Faktencheck: Hat zu viel Solarstrom den Blackout ausgelöst?
30. April 2025
Kaum waren in Spanien und Portugal die Lichter ausgegangen, da schossen schon die Spekulationen ins Kraut: Eine Cyberattacke, atmosphärische Störungen und sogar Außerirdischewurden als mögliche Erklärung herangezogen. Während die spanische Regierung die Möglichkeit eines Cyber-Angriffs auf das spanische Stromnetzuntersucht, schloss der Chef des spanischen Übertragungsnetzbetreibers REE, Eduardo Prieto, dies aus.
Extreme Frequenzschwankung
Laut Prieto haben offenbar zwei separate Zwischenfälle im Südwesten Spaniens binnen 1,5 Sekunden die Netzfrequenz derart aus dem Gleichgewicht gebracht, dass daraufhin in kürzester Zeit Kraftwerke mit einer Leistung von 15 Gigawatt (GW) ausfielen - fast die Hälfte der zu dem Zeitpunkt aktiven Kraftwerksleistung.
Bei sehr großen und plötzlich auftretenden Abweichungen kann es zu einer Fehlerkaskade kommen. Dabei löst eine extreme Frequenzschwankung Mechanismen bei anderen Kraftwerken (und Großverbrauchern) aus, die diese Anlagen dann automatisch vom Netz nehmen.
Prieto bezeichnete es als "sehr gut möglich", dass dieser Dominoeffekt durch Solarkraftwerke ausgelöst worden sein könnte. Haben also Kritiker von erneuerbaren Energien recht, wenn sie sagen, ein Überangebot an Solarstrom hätte den Blackout ausgelöst?
Behauptung: "Die Erneuerbaren, hier Solar, haben in Spanien gerade den ersten größeren #Stromausfall verursacht, konkret durch ein Überangebot an Solar", schreibt ein angeblicher Physiker mit deutschem Accountauf X (ehemals Twitter) und erreicht damit fast 100.000 Views (Stand 30.04.2025, 16:40).
Er beruft sich unter anderem den deutschen Chemieprofessor, Manager und Energiewendekritiker Fritz Vahrenholt. Dieser hatte in einem X-Postmit mehr als 400.000 Views erklärt, dass vor dem Netzausfall in Spanien die Erzeugung von Erneuerbaren Energien, insbesondere Solar, stärker als der Bedarf anstiegen sei.
DW-Faktencheck: Unbelegt
Die Ursache des Stromausfalls ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Richtig ist, dass die Solarenergie zum Zeitpunkt des Stromausfalls mit 19,3 GW etwa 60 Prozent der im spanischen Netz verfügbaren Leistung bereitstellte. Zudem dominierten im Südwesten Spaniens allem Anschein nach die Solarkraftwerke die Stromproduktion.
Haben sich plötzlich alle PV-Anlagen abgeschaltet?
Für Energiewendekritiker Fritz Vahrenholt steht fest, dass der Überschuss von PV-Strom im spanischen Netz die "primäre Ursache" war, wie er der DW auf Anfrage per E-Mail mitteilte. Dadurch sei Spanien gezwungen gewesen, Strom nach Frankreich zu exportieren.
Die "sekundäre Ursache" sei dann gewesen, dass die Exportleitung wegfiel. In der Folge seien dann "alle" PV-Anlagen "schlagartig" vom Netz gegangen.
Dass sich die PV-Anlagen abrupt abschalten, dürfte eigentlich nicht passieren. Denn seit 2016 gelten in der EU einheitliche Vorschriften für Stromerzeuger.
Diese sehen vor, dass PV-Anlagen nach und nach ihre Einspeisung reduzieren müssen, wenn die Netzfrequenz aufgrund eines Stromüberhangs den Grenzwert von 50,2 Hertz übersteigt.
"In Spanien hat man bereits Ende der 2000er Jahre begonnen mit entsprechenden Netzanschlussrichtlinien dafür zu sorgen, dass sich PV-Anlagen plötzlichen Netzstörung nicht einfach vom Netz trennen", erklärt Sönke Rogalla, der am Fraunhofer Institut ISE die Netzintegration von erneuerbaren Erzeugungsanlagen erforscht. Diese Eigenschaften würden vor der Inbetriebnahme im Rahmen von Zertifizierungsverfahren überprüft.
Auch die verfügbaren Daten widersprechen Vahrenholts These: Wären alle Solaranlagen gleichzeitig vom Netz gegangen, hätten nicht 15 GW, sondern mindestens 20,4 GW Strom gefehlt. Die PV-Leistung betrug zum Zeitpunkt des Blackouts nämlich mindestens 17 GW. Vorsorglich vom Netz genommen wurden aber auch die Kernkraftwerke, die 3,4 GW einspeisten.
Ist viel PV-Strom ein Problem für Stromnetze?
Dass Spaniens Stromnetzverbindungen zu Frankreich und Portugal beim Stromausfall gekappt wurden, ist dokumentiert. Ob dies aber der Auslöser der Probleme in Spanien war oder eher einer der Dominosteine, ist noch nicht abschließend geklärt.
Fest steht: Spanien exportierte kurz vor der Netztrennung im Saldo 3 GW. So viel Strom stand durch die Unterbrechung der Stromleitungen also in Spanien plötzlich mehr zur Verfügung. Ein solcher Vorfall stellt zweifellos eine große Belastung für jedes Stromnetz dar.
Vahrenholt meint, der geringe Anteil von Kohle- und Kernkraftwerken in Spanien sei dabei ein zusätzliches Problem gewesen. Die Turbinen solcher Kraftwerke wirken nämlich frequenzglättend.
Diesen stabilisierenden Effekt nennt man Momentanreserve, und daran habe es in Spanien vermutlich gefehlt, schreibt auch Enrique Garralaga, Managing Director bei einer Tochter des deutschen PV-Komponenten-Herstellers SMA, in einem Beitrag auf LinkedIn.
"Die technischen Lösungen liegen vor"
Auch Fraunhofer-Forscher Rogalla bestätigt, dass dies zum Blackout beigetragen haben könnte. Dennoch wirft er einen ganz anderen Blick auf den Vorfall in Spanien: "Der Blackout in Spanien ist kein PV-Versagen, sondern vermutlich ein Systemversagen. Insofern sehe ich das als dringende Erinnerung an, dass der Umbau des Energiesystems große Herausforderungen birgt."
Mit den heute verbauten Anlagen ist es nicht möglich, allein mit Solar- und Windkraft ein Stromnetz zu betreiben. Die Darstellung, dass ein hoher Anteil erneuerbarer Energie ein unlösbares Problem sei, weist Rogalla zurück: "Wir lernen ständig dazu. Die technischen Lösungen liegen mittlerweile vor, nun müssen wir uns daran machen, sie zu implementieren."
Die scheidende Bundesregierung hat einen möglichen Weg dazu bereits in einer Roadmap beschrieben. Für die Implementierung neuer Lösungen auf EU-Ebene hat die Regulierungsbehörde ACER bereits einen Vorschlag vorgelegt.
Fazit: Die These, dass "ein Überangebot an Solar(strom)" der Grund für den Blackout war, lässt sich nicht belegen. Ein hoher Anteil erneuerbaren Stroms im Netz gehört zwar zu den großen Herausforderungen der Energiewende, er ist aber kein unlösbares Problem.