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Der Visa-Streit

Marcel Fürstenau11. März 2009

Die Bundesregierung wollte mit Hilfe einer Visa-Warndatei Schwarzarbeiter, Kriminelle und Terroristen von der Einreise abhalten. Das Vorhaben steht nun auf der Kippe.

Symbolbild Visum und Visa-Warndatei
Nicht jeder, der nach Deutschland kommen will, ist auch willkommenBild: picture-alliance/chromorange

Ursprünglich sollte der Gesetz-Entwurf schon Anfang März vom Kabinett verabschiedet werden. Doch der Termin wurde kurzfristig um eine Woche verschoben. Inzwischen ist fraglich, ob es überhaupt noch eine Visa-Warndatei geben wird. Denn auch der neue Termin wurde kurzfristig abgesagt. Der Grund: Das von der Sozialdemokratin Brigitte Zypries geleitete Justiz-Ministerium hat Bedenken angemeldet, nachdem unter anderem Kirchen und Menschenrechtsorganisationen erneut heftige Kritik an dem Plan für eine Visa-Warndatei geübt hatten.

"Blockade ohne Argumente"

Kein Verständnis für den Sinneswandel seiner Kollegin Zypries hat Innenminister Wolfgang Schäuble. Im Hause des Christdemokraten ist mit Blick auf den Koalitionspartner von einer "Blockade ohne Argumente" die Rede. Angeblich soll in der kommenden Woche ein dritter Anlauf unternommen werden. Skepsis ist angebracht, denn die Kritik am Gesetz-Entwurf für die Visa-Warndatei ist schon länger bekannt, und zwar schriftlich. Denn zahlreiche Verbände und Organisationen haben Stellungnahmen für das Innenministerium verfasst.

Der kleinste gemeinsame Nenner ist: Schwarze Schafe sollen draußen bleiben. Dazu hatte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf für eine Warn-Datei vorgelegt, mit deren Hilfe Risiken bei der Visa-Erteilung frühzeitig erkannt werden sollen. Doch wie soll man verhindern, dass ungebetene Gäste mit Hilfe eines erschlichenen Visums nach Deutschland einreisen? Es kann nämlich schnell die Falschen treffen, befürchten die Kritiker der Regierungspläne: den unbescholtenen Computer-Experten aus Indien, den Chemie-Studenten aus China oder den Entwicklungshelfer aus Uganda. Lauter erfundene Beispiele, die es so oder ähnlich schon gegeben hat und künftig wohl noch häufiger geben wird.

"Bedrohung für die innere Sicherheit"

Von einer "Bedrohung für die innere Sicherheit Deutschlands" spricht die Regierung und will deshalb systematisch persönliche Daten von Antragstellern sammeln. Und von denjenigen, die Gäste einladen. Das können Privatpersonen sein, Unternehmen, Schulen, Universitäten. Und hier beginnt aus Sicht der Kritiker das Problem. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland hat "grundsätzliche Bedenken", dass auch die Gastgeber automatisch in einer Datei landen, und zwar ohne jeden Verdacht.

In einer der Deutschen Welle vorliegenden Stellungnahme an das Bundes-Innenministerium heißt es, in Zeiten der Globalisierung sei es für eine plurale und offene Gesellschaft "unerlässlich und notwendig", vielfältige Kontakte zu Bürgerinnen und Bürgern anderer Staaten zu unterhalten und sie "zum Zwecke familiären Austausches und der Pflege von Arbeits- und Kulturbeziehungen auch häufiger nach Deutschland einzuladen".

"Brot für die Welt" warnt vor negativen Folgen

Auch ohne Visa-Warndatei haben es kirchliche Hilfswerke wie "Brot für die Welt" mitunter schwer, beispielsweise einheimische Mitarbeiter von Entwicklungshilfe-Organisationen nach Deutschland einzuladen, erläutert Pressesprecher Rainer Lang. Wenn es beispielsweise um Länder wie Somalia oder Sudan gehe, tauche schnell der Verdacht auf, diese Personen wollten in Deutschland bleiben. Oft wisse man bis zum letzten Moment nicht, ob die offiziell eingeladenen Gäste ein Visum bekommen würden.

Dass der Staat Maßnahmen gegen Visa-Missbrauch ergreift, leuchtet Rainer Lang von "Brot für die Welt" ein. Für kriminelle Schleuser-Banden und Menschen-Händler war es in der Vergangenheit oft ein Kinderspiel, Schwarzarbeiter oder Prostituierte illegal nach Deutschland zu bringen. Denn die rot-grüne Bundesregierung hatte 1999 die Deutschen Botschaften per Erlass angewiesen, Visa-Anträge großzügig zu bearbeiten.

Joschka Fischer übernahm politische Verantwortung

FDP-Politiker Hellmut Königshaus: "Massiver Kurswechsel zu Lasten der Freiheitsrechte der Bürger"

Die Praxis "In dubio pro libertate" (Im Zweifel für die Freiheit) ging auf den damals amtierenden Außenminister Joschka Fischer zurück. Nachdem im Jahre 2004 zahlreiche Missbrauchs-Fälle bei der Visa-Erteilung vor allem in der Ukraine bekannt geworden waren, befasste sich ein Parlamentarischer Untersuchungs-Ausschuss mit den Vorfällen. Dabei übernahm Fischer die politische Verantwortung. Er habe die Visa-Vergabe durch seinen Erlass "missbrauchsanfälliger" gemacht.

Folge des Skandals war eine rigidere Visa-Praxis: "In dubio pro securitate" (Im Zweifel für die Sicherheit). Persönliche Konsequenzen zog Außenminister Fischer indes keine, trotz entsprechender Forderungen der damaligen Oppositionsführerin und heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Fischer habe "dem Land schweren Schaden zugefügt".

Inzwischen liegt der Visa-Skandal fünf Jahre zurück. Die Idee, eine Warn-Datei einzurichten, hatte die Union zwar schon damals. Allerdings mussten noch die Sozialdemokraten überzeugt werden, mit denen CDU/CSU seit 2005 regieren. Die SPD akzeptierte schließlich auch die Einlader-Datei, von der ursprünglich keine Rede war. Registriert werden sollen unter anderem Name, Staatsangehörigkeit und, wenn es sich nicht um eine private Einladung handelt, die Organisation.

"Mehrfacheinlader" machen sich besonders verdächtig

Sorgte für großzügige Visa-Vergabe: Joschka Fischer (hinten)Bild: AP

Wer innerhalb von zwei Jahren mindestens fünf Einladungen ausspricht, macht sich automatisch verdächtig. Man steht dann als "Mehrfacheinlader" unter besonderer Beobachtung der Behörden. Das ist einer der zahlreichen Punkten, die Datenschützer ablehnen. Auch Hellmut Königshaus hält nichts davon. Der Liberale saß für seine Fraktion im Parlamentarischen Visa-Untersuchungs-Ausschuss, ist mit der Materie also bestens vertraut. Königshaus lehnt die Einlader-Datei ab, weil jeder darin Gespeicherte als "grundsätzlich verdächtig" gelte.

Das bedeute, dass sich beispielsweise ein Klassenlehrer in Deutschland künftig überlegen müsse, ob er die Partner-Schule noch einladen könne, weil er dann in einer solchen Kartei landet. Tut er das über mehrere Jahre, gerät er in eine "ganz schwierige Verdachtslage", kritisiert Königshaus. Insbesondere deshalb, weil alle möglichen Behörden auf die Daten zugreifen können, darunter die Polizei und Geheimdienste.

Liberale kündigen Widerstand an

Königshaus kündigte Widerstand gegen die Pläne der Bundesregierung an. Warn-Datei ja, Einlader-Datei nein, lautet sein Credo. Es sei überhaupt nicht einzusehen, warum bei diesem sensiblen Thema ein so "massiver Kurswechsel zu Lasten der Freiheitsrechte der Bürger" vorgenommen worden sei.