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Schwimmende Kraftwerke haben viele Vorteile

Klaus Ulrich
27. Februar 2020

Anschließen und loslegen: Schiffskraftwerke sind mobil und flexibel. Sie liefern Energie in Regionen mit schlechter Infrastruktur. Aber auch große Städte, in denen Bauland teuer ist, können profitieren.

Ausgestattet mit zwei Gasturbinen und einer Dampfturbine soll die "Estrella del Mar III" von Siemens ab 2021 Santo Domingo mit Strom versorgen
Ausgestattet mit zwei Gasturbinen und einer Dampfturbine soll die "Estrella del Mar III" von Siemens ab 2021 Santo Domingo mit Strom versorgenBild: Siemens

Probleme mit der Energieversorgung gehören in Südafrika zum Alltag. Immer wieder fällt der Strom aus. Die Regierung des am meisten industrialisierten Landes in Afrika bemüht sich um Abhilfe. Die könnte vom Meer kommen. Die türkische Firma "Karpowership", eine Tochter der Karadeniz Holding, soll ein entsprechendes Angebot gemacht haben. Das Unternehmen hat bereits viele Kunden auf dem Kontinent. Nach eigenen Angaben versorgt es bereits rund 30 Millionen Einwohner in acht afrikanischen Ländern mit Strom, der von ihren vor den Küsten schwimmenden Kraftwerken geliefert wird.

"Für Schwellen- und Entwicklungsländer kann es sinnvoll sein, mit kompletten Kraftwerken versorgt zu werden, die anderenorts gebaut wurden und dann per Schiff zur gewünschten Destination, wo die Stromversorgung benötigt wird, gebracht werden", sagt Hamed Hossain im Gespräch mit der DW. Der Manager ist bei der Siemens Energie Gas-and-Power-Sparte Projektleiter für schwimmende Kraftwerke.

Karadeniz Kraftwerksschiff "Orhan Bey" angedockt südlich von Beirut unterstützt die Stromversorgung des Libanon (2019)Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Malla

Nutzung heimischer Infrastruktur

Die Vorteile liegen auf der Hand: Zwar sind die Hardware-Kosten für entsprechende Anlagen prinzipiell vergleichbar mit an Land gebauten Kraftwerken. Aber um ein Kraftwerk zu bauen, müssen die nötigen Ressourcen vorhanden sein. Wenn qualifizierte und gut ausgerüstete Bau- und Montagefirmen samt ihren Fachkräften von weither eingeflogen werden müssen, wird es teuer. Bei Kraftwerken, deren Komponenten auf schwimmende Plattformen - sogenannten Barges - montiert werden, sieht das Konzept anders aus: Die Hersteller bestücken sie in heimischen Werften, Schlepper bringen sie übers Meer oder Flüsse dorthin, wo die Stromversorgung gebraucht wird. "Wir nennen das Plug and Play-Konzept - anschließen und loslegen," so Siemens-Manager Hossain.

Hamed Hossain, Projektleiter bei SiemensBild: Siemens

Doch nicht nur Entwicklungsländer, entlegene Küsten und Katastrophenregionen nach Erdbeben oder Tsunamis bieten sich für Einätze der schwimmenden Stromlieferanten an. In den Industrieländern sind die "Floating Power Plants" - so der englische Fachausdruck - vor allem dort gefragt, wo Platzmangel herrscht oder die Grundstückspreise schwindelnde Höhen erreichen. "In Megacities wie New York oder Hongkong ist Bauland sehr teuer", sagt Hamed Hossain, "wenn man diese Grundstückskosten in die Kalkulation einfließen lässt, können unsere schwimmenden Kraftwerke günstiger sein".

Auftrag aus New York

Tatsächlich wird New York bereits seit fast 50 Jahren teilweise mit Strom von Kraftwerken versorgt, die in der Upper Bay vor dem Stadtteil Brooklyn schwimmen. Diese Stationen werden bald durch moderne Anlagen von Siemens ersetzt und sogar noch ausgebaut. Durch einen höheren Wirkungsgrad sind sie umweltfreundlicher als die alten Kraftwerke. Außerdem können sie mit einer Meerwasserentsalzungsanlage erweitert werden. Siemens ist vertraglich dazu verpflichtet, die Anlagen zwanzig Jahre lang zu betreiben und während dieser Zeit für Ersatzteile und Reparaturen zu sorgen - für den Konzern ein willkommenes Zusatzgeschäft.

Modell eines modernen schwimmenden Gas- und Dampf-KraftwerksBild: Siemens

Im kommenden Jahr will der Siemens ein schwimmendes Kraftwerk in der Dominikanischen Republik vor der Küste der Hauptstadt Santo Domingo ans Netz gehen lassen.

Rechenzentren auf dem Meer

Auch die Digitalisierung eröffnet neue Märkte. "Die großen Internet-Unternehmen wollen ihre Rechenzentren auf das Meer verlagern, weil es für sie günstiger ist, als an Land zu bauen", sagt Hamed Hossain, "da bietet es sich an, Strom über Floating Power Plants zur Verfügung zu stellen". Infrage kämen dafür Gas und Dampf-Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad, aber auch Solaranlagen, die dann allerdings Plattformen von immenser Größe benötigten.

Russland setzt bei schwimmenden Kraftwerken auf Kernenergie . Die "Akademik Lomonossow" der Firma "Rosatom" ist 144 Meter lang, 30 Meter breit und ausgestattet mit zwei Kernreaktoren. Nach fast zehnjähriger Bauzeit wurde das schwimmende AKW 2019 in die Region Tschukotka im äußersten Osten von Russland geschleppt und in einem speziell ausgebauten Hafen angedockt. Zunächst soll es Wärme, und später auch Strom für die Region liefern, wenn dort an Land ein alter Atomreaktor vom Netz geht. Verläuft der Einsatz der "Akademik Lomonossow" erfolgreich, will Rosatom ähnliche schwimmende AKWs auf dem Weltmarkt anbieten. Kritiker sprechen allerdings schon von einem "schwimmenden Tschernobyl".

Das russische schwimmende Kernkraftwerk "Akademik Lomonossow" sticht in See Bild: Reuters/M. Shemetov

Auch die US-Army entwickelte nukleare Kraftwerksschiffe zur Energieversorgung militärischer Standorte in entlegenen Regionen von 1954 bis zum Anfang der 1970er Jahre. Das erste Schiff dieser Art war die "Sturgis MH-1A". Forscher des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge arbeiten mittlerweile wieder an einer modernen schwimmenden Kernkraftanlage.

 

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