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Politik

Studenten gegen Staatseinmischung

10. Februar 2021

Die Proteste an der Bogazici-Universität in Istanbul halten an. Trotz Festnahmen, Razzien und Polizeigewalt fordern die Studenten weiter, dass der umstrittene Direktor zurücktreten soll. Von Fatima Celik, Istanbul.

Polizei-Aufgebot vor der Bogazici-Uni
Polizei-Aufgebot vor der Bogazici-UniBild: Fatima Çelik/DW

"Es tut mir so weh, als wäre jemand in mein eigenes Haus eingebrochen und hätte die Tür vor mir verschlossen", sagt Zeynep am Südcampus der Istanbuler Bogazici-Universität. Die heute 35-Jährige hat dort vor Jahren selbst studiert und fühlt sich mit der Hochschule immer noch sehr verbunden.

Die Bogazici gilt als eine der renommiertesten öffentlichen Universitäten des Landes. Seit tagen kommt es auf dem Campus dort zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und protestierenden Studenten.

Hintergrund: Seit fünf Jahren kann auch der türkische Präsident per Dekret Universitätsrektoren festlegen. Anfang Januar machte Staatschef Recep Tayyip Erdogan von diesem Recht Gebrauch und ernannte Melih Bulu zum Rektor der Bogazici. Für die Studenten und Akademiker der stolzen Universität ist es "nicht legitim", dass Bulu den Posten bekommen hat. Denn der neue Direktor ist Gründungsmitglied der islamisch-konservativen AKP im Istanbuler Stadtteil Sariyer und gilt daher als regierungsnah.

"Autonomie der Universität höchstes Gut"

"Rektoren sollten durch demokratische Wahlen unter Beteiligung von Kennern der Universität gewählt werden. Deshalb wollen wir nicht, dass jemand mit einem politischen Hintergrund an unsere Universität berufen wird", sagt Devrim Barış Yılmaz. Der 21-jährige Soziologiestudent betrachtet die Autonomie seiner Universität als höchstes Gut.

Gesicherter Eingang zum RektoratBild: Fatima Çelik/DW

Er und seine Kommilitonen hätten nicht von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen können, weil sie von Sicherheitskräften daran gehindert worden seien. Sein Freund fügt hinzu: "Wo es keine Unabhängigkeit gibt, wo eine Hand von oben eingreift, kann keine Wissenschaft betrieben werden".

Ebru, eine junge Studentin, die ebenfalls an den Protesten teilgenommen hat, möchte auch eine Botschaft loswerden: "Die Ernennung eines Rektors an einer Universität durch eine politische Behörde bedeutet, dass sowohl die Akademie als auch das soziale Leben auf dem Campus unter Druck stehen. Wir wissen, dass Frauen, LGBTs und Studenten mit bestimmter ethnischer Zugehörigkeit am stärksten betroffen seien werden."

"Sie haben mir im Haftfahrzeug auf den Kopf geschlagen"

Ebru verweist auf einen Vorfall, der vergangene Woche Schlagzeilen gemacht hat. LGBT-Studenten, die an den Protesten teilnahmen, wurden von Politikern verhöhnt und beleidigt. Zuvor wurden vier von ihnen festgenommen, weil sie bei einer Kunstausstellung "Gotteslästerung" betrieben hätten. Rechtsexperten konnten jedoch keinen Verstoß erkennen. Zwei Studenten wurden danach inhaftiert. 

Protestaktion von Bogazici-Studenten (Anfang Januar)Bild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Manche berichten von unverhältnismäßiger Gewalt durch die Polizei. Studentin Deniz Damla Uz gehört zu denen, die von der Polizei abgeführt wurden: "Ich wurde in Gewahrsam genommen, nachdem ich geschlagen wurde. Sie haben mir im Polizeifahrzeug auf den Kopf geschlagen. Ich wiege gerade einmal 44 Kilo; als ob man so viel Kraft bräuchte, um mich festzuhalten."

"Der Staat befindet sich in einer Position der Schwäche"

Zeynep Gambetti, Professorin für Internationale Beziehungen und Politik, lässt kein gutes Haar an dem Vorgehen der Polizei: "Ein Staat, der sich vor friedlichen Studenten fürchtet, die nur demonstrieren, befindet sich in einer Position der Schwäche." Die Botschaft des Staates sei so zu deuten: "Ich erlaube keine Kritik und keinen Widerstand auf meine Befehle, es gibt nur eine Ideologie, es gibt nur ein Verständnis, es gibt nur einen wahren Glauben."

Professorin Gambetti: "Polizeigewalt als Zeichen der Schwäche"Bild: Fatima Çelik/DW

Die Studentenproteste, die seit Wochen in Istanbul anhalten, haben mittlerweile in der ganzen Türkei ein Echo: Auch in anderen Städten solidarisieren sich immer mehr Studenten mit der Bogazici-Universität. Der Assistenzprofessor für Soziologie Bülent Kücük meint, dass die Ernennung des Rektors an der Bogazici ein Indikator dafür ist, dass in der Türkei ein Prozess der Zentralisierung im Gange sei. Die breite Beteiligung an den Protesten gegen die Ernennung von Melih Bulu durch den türkischen Staatspräsidenten als "Opposition gegen den Autoritarismus".

Beginn einer Jugendbewegung?

Präsident Recep Tayyip Erdogan wiederum sieht die Demonstrationen als Provokation und rückte sogar die protestierenden Studenten in die Nähe von "Terroristen". Trotz der Anfeindungen wollen die Demonstranten die Proteste jedoch fortsetzen: "Alle Zwangsverwalter-Direktoren, insbesondere Melih Bulu, sollen zurücktreten. Rektoren sollten demokratisch und von Universitätsangehörigen gewählt werden. Die inhaftierten Protestler sind frei zu lassen", fordert Soziologe Kücük.

Alpha Telek, ein junger Politologe und Bogazici-Alumni, kann den derzeitigen Ausschreitungen auch etwas Positives abgewinnen. Er sehe die Geschehnisse als eine Initialzündung für die Jugend: "Bei den Protesten von Bogazici entlädt sich etwas." Man habe das gemeinsame Anliegen von der politischen Autorität und der Gesellschaft gehört zu werden, um optimistisch in die Zukunft zu blicken.

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