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PolitikGlobal

Streut Russland Fake News über Corona?

Joscha Weber | Mikhail Bushuev
4. August 2020

Krieg in den Köpfen: Geheimdienstquellen und eine neue Studie legen nahe, dass Russland versucht, mit gezielten Falschmeldungen zum Coronavirus westliche Demokratien und die EU zu destabilisieren. Eine DW-Recherche.

Symbolfoto für Fake News | Computertasten mit der Aufschrift Fake,
Fakten remixen oder sie gleich ganz durch Lügen ersetzen - das Spiel mit der WahrheitBild: picture-alliance/Chromorange/C. Ohde

Willkommen in der Welt der Corona-Fake-News. Dort ist das Coronavirus ein gezielter Akt von Bio-Terrorismus, mit dem die NATO Russland bekämpfen will. Seine Verbreitung in Italien konnte nur dank russischer Hilfe gestoppt werden. Ein russischer Corona-Impfstoff steht längst bereit, Händewaschen ist in der Prävention der Pandemie nutzlos, COVID-19 ist eine normale Grippewelle, und hinter all dem stecken die Weltherrschaftspläne von Bill Gates. 

Im Sog der Angst vor dem Coronavirus hat sich längst eine andere Seuche ausgebreitet: die sogenannte "Infodemie". Seit der Entdeckung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sprießen Verschwörungstheorien, Falschmeldungen und Gerüchte wie Pilze aus dem Boden. Wie das eigentliche Virus befällt auch die "Infodemie" den Menschen und kann gefährliche Folgen haben. Inzwischen wird das wahre Ausmaß dieser Epidemie der Halb- und Unwahrheiten klarer, die Akteure dahinter werden deutlicher erkennbar.

"Ziel ist, die EU zu schwächen"

Seitdem das Virus grassiert, hat sich der Kampf um Einfluss und Deutungshoheit auf den digitalen Plattformen intensiviert. "Die Pandemie ist der perfekte Nährboden für Desinformation," sagt Peter Stano im DW-Gespräch. "Das Ziel ist, die EU zu unterminieren und zu schwächen."

Corona: "Perfekter Nährboden für Desinformation und Verschwörungstheorien"Bild: imago images/Christian Ohde

Stano ist Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes und dort unter anderem für Desinformation und hybride Bedrohungen zuständig. Seitdem das Virus Europa erreicht hat, hat sein Team bereits mehr als 600 Fälle von Desinformation zum Coronavirus in der Datenbank EUvsDisinfo registriert - und das allein mit Bezug zu Europa.

Das Arsenal der digitalen Desinformation ist vielfältig: So wird Misstrauen gegenüber Gesundheitssystemen gesät, politische Entscheidungsträger werden als schwach dargestellt, demokratische Institutionen als unfähig, und Europa als zerstritten.

Mal werden Aussagen und Fakten aus dem Zusammenhang gerissen und neu kombiniert, mal wird plump und dreist gelogen. Beide Varianten haben das Potential, Zweifel zu säen und sogar Menschenleben zu gefährden.

Hohe Reichweite für Fake News

So habe es infolge von Falschmeldungen, der Mobilfunkstandard 5G löse COVID-19 aus, Vandalismus an Mobilfunkmasten in Belgien, Großbritannien und den Niederlanden gegeben. Und wenn Hygieneregeln wie etwa das Händewaschen oder der Mindestabstand in Frage gestellt werden, dann "können solche Botschaften tödlich sein," sagt Stano.

Brandstiftung: Im britischen Huddersfield wurde Feuer an einem Telekommunikationsmast gelegtBild: Getty Images/AFP/O. Scarff

Der Balkan ist seiner Ansicht nach eine betroffene Region. Dort "versuchen Akteure der russischen Propaganda Verunsicherung zu schaffen und den geplanten Beitritt zur EU zu verhindern", glaubt Stano. Zwar gebe es keine klaren Beweise für die Wirksamkeit der Propaganda-Methoden, dafür aber einige Indizien.

In einer aktuellen Studie konnten Forscher der University of Oxford eine führende Rolle staatlicher russischer Sender und Medien nachweisen. Beiträge rund um das Thema Corona, die in den Sprachen Französisch, Deutsch und Spanisch veröffentlicht wurden, wiesen durchschnittlich eine höhere Interaktionsrate auf als Artikel in nationalen Leitmedien wie "Le Monde", "Der Spiegel" und "El País".

Christian Schwieter, ein Co-Autor der Studie, weiß warum: "Medien wie Russia Today (RT) berichten viel über soziale Proteste und Themen, die aufwühlen. Die emotionale Berichterstattung provoziert mehr Reaktionen in den sozialen Netzwerken," so der deutsche Forscher, der gemeinsam mit seinen Kollegen 35.856 Artikel in drei Sprachen untersuchte.

Absender unbekannt

Nach Erkenntnissen der Forscher aus Oxford berichten russische Staatsmedien besonders ausführlich über Anti-Corona-Proteste und Verschwörungstheorien. Chinesische und türkische Staatsmedien betonten eher den angeblich vorbildlichen Umgang mit der Pandemie in ihren Ländern. HispanTV, der spanischsprachige Ableger des iranischen Staatssenders "IRIB", nutzte die Pandemie nach Einschätzung des Forscherteams, um kritische Stimmen gegenüber den USA zu verbreiten.

Mundschutz als "Idiotie" - welchen Einfluss haben Fake News auf die Corona-Protestbewegung?Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Doch es gibt auch Angriffe ohne klare Absenderkennung. So verbreiten die Nachrichtenseiten InfoRos, InfoBrics.org sowie OneWorld.Press Informationen über die Coronavirus-Pandemie, die nach Erkenntnissen von US-Regierungsbeamten ihre Quelle im russischen Militärgeheimdienst GRU haben.

Die "New York Times" sowie die Nachrichtenagentur AP berichteten über entsprechende Hinweise aus US-Geheimdienstkreisen, wonach die Verbreitung von falschen Informationen auf diesen Plattformen auf zwei Personen zurückzuführen sei, die Verbindungen zum GRU hätten. Auf diese Weise solle im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl im November Verwirrung gestiftet werden. Dies sei eine Weiterentwicklung der russischen Propaganda-Taktiken, die bereits im US-Wahlkampf von 2016 zum Einsatz kamen.

Von der Pandemie ablenken

In Russland nimmt man solche Berichte oft mit einem Achselzucken zur Kenntnis. "Noch eine Portion Fake News von NYT", titelte der Staatssender Vesti.ru. Die Publikationen seien fälschlicherweise in den Kontext einer Einmischung in den US-Wahlkampf gestellt worden, bemängelte Andrei Iljaschenko, Chefredakteur von InfoRos.

Die Vergangenheit der beiden angeblichen Hintermänner vom russischen Militärgeheimdienst GRU, Denis Tjurin und Alexandr Starunskij, sei gar nicht belegt, so das Fazit des Kommentars bei Vesti.ru. Die Geschichte sei nichts anderes als ein Versuch, von eigenen Problemen mit der COVID-19-Pandemie abzulenken. 

Digitale Detektivarbeit: Faktenchecker arbeiten Falschmeldungen auf und widerlegen sieBild: picture-alliance/AP Photo/D. Goldman

Auch als unabhängig geltende russische Experten sehen die jüngsten Publikationen über Fake News aus Russland skeptisch. "Waren Militärs in strategische Desinformationskampagnen über Coronavirus involviert? Ich glaube nicht", sagt Iwan Sassurskij im DW-Gespräch.

Sassurskij ist Chef des Lehrstuhls für Neue Medien und Kommunikationstheorien an der Lomonossow-Universität in Moskau. Freigegebene Geheimdienstinformationen bedeuteten nicht automatisch, dass es sich um eine vertrauenswürdige Quelle handelt, argumentiert Sassurskij.

"Man kann bei weitem nicht alles mit der 'Hand Moskaus' erklären", so Sassurskij. Bei den Präsidentschaftswahlen in den USA werde viel über den Einfluss Russlands gesprochen, doch dabei werde nur selten mit verifizierten Informationen gearbeitet. Er rechnet damit, dass der US- Wahlkampf selbst "eine Menge Fakes hervorbringt".

Wunsch nach Rache

Die aktuelle russische Propaganda unterscheidet sich dabei grundsätzlich von der alten sowjetischen Machart: "Statt den Glauben an einen kommunistisch geprägten Fortschritt zu propagieren, versuchen Desinformationskampagnen von heute das Vertrauen in eine rationale Problemlösung zu unterminieren", meint der russische Medienanalytiker Andrej Archangelskij.

"Das ist nicht nur ein Versuch, Demokratien in Misskredit zu bringen", behauptet er, sondern auch ein Wunsch des Kremls, "sich an den Demokratien für das Scheitern des sowjetischen Projekts zu rächen". Vieles an Fake News werde verständlicher, wenn man dieses Motiv bedenke, so Archangelskij.

Experte Peter Stano ist überzeugt, dass sich der Krieg in den Köpfen nur durch einen gesellschaftlichen Kraftakt gewinnen lässt. "Die Zivilgesellschaft ist gefordert, wir alle müssen mehr tun", sagt er. "Ein Weg, die Verbreitung von Desinformation zu bekämpfen, besteht darin, die Medienkompetenz bei den Bürgern zu steigern und Quellen im Internet kritischer zu hinterfragen."

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