Streit um Schneewittchens Zwerge
29. Januar 2022Im US-Podcast "WTF with Marc Maron" kritisierte der "Game of Thrones"-Star Peter Dinklage kürzlich Disney für ein geplantes Schneewittchen-Remake. Disney hatte stolz verkündet, Schneewittchen von einer Latina-Schauspielerin spielen zu lassen. Das hörte sich erstmal fortschrittlich an, doch Dinklage ärgerte sich: "Aber dann machen sie immer noch die verdammt rückständige Story über sieben Zwerge, die zusammen in einer Höhle leben?" Man müsse die Geschichte neu aufziehen, so Dinklage.
Disney reagierte prompt auf die Kritik des kleinwüchsigen Schauspielers: Man wolle es vermeiden, Stereotypen aus dem Original-Zeichentrickfilm von 1937 zu verstärken. Der Originalfilm "Schneewittchen und die sieben Zwerge" war der erste abendfüllende Zeichentrickfilm von Disney und gilt als einer der Klassiker des Studios. Dinklages Kritik wirft die Frage auf, was Diversität im Casting von Kleinwüchsigen für Film und Fernsehen heutzutage bedeutet.
Dinklage hat "wunden Punkt" getroffen
Die Diskussion, die Dinklage jetzt losgetreten hat, komme eigentlich immer wieder auf, argumentiert Michel Arriens vom Bundesverband Kleinwüchsige Menschen (BKMF). "Sollen kleinwüchsige Menschen Zwerge spielen? Ja, nein. Sollen kleinwüchsige Menschen selbst 'Midget' (engl. für Zwerg) sagen dürfen?" Die Diskussion zeige auch die Themenarmut um die wirklich sehr komplexen Lebensformen von kleinwüchsigen Menschen, so Arriens. Selbst intern, im Verband, gebe es darum rege Diskussionen.
Peter Brownbill, einer der meistgebuchten kleinwüchsigen Schauspieler Deutschlands, sagt auf DW-Nachfrage, dass Dinklage zwar Recht habe, aber sich auch in einer privilegierten Position befinde. "Einmal hat er in Narnia eine Zwergenrolle gespielt, aber sonst konnte er es sich immer auch aussuchen. Wenn er nicht so einen großen Erfolg durch Game of Thrones gehabt hätte, hätte er gar nicht so ein Gewicht." Brownbill hat den Eindruck, dass Dinklage sich gegen klischeehafte Darstellungen einsetze, fügt aber hinzu, "sonst positionierte er sich in meiner Wahrnehmung bisher eher wenig für kleinwüchsige Menschen".
"Zwerge sind Fabelwesen"
Brownbill ist im Grunde mit Peter Dinklages Ansatz einverstanden. "Ich befürworte diese Kritik, dass das Thema diverser werden muss. Aber ob es jetzt bei Schneewittchen gemacht werden müsse - mir fehlt dazu die Vorstellungskraft, wie man es so macht, dass man trotzdem das Märchen an sich nicht verstümmelt, und die Geschichte des Urhebers dabei auch noch erhalten bleibt."
Brownbill spielte selbst in der letzten Schneewittchen-Verfilmung in Deutschland "Schneewittchen und der Zauber der Zwerge" (2019) den Chefzwerg Bömburr. "Letztendlich sprechen wir immer noch von Fabelwesen und nicht von Kleinwüchsigen, die mit Schneewittchen unterwegs sind. Deshalb finde ich es persönlich sympathischer Kleinwüchsige für die Rollen zu nehmen."
Ein "Umdenken" findet statt
Am neuen Film "Cyrano" mit Dinklage werde aber deutlich, dass in der Branche ein Umdenken stattfindet. "Die Hauptperson in Filmen muss nicht mehr aussehen wie ein Romeo. Es kann ein Kleinwüchsiger sein, es kann ein Dicker sein. Es kann jemand aus Asien sein. Aussehen ist völlig egal."
Peter Brownbill wurde letztes Jahr selbst für das Nibelungen-Festival in Worms angefragt: Er sollte die Rolle von Friedrich dem Weisen spielen - der real existiert hat. "In der Geschichte ist nichts davon überliefert, dass er kleinwüchsig war. Auf Bildern ist er höchstens etwas korpulenter. Das hat mich schon sehr gefreut - die Sache sollte einfach divers gelöst werden."
Brownbill begrüßt, dass Kleinwüchsige nicht mehr nur für Rollen als Zwergnase oder die Zwerge bei Schneewittchen gecastet werden, sondern dass "auch andere Rollen zukünftig möglich sind". Dieses Umdenken in Deutschland finde laut Brownbill seit Pandemiebeginn statt.
Dennoch sei die Gesellschaft weit davon entfernt, dass Kleinwüchsige nicht nur für kleinwüchsig ausgeschriebene Rollen gecastet werden, merkt Brownbill an. "Bücher und Filme funktionieren ja letztendlich so. Wenn sie eine Femme Fatale in einem Detektiv-Roman schildern, hat der Leser ja auch eine gewisse Vorstellung, die bedient werden muss."
Viele Schauspieler entscheiden sich für die "Flucht nach vorne"
Viele kleinwüchsige Schauspieler entscheiden sich auch bewusst für die Flucht nach vorne, um durch mehr mediale Präsenz Stigmata abzubauen. Brownbill selbst hat ein eigenes Comedyprogramm, in dem er die Größe thematisiere. "Ich finde es gut, wenn man versucht, aber nicht mit erhobenen Zeigefinger, Sachen zu bewegen." Im Moment gebe es die Möglichkeit, "durch Provokation, durch Satire oder eben durch ein Comedyprogramm darauf aufmerksam zu machen. Dafür muss man aber ein gewisses Selbstbewusstsein haben."
Kleinwüchsige Schauspieler haben Vorbildfunktion
Schauspieler, die in der Öffentlichkeit stehen, hätten natürlich auch eine gewisse Vorbild- und eine gewisse Repräsentanz-Funktion, auch wenn sie das vielleicht gar nicht wollen, sagt Michel Arriens vom Bundesverband Kleinwüchsige Menschen.
Peter Dinklage sei ein sehr gutes Beispiel für eine Vorbildfunktion und die Repräsentanz von kleinwüchsigen Menschen. Für ihn stehe der Kleinwuchs nicht an erster Stelle. "Er ist in erster Linie Peter Dinklage, in zweiter Linie Schauspieler und in dritter Linie kleinwüchsig. Das macht er auch immer wieder klar - in der Auswahl seiner Rollen wird das ziemlich deutlich." Für Dinklage stehe die schauspielerische Leistung, also die Kunst, die er gelernt habe, und das Können selber im Vordergrund, und nicht seine Statur.
Nachholbedarf in Deutschland
In Deutschland gebe es besonders eine Person, die es geschafft habe eine sehr gute Repräsentanz für die Kleinwüchsigen-Community zu schaffen: Christine Urspruch. "Sie spielt Rollen, die einfach vielschichtig sind, insbesondere auch der Tatort, in dem sie eine Pathologin verkörpert, oder auch die Sendung 'Dr. Klein', in der sie die Hauptrolle spielte", so Arriens.
Trotzdem gibt es noch viel Nachholbedarf in Deutschland. Schauspielerinnen und Schauspieler können zwar für mehr Repräsentanz der Kleinwüchsigen-Community sorgen und helfen Stigmata abzubauen, aber, fragt Arriens, "wo sehen wir einen kleinwüchsigen Nachrichtensprecher, kleinwüchsige Reporter? Irgendwelche Hosts, die kleinwüchsig sind? Das einzige Format, was über uns zum Thema Behinderung im ARD und ZDF berichtet hat, wurde eingestellt."
Deshalb wünsche sich sein Verband mehr Mut und Kreativität von Filmschaffenden. Die von Disney und anderen Streamingdiensten propagierte Diversität solle auch weitergedacht werden - es müsse darüber nachgedacht werden, ob nicht im nächsten Märchen, indem ein kleinwüchsiger Vater mitspielt, Kleinwuchs keine Rolle mehr spielt. Damit wären Peter Dinklage und Peter Brownbill zufrieden gestellt. Denn dann würde es für Kleinwüchsige nicht mehr heißen: "Für dich gibt es sowieso keine Rollen, außer der des Zwergnase."
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