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PolitikUkraine

Streubomben der USA für die Ukraine: Deutschland auf Distanz

17. Juli 2023

Die USA wollen die international geächteten Waffen an die Ukraine liefern. In Deutschland sieht man diesen Schritt mit Sorge. Pazifisten fordern ein Ende der Eskalationsspirale.

Olivgrüne Hüllen entschärfter Mini-Streubomben
Hüllen entschärfter Mini-Streubomben, aufgenommen in einer deutschen MunitionsentsorgungsfirmaBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Deutschland steht erneut vor einem Dilemma: der anhaltende Ukraine-Krieg zwingt das Land wieder einmal dazu, eines der Waffen-Tabus zu hinterfragen. Zuvor gab es lange Zeit Unstimmigkeiten darüber, wie viele Waffen die Ukraine erhalten sollte.

Jetzt geht es um Bedenken angesichts der US-amerikanischen Entscheidung, Streumunition an die Ukraine liefern zu wollen. Denn Deutschland gehört mit weiteren über 100 Nationen der 2008 ausgehandelten Streubomben-Konvention an, die den Gebrauch, die Herstellung, Lagerung und den Transport von Streumunition verbietet.

111 Länder haben mittlerweile die Streubomben-Konvention ratifiziert

Weitere NATO-Staaten, die ebenfalls Unterzeichner der Konvention sind, haben sich von der Entscheidung der USA distanziert. Viele Menschenrechtsorganisationen und Waffenkontrollvereinigungen betrachten Streumunition als Bruch internationalen Rechts.

Streumunition kann hunderte kleine Sprengsätze enthalten, ähnlich einer Schrotflinte, dessen Splitter dann weit verteilt werden. Das macht sie zu einem effektiven Mittel, um eine Ansammlung feindlicher Kräfte auszuschalten, stellt aber auch eine besondere Gefahr für die Zivilbevölkerung dar.

Denn Streubomben sind nicht präzise. Und die Munition, die nicht unmittelbar explodiert, kann Jahre lang schlummern und dann Menschen, inklusive Kinder, die zufällig auf die Bomben treffen, töten und verstümmeln. Die Blindgängerrate ist enorm – einige Streumunition hat eine Rate von 40 Prozent, was bedeutet, dass eine hohe Zahl der Bomben noch auf Jahre gefährlich bleiben.

Waffenlieferant Deutschland

Deutsche Politiker und Politikerinnen können das Thema leicht umgehen, indem sie den Entschluss zu einer "souveränen" Entscheidung der USA erklären, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz getan hat. 

CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt kritisiert diese Haltung. "Wenn wir nun sagen, wir ächten die Streumunition, machen wir uns einen schlanken Fuß". Streumunition verfüge über viele Sprengsätze in einem, und fungiere nun als "tödliche Übergangslösung". 

Während des NATO-Gipfels im litauischen Vilnius hatte Berlin ein erneutes Waffenpaket für die Ukraine in Höhe von 700 Millionen Euro angekündigt. Doch die deutsche Rüstungsindustrie war bisher nicht in der Lage, die Produktion von Waffen mit nur einem Geschoss hochzufahren.

Dabei gehört Deutschland zu den größten Waffenexporteuren der Welt und könntedie Ukraine mit vielen der Kugeln und Granaten versorgen, die das Land braucht. Die Ukraine verbraucht laut den USA tausende Geschosse jeden Tag. Sich weiterhin auf Waffen mit nur einem Geschoss zu verlassen, würde voraussetzen, dass sich die Produktion enorm erhöht.

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, auf dem NATO-Gipfel in VilniusBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Zurecht geächtet"

Hochrangige Grünen-Politiker waren bisher die lautstärksten Befürworter einer Bewaffnung der Ukraine und eines Schulterschlusses mit den USA. Dennoch haben die Grünen bereits in der Vergangenheit ukrainische Forderungen nach Streumunition zurückgewiesen. Viele lehnen noch immer die Lieferung ab, da dies laut Konvention verboten sei. Streumunition sei "zurecht geächtet", sagt zum Beispiel der Grünen-Politiker Anton Hofreiter.

Das erinnert an frühere Äußerungen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die Unterstützung der Ukraine müsse Hand in Hand mit dem Völkerrecht gehen. Das geht einigen deutschen Pazifisten, die den Krieg in der Ukraine als Eskalationsspirale zwischen Russland und dem Westen sehen, nicht weit genug.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba in CharkiwBild: Ukrainian Foreign Ministry Press Office/AP/picture alliance

Sie fordern von ihren einstigen Anti-Kriegs-Verbündeten in der Politik eine schärfere Verurteilung der verbotenen Waffen. "Verbrechen Russlands entbinden die Ukraine nicht von ihren internationalen Verpflichtungen", schreibt Jürgen Grässlin, Sprecher der "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel".

Andere Waffe, gleiche Diskussion

Im Endeffekt gebe es wenig, was Deutschland ausrichten könne, das Land werde sich immer den USA anschließen, sagt Jack Janes, Senior Fellow beim "German Marshall Fund" im Gespräch mit der DW. "Auf der einen Seite wird viel moralisiert", sagt der langjährige Deutschland-Beobachter, "aber mit welchem Ergebnis? Wie hilft es der anderen Seite des Ziels, nämlich den Durchbruch zu erlangen?"

Worauf Janes anspielt, ist die ukrainische Gegenoffensive, die ins Stocken geraten ist. Die USA wollen mit ihrer Entscheidung, Streumunition zu liefern, den ukrainischen Streitkräften einen Schub geben. Beide Seiten, Ukraine und Russland, setzen Minen ein, besonders um Infanteristen zu treffen. Auch diese Waffen verbieten international Verträge, die Deutschland unterzeichnet hat.

Nukleare Waffen, bewaffnete Drohnen und die Bewaffnung Dritter im Kampf gegen gemeinsame Feinde – alles Kriegsinstrumente, welche die USA einsetzen und mit denen Deutschland fremdelt. Die Streumunition ist da nur das nächste Kapitel einer langen Debatte.

"Es wird einfach eine dieser Diskussionen sein, bei der die Leute in aller Ruhe zu einem Schluss kommen, von dem sie sagen können: 'Meine Güte, das ist ja schrecklich. Der Krieg ist schrecklich'", sagt Janes. "Und dann kommen wir zurück zu der Frage, wie wir den Krieg gewinnen können."

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.