf den Webseiten sage und schreibe 15 Mal in nur wenigen Wochen.
Wirtschaftsminister in Hessen will Erleichterung für Betroffene
Hessen hat jetzt mit einem Moratorium die Prüfung von Corona-Soforthilfen vorläufig gestoppt. Der hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) begründet dies so: "Letztlich geht es hier nicht um globale Großkonzerne, sondern um Solo-Selbständige, Mittelstand oder Handwerk. Ich möchte daher alle rechtskonformen Möglichkeiten ausschöpfen, um Erleichterungen für die Betroffenen zu erzielen. Das ist für mich auch eine Gerechtigkeitsfrage."
Friseur Wirtz, der mittlerweile einen Mitarbeiter weniger hat und seine 15.000 Euro Soforthilfe in monatlichen 635 Euro-Raten zurückzahlt, sagt: "Die Politik weiß gar nicht mehr, wie sie aus der Nummer herauskommen soll. Mir hat mal ein Politiker gesagt, man gehe davon aus, dass die Kosten für die Ermittlung der Rückzahlungen deutlich höher sind, als die Rückzahlungen letztendlich betragen. Es wurde ja auch viel Personal eingestellt, um die Verfahren nachzuhalten und überhaupt abwickeln zu können."
Anwalt: Streit um Rückzahlungen sorgt für Politikverdrossenheit
Reiner Hermann ist wahrscheinlich der Mann, der sich in Nordrhein-Westfalen am besten mit den Details der Corona-Soforthilfen auskennt. Der Unternehmer hat Mitte 2020 die sogenannte IG NRW-Soforthilfe gegründet und unterstützt mittlerweile fast 11.000 Betroffene, die sich gegen die Rückforderungen zur Wehr setzen, auch Marion Alemeier.
Sein Fazit: Die Soforthilfe sei ein blamables Verwaltungsdesaster. Die Menschen seien nicht nur deprimiert, sondern auch maßlos wütend, sagt er der DW: "Ich habe dabei hochgebildete Leute, gestandene Unternehmer, in die Extremistenspur abrutschen sehen, die können Sie heute nicht mehr ansprechen. Andere sind völlig verzweifelt und in sich zusammengesackt. Viele haben schon Insolvenz angemeldet oder müssen es in Kürze tun, weil natürlich auch die anderen Wirtschaftshilfen jetzt abgerechnet werden."
Doch was hätte Deutschland anders und besser machen müssen? Hermann muss nicht lange überlegen: Erstens den Bund die Förderbedingungen für Soforthilfen einheitlich vorgeben lassen, mit den 16 Bundesländern nur als ausführende Organe, um föderales Chaos zu vermeiden. Außerdem die Anträge verständlich und mit voriger Aufklärung so verfassen, dass die Betroffenen sich nicht mangels Umgang mit Fördermitteln und Rechtsprechung "teilweise um Kopf und Kragen ankreuzen". Und schließlich als Landesregierung den Bürger als Partner und nicht als Gegner begreifen und dabei konstruktive Gespräche nicht verweigern.
Ein kurzer Blick ins Nachbarland hätte vielleicht schon genügt, sagt Reiner Hermann: "Ausgerechnet unser Nachbarland Belgien legt eine Hilfe auf, die jeden Monat verlängert und/oder verändert wurde, erweitert und abgesenkt. Da gab es ein Programm, in das man sich einklinken konnte, bei dem keiner gemeckert, keiner gemotzt und keiner geklagt hat, sondern stattdessen alles wunderbar funktioniert hat."