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Politik

Abtreibungsrecht: Was hat sich 2021 getan?

19. Dezember 2021

In Polen ist Abtreibung seit Januar nahezu verboten, die USA steuern ebenfalls auf strengere Beschränkungen zu. Doch vielerorts gab es auch Entwicklungen in die andere Richtung. Ein Überblick.

Kolumbien Bogot | Demo für und gegen Abtreibungsrecht
Demonstrantinnen für und gegen Abtreibungsrecht treffen im November in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá aufeinanderBild: Fernando Vergara/AP/picture alliance

Ist Abtreibung Mord am Ungeborenen? Sollte das Recht der Schwangeren auf Selbstbestimmung an erster Stelle stehen? Unter welchen Voraussetzungen sind Schwangerschaftsabbrüche vertretbar? Diese Fragen rund um Abtreibung haben auch 2021 für Konflikte gesorgt - und für Veränderungen. 

Laut Leah Hoctor von der Nichtregierungsorganisation "Center for Reproductive Rights" geht trotz einiger Ausreißer der globale Trend eindeutig in Richtung Liberalisierung: "In den vergangenen Jahrzehnten ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen leichter geworden. Auch 2021 hat sich einiges getan." Hier einige Entwicklungen aus der ganzen Welt:

Mexiko: Präzedenzfall entkriminalisiert Abtreibung

In Mexiko, dem zweitbevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas, hat im September der Oberste Gerichtshof ein absolutes Schwangerschaftsabbruchsverbot für verfassungswidrig erklärt. Das Recht von Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung sei höher zu bewerten als der Schutz des Fötus, hieß es. Hintergrund der Entscheidung war ein entsprechendes Verbot im nordmexikanischen Bundesstaat Coahuila, das die Richter damit kippten. 

Ihnen zufolge darf die Abtreibung im Frühstadium der Schwangerschaft sowie bei Vergewaltigung, Gefährdung der Gesundheit der Schwangeren oder lebensunfähigem Fötus nicht unter Strafe gestellt werden. Damit wurden viele der 31 mexikanischen Bundesstaaten gezwungen, ihr Abtreibungsrecht zu lockern. Zuvor hatte es keine landesweit einheitliche Regelung gegeben. Das Frühstadium allerdings definierte das Gericht nicht näher. 

Vor Mexiko hatte auch Argentinien Ende 2020 Abtreibungen legalisiert, ansonsten sind Abtreibungen lateinamerikaweit bislang nur in Uruguay, Kuba, Guyana und Französisch-Guayana legal. In Chile scheiterte Anfang Dezember ein Gesetz zur Liberalisierung der Abtreibung am Senat.

El Salvador: Der Fall Manuela

Das kleine zentralamerikanische Land gehört neben Nachbarländern wie Honduras und Nicaragua, aber auch etwa Senegal, Ägypten, Irak, Malta und Indonesien zu den Ländern, in denen Abtreibungen grundsätzlich verboten sind. Verstöße können in El Salvador mit langen Freiheitsstrafen geahndet werden. 

Doch seit einigen Jahren sorgt der Fall einer nur als Manuela bekannten Frau für Aufsehen: Sie kam nach einer mutmaßlichen Fehlgeburt ins Gefängnis und starb während der Verbüßung ihrer 30-jährigen Haftstrafe. 

Ihr Kind soll 2008 zu früh und überraschend zuhause gekommen sein, es war bereits tot während der Geburt oder verstarb kurz danach. Weil Manuela zu verbluten drohte, brachten Verwandte sie ins Krankenhaus - doch dort erstatteten die behandelten Ärzte Anzeige gegen sie wegen Abtreibung.

#entr_de: "Wir haben abgetrieben"

07:16

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Gestorben sei die aus armen Verhältnissen stammende und an der Morbus-Hodgin-Krankheit leidende Frau, weil sie in Haft keine angemessene medizinische Versorgung erfahren habe. Das stellte kürzlich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte fest. El Salvador habe Manuelas Rechte verletzt, müsse ihren Kindern Schadenersatz zahlen sowie ein Protokoll für derartige medizinische Notfälle ausarbeiten.

Menschenrechtsaktivistinnen sehen in dem Urteil zumindest einen Hoffnungsschimmer für Frauen in El Salvador und anderen Ländern der Region, in denen das Abtreibungsrecht sehr strikt ist.

Den wohl gewünschten Effekt, auf diese Weise die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu verringern, erreichen Regierungen indes laut Menschenrechtsexpertin Leah Hoctor nicht. "Verbote und starke Einschränkungen senken die Abtreibungsrate nicht. Das einzige, was erreicht wird, ist, dass mehr unsichere, heimliche Abtreibungen stattfinden. Und dass Frauen, die es sich leisten können, für eine Abtreibung ins Ausland reisen."

USA: Grundsatzurteil auf der Kippe?

In den USA werden Schwangerschaftsabbrüche in den verschiedenen Bundesstaaten unterschiedlich gehandhabt. So ist das Abtreibungsrecht in Kalifornien vergleichsweise liberal. Das krasse Gegenbeispiel ist Texas. Dort stehen Abtreibungen seit September nach Entdecken des Herzschlags eines Fötus, etwa in der sechsten Schwangerschaftswoche, unter Strafe - einem Zeitpunkt, zu dem viele noch nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind. Selbst im Fall einer Vergewaltigung oder bei Inzest sieht das texanische Gesetz keine Ausnahmen vor. 

Sowohl die Neuregelung in Texas als auch Gesetzesverschärfungen in Mississippi und in anderen US-Bundesstaaten könnten noch vom Supreme Court, dem Obersten Gericht der USA, gekippt werden. Denn dieser hatte eigentlich 1973 mit dem Grundsatzurteil Roe v. Wade das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche verankert. Demnach sind Abtreibungen grundsätzlich so lange erlaubt, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche.

Aber bei dem seit Trump-Zeiten mehrheitlich konservativ besetzten Supreme Court bestehen Zweifel, ob die obersten Richter die konservativen Bundestaaten in ihre Schranken verweisen - oder gar Roe v. Wade kippen oder zumindest einschränken. In diesem Fall wäre im Süden und Nordwesten der USA mit einer deutlichen Verschärfung des Abtreibungsrechtes zu rechnen. Dort lebende Frauen müssten dann einen hohen Aufwand betreiben, um Abtreibungen in liberaleren Bundesstaaten vornehmen zu lassen. Eine Entscheidung des Obersten Gerichts wird Mitte kommenden Jahres erwartet.

Polen: Pro-Choice gegen Pro-Life

Das Anfang des Jahres in Kraft getretene polnische Abtreibungsgesetz ist eines der restriktivsten in Europa. Zuvor hatte es das Verfassungsgericht in einem umstrittenen Urteil für verfassungswidrig erklärt, Schwangerschaftsabbrüche bei einer schweren Fehlbildung oder Krankheit des Fötus zu erlauben.

Der Streit um das Abtreibungsrecht spaltet Polen schon länger. Befürworter des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch organisierten 2021 mehrmals Massenproteste - zuletzt Anfang November, als der Tod einer schwangeren Frau bekannt wurde. Die 30-jährige Izabela S. starb an einem septischen Schock, nachdem ihr trotz schwerer Komplikationen eine Abtreibung verweigert worden war.

Sichtlich bewegte Demonstrantin auf einem Protestmarsch nach Izabela S.' TodBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Indes wollen die Pro-Life-Aktivisten und die katholische Kirche das Abtreibungsrecht - das einem Verbot bereits sehr nahekommt - noch weiter verschärfen. Nach einer von ihnen vorangetriebenen Gesetzesinitiative sollen Abtreibungen sogar verboten werden, wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung oder von Inzucht ist oder das Leben der Mutter gefährdet. Zwar hat das Parlament den Gesetzentwurf kürzlich in erster Lesung abgelehnt - doch damit dürfen sich die konservativen Kräfte des Landes nicht zufrieden geben.

Deutschland: Regelung mit Hürden

In Deutschland stehen mit dem Regierungswechsel Erleichterungen für Schwangere, die abtreiben wollen, ins Haus. Zwar sind Abtreibungen grundsätzlich erlaubt. Umstritten ist aber seit Jahren unter anderem Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, der ein Werbeverbot für Abtreibungen beinhaltet.

Arzt in einem deutschen Krankenhaus betreut Patientin nach einem SchwangerschaftsabbruchBild: Sean Gallup/Getty Images

Wegen ihm mussten Arztpraxen, die auf ihrer Website darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, juristische Konsequenzen befürchten - für Justizminister Marco Buschmann ein Unding "in einem Zeitalter, in dem jeder jede denkbare Verschwörungstheorie im Internet verbreiten kann, auch über Schwangerschaftsabbrüche". 

Leah Hoctor, die beim "Center for Reproductive Rights" Europa-Regionaldirektorin ist, begrüßt die Pläne der neuen Bundesregierung, sieht aber noch andere Mankos im deutschen Abtreibungsrecht. So ist Abtreibung grundsätzlich weiterhin laut Strafgesetzbuch eine Straftat. Als Ausnahmen gelten, wenn eine Abtreibung nach Beratung in einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis vorgenommen wird. Oder wenn medizinische oder kriminologische Indikationen vorliegen.

"Wir sehen, dass der deutsche Rechtsrahmen - auch wenn Frauen technisch gesehen Zugang zu Abtreibung haben - viele Steine in den Weg zu dieser Gesundheitsversorgung legt", so Hoctor. "Das ist stigmatisierend."

Thailand: Abtreibung nun im ersten Trimester legal

In Thailand hat das Parlament Anfang des Jahres mit großer Mehrheit dafür gestimmt, Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche zuzulassen. Zuvor waren Schwangerschaftsabbrüche abgesehen von einigen Ausnahmen ein Straftatbestand, der Haftstrafen zur Folge haben konnte. Bei einer Überschreitung der Zwölf-Wochen-Frist sind Geld- und Haftstrafen weiterhin möglich.

Thailändische Aktivistinnen demonstrieren im Dezember 2020, vor der Parlamentsabstimmung, für das Recht auf SelbstbestimmungBild: Peerapon Boonyakiat/SOPA Images/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hatte sich vor der Parlamentsabstimmung auch der landesweit bekannte buddhistische Mönch und LGBTQ-Aktivist Shine Waradhammo eingesetzt - und damit konservative Glaubensbrüder verärgert. Buddhismus ist die im Thailand mit Abstand am meisten verbreitete Religion. Dem Thema Abtreibung steht der Buddhismus - wie viele Religionen - grundsätzlich sehr kritisch gegenüber.

Benin: Wohl bald regionaler Vorreiter

Auch im westafrikanischen Benin opponierte die katholische Kirche gegen ein neues Gesetz, dass Abtreibungen erleichtert. Doch das Parlament stimmte diesem im November zu, die Ratifizierung durch das Verfassungsgericht gilt als Formsache. 

Gefährliche Abtreibungen in Kenia

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Waren Schwangerschaftsabbrüche in Benin bislang nur sehr eingeschränkt erlaubt, so sollen sie künftig auch dann möglich sein, wenn Schwangerschaften "materielle, erzieherische, berufliche oder moralische Belastungen verschlimmern oder verursachen, die mit den Interessen der Frau oder des ungeborenen Kindes unvereinbar sind".

Gesundheitsminister Benjamin Hounkpatin erklärte, Frauen müssten durch das Gesetz künftig nicht mehr unsichere Abtreibungsmethoden anwenden. Daran würden in dem Land jährlich rund 200 Frauen sterben. Auch in vielen Nachbarländern sind Abtreibungen nur sehr eingeschränkt möglich und ein gesellschaftliches Tabu.

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