Strikte Regeln für Entwicklungshilfe
24. Oktober 2018Seit langem wird in Deutschland über Bedeutung und Rolle der Entwicklungshilfe diskutiert. Geben wir zu viel, geben wir zu wenig oder das Falsche? Und: Sollen wir überhaupt etwas geben? Diese oder ähnliche Fragen stellen sich in regelmäßigen Abständen immer wieder aufs Neue. Vor diesem Hintergrund hat Deutschland seine Strategie für hilfsbedürftige Länder gewandelt. Vom ursprünglichen Prinzip einfacher finanzieller Zuwendungen im Gießkannenprinzip bewegte man sich hin zu einem partnerschaftlich orientierten Modell - der jetzigen Entwicklungszusammenarbeit.
Nun hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen neuen Plan vorgelegt. Er soll die bisherigen Maßnahmen verbessern und legt strengere Kriterien an die Vergabe von Mitteln fest. Investitionen und Ausbildungspartnerschaften sollen sich auf jene der 85 Partnerländer konzentrieren, "die bei Demokratisierung und Menschenrechten Fortschritte machen", sagte Entwicklungsminister Gerd Müller bei der Vorstellung seines Strategiepapiers zur "Entwicklungspolitik 2030".
Eindämmung von Korruption
Kernpunkte sind der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, die Bekämpfung von Korruption und die Erhöhung der Eigenleistung der Partnerländer. Länder, die sich daran nicht halten oder schlecht abschneiden, müssen damit rechnen, von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr berücksichtigt zu werden. Die Entscheidung, wer drinbleibt und wer rausfällt, soll im kommenden Jahr getroffen werden. Eine Ausnahme ist die reine Armutsbekämpfung, die auch in den Ländern fortgesetzt wird, in denen Diktatoren herrschen. An die Wirtschaft appellierte Müller, in den kommenden drei Jahren die Privatinvestitionen zu verzehnfachen.
In Bezug auf die Korruptionsbekämpfung findet der Entwicklungsminister Unterstützung beim Dachverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, VENRO. Es wäre aber merkwürdig, "wenn wir dann genau mit den Ländern, wo es diese Probleme gibt, zusammenarbeiten, weil man sich Rohstoffe sichern will", sagt VENRO-Vorstandschef Bernd Bornhorst von der Hilfsorganisation Misereor der Deutschen Welle. "Wenn wir das glaubwürdig einfordern wollen, dann müssen wir selber auch eine glaubwürdige, kohärente Menschenrechte befürwortende Politik liefern." Falls man diesen Maßstab bei sich selber nicht anlege, dann trete man "wie ein neo kolonialer Mensch auf, der sagt: Ihr müsst alles besser machen, was wir dazu beitragen, dass diese Probleme bei euch existieren, das hinterfragen wir nicht."
Flüchtlingsthematik als treibender Faktor
Deutsche Entwicklungspolitik wird natürlich auch von deutschen Interessen geleitet. So macht die Bundesregierung keinen Hehl daraus, dass die Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika ein wichtiges Ziel der Entwicklungshilfe ist. VENRO-Chef Bornhorst: "Wenn wir in den letzten Jahren betrachten, welche immer stärkere Wertschätzung die Entwicklungszusammenarbeit erfahren hat, dann ist das genau mit dem parallel gelaufen, was wir fälschlicherweise Flucht- und Migrationskrise genannt haben."
Insofern sei die Flüchtlingsthematik ein treibender Faktor, um sich mehr mit Afrika zu beschäftigen. Es sei aber ein großer Fehler zu glauben, dass an dem Tag, an dem kein Flüchtling mehr ankomme, auch die Probleme in Afrika nicht mehr existierten. "Flucht und Migration kann man nicht allein mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit verhindern, sondern dann geht es um Fragen von Waffenhandel, Außenpolitik und Wirtschaftsaufbau."
Mehr Eigenleistung Afrikas
Der Autor und frühere Landesbeauftragte des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) im Niger, Kurt Gerhardt, bewertet die Eigenleistung der Partnerländer als entscheidenden Punkt in Müllers Strategie, "weil Afrika für seine wirtschaftliche Entwicklung nicht genug leistet." Gerhardt ist einer der Unterzeichner des sogenannten "Bonner Aufrufs" für eine andere Entwicklungspolitik. Der Aufruf ist 2008 aus einem Kreis von Leuten hervorgegangen, die die Entwicklung Afrikas mit besonderem Engagement verfolgen und zu denen der 2016 verstorbene Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, gehörte.
Gerhardt spricht von einer bisher enttäuschenden Bilanz der Zusammenarbeit und kritisiert Müllers Pläne als nicht weitgehend genug. Er bezeichnet es zwar als richtigen Ansatz, ausländische Unternehmer für Afrika zu gewinnen, "aber den deutschen Unternehmern einfach zu sagen, jetzt nehmt das Geld, geht dahin, baut und errichtet - so geht das nicht." Deutschland müsse den Afrikanern sagen: "Ihr müsst die Voraussetzungen in euren Ländern schaffen, dass ausländische Unternehmer es interessant finden, bei euch Wirtschaft zu betreiben, bei euch Produktionsbetriebe zu errichten."
Falscher Ansatz deutscher Politik
Das gehe nicht mit den Strategien des deutschen Entwicklungsministers: "Jeder Staat, jede Gesellschaft kann sich nur selbst entwickeln. Das sollten wir endlich mal begreifen und nicht als diejenigen auftreten, die Afrika entwickeln wollen", sagt Gerhardt im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Dieser ganze Ansatz, was wir machen müssen, ist völlig falsch. Wir müssen gar nichts machen. Die müssen machen." Afrika müsse seine Möglichkeiten besser nutzen.
Unstrittig hingegen ist die wirtschaftliche Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit für Deutschland. 4,4 Milliarden Euro werden dieses Jahr dafür bereitgestellt, wobei das meiste Geld nach Afrika fließt. Denn nach Expertenmeinung wird dort in den nächsten Jahren mehr gebaut werden als in Europa. Im Rohstoff- und Energiesektor sehen Unternehmer große Investitionschancen. Indien und China sind vor Ort längst vielfach aktiv und sichern sich wertvolle Rohstoffe wie Lithium, das für die Akkus von Elektroautos gebraucht wird.
Unterstützung für deutsche Investoren
Minister Müller will dafür die Beratung "für kleinere und mittlere Unternehmen aus Deutschland, die in Afrika investieren wollen", ausbauen, ebenso soll es eine bessere Finanzierung geben, sagte Müller im Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Geplant sei außerdem ein Mittelstandsförderprogramm für afrikanische Firmen. Damit rennt er beim Afrikaverein der deutschen Wirtschaft offene Türen ein. "Wir sagen seit vielen Jahren, wir müssen mehr Entwicklungsgelder dafür verwenden, entwicklungspolitisch sinnvolle private Investitionen in Afrika zu ermöglichen, damit Jobs entstehen. Und das kann nicht der deutsche Staat machen, sondern die deutsche Wirtschaft", erklärt der Vorsitzende des Afrikavereins, Stefan Liebing, im DW-Gespräch.
So habe VW gerade ein neues Werk in Ruanda eröffnet und in Namibia sei ein großes Zementwerk entstanden, das, "wie ich höre, zu den Weltbesten gehört, was Umweltstandards sowie Effizienz angeht, und das ausschließlich von lokalen Kräften und jungen Mitarbeitern geführt wird." Liebing weist darauf hin, dass es im Bereich erneuerbare Energien zudem jede Menge deutsche Unternehmen gebe, die gerne investieren würden. Derzeit hielten sie sich aber noch zurück, weil das Zahlungsausfallrisiko lokaler Energieversorger für die deutschen Banken zu hoch sei. "Und wenn dieses Risiko durch Versicherungen oder Garantien des Bundes abgesichert würde, könnten wir morgen mit der Elektrifizierung Afrikas richtig loslegen."
Antworten auf dem Berliner Afrika-Gipfel
Wie es in der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika konkret weitergeht, wird voraussichtlich nächste Woche Dienstag beantwortet. Dann findet in Berlin eine Investitionskonferenz zur G20-Wirtschaftspartnerschaft mit Afrika und deutschen Unternehmensvertretern statt. Eingeladen haben Bundeskanzlerin Merkel und der Afrikaverein der Deutschen Wirtschaft. Merkel hatte die Afrikahilfe immerhin bereits im vergangenen Jahr zu einem Schwerpunkt der G20-Präsidentschaft Deutschlands gemacht.